Matthias Knecht (Mitte) im Gemeinderat. Wegen der Corona-Krise finden zurzeit keine Sitzungen statt, aber die Verwaltung sei handlungsfähig, sagt der OB. Foto: factum

Der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht ist noch nicht lange im Amt – und muss plötzlich die Rolle als oberster Krisenmanager im Kampf gegen das Virus übernehmen. Er lobt die Bevölkerung, ist aber trotzdem besorgt. Aus mehreren Gründen.

Ludwigsburg - Gerade erst war Matthias Knecht so richtig im Ludwigsburger Rathaus angekommen, da brach die Corona-Welle über die Welt, das Land und die Stadt hinein. Im Interview – natürlich per Telefon – spricht der Oberbürgermeister über seine besondere Verantwortung, die Atmosphäre in der Stadt, Fehleinschätzungen und Versäumnisse zu Beginn der Krise – und die Hoffnung, dass die Menschen aus der Situation etwas lernen. Für eine bessere Zukunft.

Herr Knecht, unter normalen Umständen ist das keine sonderlich originelle Einstiegsfrage in einem Interview, aber aus gegebenem Anlass: Wie geht es Ihnen?

Gesundheitlich geht es mir wieder bestens. Danke. Ich hatte zuletzt Schnupfen und fühlte mich nicht so gut. Vorsichtshalber ließ ich einen Coronatest machen. Zum Glück war das Ergebnis negativ. Sehr viel anstrengender war die Pflegesituation meiner Schwiegermutter. Das Betretungsverbot von Pflegeheimen fordert den Familien wirklich alles ab. Das ist sicher eine Belastung für viele Menschen.

Das Virus hat das Leben aller umgekrempelt. Sie tragen zudem die Verantwortung für eine Stadt mit fast 100 000 Einwohnern? Wie sieht Ihr Alltag aus?

U nser Stab tagt regelmäßig, wenn es sein muss auch am Wochenende. Wir analysieren die Fallzahlen und die aktuelle Entwicklung. Dann beraten wir über die Entscheidungen, die getroffen werden müssen für den Gesundheits- und Infektionsschutz. Alle anderen Themen, die unsere Stadt betreffen, werden in den jeweiligen Teams weiter vorangetrieben. Die Verwaltung arbeitet zwar im Notbetrieb und viele Mitarbeitende sind im Homeoffice, aber unsere Handlungsfähigkeit ist gewährleistet. Abteilungen wie etwa Sicherheit und Ordnung, die gerade besonders gefordert sind, haben wir personell mit Kollegen aus anderen Bereichen verstärkt.

Wie beurteilen Sie die Situation vor Ort?

Wir haben, Stand Dienstag, exakt 244 registrierte Covid-19-Fälle in der Stadt, im Landkreis sind es 1129, davon sind 84 zur Behandlung im Krankenhaus. Todesfälle gab es bisher 20 von Menschen, die zwischen 69 und 95 Jahre alt waren. Wir beklagen jeden einzelnen Todesfall. Die Lage ist insgesamt aber noch relativ überschaubar, doch ich bin generell vorsichtig mit solchen Einschätzungen, denn wir wissen nicht, wie hoch die Dunkelziffer ist. Aber sagen kann ich, dass wir die Situation momentan unter Kontrolle haben.

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Wie nehmen Sie die Atmosphäre wahr?

Ich habe das Gefühl, dass allen die Ernsthaftigkeit der Lage bewusst ist – das war zu Beginn der Epidemie vielleicht noch nicht so ausgeprägt wie heute. Wenn man sich etwa den Markt am vergangenen Wochenende anschaut: Die Leute halten Abstand, es herrscht wenig Hektik, kein Gedränge. Ich registriere viel Disziplin. Und unsere Einzelhändler haben insgesamt gute Lösungen gefunden, damit der nötige Abstand gewahrt bleibt. Ich finde, die Menschen gehen hervorragend mit dieser Herausforderung um.

Trotzdem hört man immer wieder auch von Corona-Partys oder von größeren Gruppen, die sich nicht an die Verbote halten.

Nicht in Ludwigsburg. Als Restaurants und Bars noch geöffnet waren, hat die Polizei einige Verstöße registriert, auch hier. Aber inzwischen hat dieses Problem deutlich abgenommen.

Ausgangsbeschränkungen, kein Shopping, keine Kultur, kaum öffentliches Leben – wie lange lässt sich das aufrechterhalten?

Ein genaues Datum kann seriös niemand vorhersagen. Aber klar ist, dass wir als Gesellschaft irgendwann – und dann schrittweise – wieder in den Normalbetrieb zurückkehren müssen. Einige Wochen lang trägt die Bevölkerung das mit. Aber wenn das noch mehrere Monate so weitergeht, kämen wir an unsere Grenzen, davon bin ich überzeugt.

Das dürfte in besonderem Maße für die Wirtschaft gelten, für Selbstständige, kleine und große Unternehmen.

Ja, die Wirtschaft wird es schwer treffen. Ich habe mehrere Mails von Unternehmern erhalten, die mir schreiben, dass sie in wenigen Wochen insolvent sein werden – wenn sich bis dahin nichts ändert. Und wir bekommen viele besorgte Rückmeldungen von Menschen, die in der Gastronomie, in Kultureinrichtungen oder Sportvereinen tätig sind. Wir nehmen das sehr ernst. Viele Betriebe müssen weiter ihre Mitarbeitenden bezahlen, haben aber keine Einnahmen mehr. Das geht eine Weile gut, aber nicht lange. Deswegen ist es außerordentlich wichtig, dass der Bund und das Land alles tun, um die Betroffenen zu unterstützen. So einfach und so unbürokratisch wie möglich. Diese Leute brauchen Geld. Da sind die übergeordneten Ebenen gefragt, denn wir als Stadt können das nicht leisten, dafür fehlen uns die Mittel. Wir können nur, etwa über unsere Wirtschaftsförderung, eine beratende Unterstützung anbieten.

Ist das Paket, das Bund und Länder geschnürt haben, ausreichend?

Es ist ein guter erster Schritt. Aber das reicht nicht aus, es müssen weitere Schritte folgen.

Hat Deutschland gut reagiert?

Ich denke, die unterschiedlichen Ebenen haben zu lange zu unterschiedlich agiert. Das müssen wir aus dieser Krise für die Zukunft lernen: dass wir in einer solchen Situation ein sauber abgestimmtes Handeln im Bund, im Land und in den Kommunen brauchen. Das Ergebnis, das wir jetzt haben, kann sich zwar sehen lassen. Aber bis es so weit war, hatten wir erstmal einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen. Es kann nicht sein, dass wir in Ludwigsburg Regelungen treffen und unsere Nachbargemeinde ganz andere Regelungen trifft – obwohl beide Kommunen mit der gleichen Gefahr konfrontiert sind.

Viele haben das Virus am Anfang unterschätzt. Thomas Schönauer, der Leiter des Kreisgesundheitsamtes, sprach gar von Hysterie, von einem Medienphänomen.

Ich mache da niemandem einen Vorwurf. Es ist schon richtig, dass wir alle, die gesamte Bevölkerung, das zunächst unterschätzt haben. Das ist auch verständlich: Die Gefahr war am Anfang unwirklich, unsichtbar, schwer greifbar. Wir haben die Bilder aus Italien gesehen und uns gleichzeitig über den herrlichen Sonnenschein bei uns gefreut. Heute ist allen klar, wie brutal und wie real dieses Virus ist, aber das hat eine gewisse Zeit gedauert.

Die Gesellschaft wirkt solidarisch zurzeit. Kann das nachhaltig sein? Kann die Krise langfristig positive Auswirkungen haben?

Ich denke, dass sich etwas verändern wird, ja. Die Menschen werden sich mehr Gedanken machen darüber, was wirklich wichtig in ihrem Leben ist und wo ihre Prioritäten liegen. Das kann auch für Unternehmen gelten oder beispielsweise für unsere Verwaltung. Können wir uns mehr auf das Wesentliche fokussieren? Werden wir unsere Freiheit wieder mehr wertschätzen? Ich hoffe es. Ein Stück weit bin ich Realist. Viele eher ungesunde Verhaltensmuster werden sich wieder einschleifen, wenn die Normalität zurückkehrt. Aber ich glaube trotzdem, dass diese Zeit nicht spurlos an uns vorbeigehen wird und wir daraus etwas lernen werden.

Hätten Sie gewusst, dass Sie monatelang primär als Krisenmanager arbeiten müssen: Wären Sie trotzdem als OB in Ludwigsburg angetreten?

Ich würde es jederzeit wieder tun.

Biografie
Matthias Knecht, Jahrgang 1975, stammt aus Ludwigsburg. Nach dem Wehrdienst studierte er in München und Konstanz Jura sowie in Speyer Verwaltungswissenschaften. Drei Jahre war er in der Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart aktiv, 2011 wurde er als Professor an die Hochschule Kempten berufen. 2016 wurde er dort Dekan.

Oberbürgermeister
Bei der Ludwigsburger OB-Wahl im vergangenen Juni gewann Knecht (parteilos) deutlich gegen den Amtsinhaber Werner Spec, er holte 58,5 Prozent der Stimmen. Im Amt ist er seit dem 1. September.