So gigantisch sind Zeitungspapierrollen, die Papierhersteller wie Stora Enso produzieren. Foto: Stora Enzo/Mikko Nikkinen

Es steht deutlich weniger Altpapier zur Verfügung als in den vergangenen Jahren. Das verlangt Zeitungs- und Buchverlagen einiges ab. Warum es an Papier mangelt.

Stuttgart - Wenn das keine Erfolgsgeschichte ist. Mehr als vier Milliarden Pakete wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verschickt, gut zehn Prozent mehr als 2019. Dieses Jahr sollen es weitere knapp zehn Prozent mehr werden, davon geht der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) aus. Der Online-Handel boomt, nicht zuletzt dank Corona. Die Kartons landen in der Tonne. Auch die Take-away-Verpackungen sind, nachdem das mitgenommene Essen verzehrt ist, nur noch Altpapier. Und statt aus Plastik sind Tüten aus Papier für den Einkauf angesagt. Die Altpapier-Container waren zuletzt gut gefüllt.

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Dennoch: „Das Altpapier-Aufkommen ist im vergangenen Jahr gesunken“, sagt Johannes Degen, Chef der Pressehaus Stuttgart Druck GmbH. Die Menge geht nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Polen zurück. Thomas Braun bestätigt die Entwicklung. 30 Prozent weniger Altpapier, so schätzt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE), seien 2020 gesammelt worden. Überproportional rückläufig war dabei das helle Altpapier, also Zeitungen und Zeitschriften.

Das hat mit der Pandemie zu tun. Weil große Teile des Einzelhandels über Monate geschlossen waren, gab es weniger Werbebeilagen, erläutert Holger Paesler, Geschäftsführer des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV). Auch die Zahl der redaktionellen Beilagen war rückläufig. Und weil kaum noch Sport- und Kulturveranstaltungen stattfanden, hatten viele Zeitungen zudem vorübergehend den Umfang reduziert.

Der Preis für Altpapier steigt

Mit dem Ende des Teil-Lockdowns hat sich das Anzeigengeschäft belebt. Der Einzelhandel inseriert. Doch nun – Stichwort: Altpapier – fehlt es den Zeitungen an hellem Papier. Verschärfend kommt hinzu, dass die zunächst vollen Lager der Papierindustrie inzwischen leer sind. Die Folge: Der Preis für Altpapier ist in die Höhe geschnellt und hat sogar ein Allzeithoch erreicht, wie Braun erläutert. Laut VSZV-Chef Paesler sind die Preise regelrecht explodiert: „Aktuell sprechen wir von Preiserhöhungen von 30 bis 40 Prozent pro Tonne.“ Es seien zudem weitere Steigerungen um 60 bis 70 Prozent angekündigt. Damit sehen sich nun die Zeitungs- und Zeitschriften-, aber auch die Buch-Verlage konfrontiert.

Die Entwicklung treibt Degen Sorgenfalten auf die Stirn. Denn er ist nicht nur Chef der Pressehaus Stuttgart Druck GmbH, sondern auch Geschäftsführer der Einkaufsgemeinschaft für Verlage. In dieser Gemeinschaft haben sich Verlage zusammengeschlossen, um gemeinsam Zeitungspapier einzukaufen. Degen erwirbt das Papier also nicht nur für Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, sondern auch für Zeitungen wie die „Süddeutsche“ und die „Frankfurter Allgemeine“. Derzeit führt er Verhandlungen für die Papierlieferungen im nächsten Jahr – und sieht sich seitens der Papierfabriken mit geforderten Preiserhöhungen im hohen zweistelligen Prozentbereich konfrontiert. Wie schwierig sich die Verhandlungen gestalten, zeigt ein Blick zurück. Denn bereits in den vergangenen Monaten sei es von Seiten der Papierfabriken zu Lieferverzögerungen, teilweise zu Mengenkürzungen von bis zu zehn Prozent und – trotz Verträgen – auch zu Preiserhöhungen gekommen, erläutert Degen.

Mehr Papier zu produzieren, ist nicht so einfach

Die Lage scheint so ernst, dass einige Zeitungen – wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ – bereits gezwungen sind, ihre Umfänge zu reduzieren. Degen sagt dazu: „Bei Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten ist die Versorgungslage bereits auch kritisch.“ Und sollte Unvorhersehbares geschehen – wie der Brand in einer Papierfabrik – werde es ohnehin schwierig. So sei aus diesem Grund in der Schweiz über Wochen eine Papierfabrik ausgefallen. Die Folge war, dass die Tageszeitungen in der Schweiz weniger Seiten drucken konnten.

Doch warum produzieren die Papierfabriken angesichts der Nachfrage nicht einfach mehr? Warum greifen sie, wenn Altpapier knapp ist, nicht auf den Rohstoff Holz zurück? Die Antwort: Kurzfristig ist das nicht machbar. Vereinfacht ausgedrückt ist eine Papierfabrik unflexibel. Wenn sie auf Altpapier ausgelegt ist, braucht sie eben Altpapier. Zeitungspapier besteht bis zu 100 Prozent aus Altpapier, das übrigens bis zu acht Mal recycelt werden kann. Es eignet sich aber nicht irgendein Altpapier. Die Entsorger sortieren das gesammelte Altpapier in 70 unterschiedliche Sorten, erläutert Braun, der beim BVSE für den Fachbereich Papierrecycling zuständig ist. Kartonagen kommen zu Kartonagen, ebenso kommen Zeitungen und Zeitschriften auf einen Haufen. Für den Zeitungsdruck können keine Kartonagen verwendet werden – wegen der braunen Farbe.

Kartons werden wichtiger

Das Geschäft der Papierindustrie hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin stärker Richtung Kartons und Verpackungsmaterialien verlagert. Dort gab es die größten Zuwachsraten; der Bedarf an grafischen Papieren hingegen, dazu gehört Zeitungspapier, ist insgesamt rückläufig – von zehn Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf noch sechs Millionen Tonnen im vergangenen Jahr. Der Bedarf an Pappe und Kartons ist in dieser Zeit um 50 Prozent auf mehr als zwölf Millionen Tonnen in die Höhe geschnellt.

Und dieser Aufschwung dürfte wohl anhalten. So rechnet die Paket- und Logistikbranche etwa mit einem Wachstum der Pakete bis zum Jahr 2025 auf knapp 5,7 Milliarden Sendungen.