In Herrenberg soll der Bus künftig häufiger kommen, schneller fahren und die Fahrt auch billiger werden. Dafür soll mithilfe des Bundes einiges investiert werden. Foto: dpa

Dicke Luft macht erfinderisch: Die vom Bund ausgewählten Modellstädte Herrenberg und Reutlingen haben ihre Vorschläge erarbeitet, wie sie die Stickoxidbelastung senken wollen. Was wurde aus der Idee für einen kostenlosen Nahverkehr?

Reutlingen - Bis zu 2500 Euro hat einst die Abwrackprämie gebracht. Die Stadt Reutlingen möchte den Fahrern älterer Dieselautos jetzt sogar noch einmal für einen Umstieg auf eine saubere Form der Fortbewegung 1000 Euro mehr anbieten. Auf exakt 3543 Euro beziffert die Stadtverwaltung das von ihr geschnürte Paket aus Jahreskarte, Taxigutscheinen, kostenlosen Metropoltickets für den Großraum Stuttgart und Mitgliedsausweis für den örtlichen Carsharingverein. Im Gegenzug müsste nicht das Auto verkauft, aber doch der Fahrzeugschein für ein Jahr in der Zulassungsstelle hinterlegt werden. Mit diesem sinnigerweise blau gefärbten Umweltpaket sollen Fahrverbote, die Dieselfahrern ohne Euro-6-Motor bei der Einführung einer Blauen Plakette drohen würden, überflüssig gemacht werden.

Das Konzept ist ein Teil einer Vorschlagsliste, die die parteilose Oberbürgermeisterin Barbara Bosch dieser Tage fristgerecht dem Bundesumweltministerium zugeleitet hat. Bis zum Donnerstag hatten die fünf vom Bund ausgewählten Modellstädte Zeit, ihre Vorschläge für wirksame Maßnahmen gegen die Belastung durch Stickoxide und Feinstaub einzureichen.

Wer gibt seinen Fahrzeugschein ab?

Die vom Bund selbst eingebrachte Idee eines gänzlich kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs spielt inzwischen offenbar keine Rolle mehr. Doch auch so wird die Bundesregierung Millionenbeträge lockermachen müssen, wenn sie den Konzepten von Reutlingen, Herrenberg (Kreis Böblingen), Mannheim, Bonn und Essen folgt. Allein das von Reutlingen vorgeschlagene blaue Umweltpaket würde nach Berechnungen der Stadtverwaltung bei geschätzten 2500 Nutzern etwa neun Millionen Euro kosten. Dann würden fünf Prozent der betroffenen Dieselfahrer in der Stadt und im Umland von dem Angebot Gebrauch machen, hieß es.

Man habe in kürzester Zeit Vorschläge zusammengetragen, die eine echte Entlastung bringen könnten, erklärte der Herrenberger Oberbürgermeister Thomas Sprißler (Freie Wähler) zur Vorschlagsliste seiner Stadt. In Herrenberg geht es unter anderem um eine digitale und flexible Verkehrssteuerung, Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr und eine Förderung des Radverkehrs. Vor allem seien bauliche Veränderungen nötig, sagte der Baubürgermeister Tobias Meigel. So solle der Autoverkehr auf den Hauptverkehrsachsen auf Tempo 30 gedrosselt werden, für die Linienbusse solle es im Gegenzug Beschleunigungsmöglichkeiten geben, zudem brauche es bessere und schnellere Radwegeverbindungen und zeitgemäße Radabstellanlagen inklusive vollautomatischer Fahrradparkhäuser. Für die Mitarbeiter im Rathaus wolle man Pedelecs, Lastenfahrräder und Elektroautos anschaffen. Wegen der vielen Fahrten, die kürzer sind als fünf Kilometer, scheine der Ausbau des Radverkehrs für Herrenberg besonders geeignet. „Für die Umsetzung brauchen wir jedoch die finanzielle und organisatorische Unterstützung des Bundes“, sagte OB Sprißler.

Das Wiener Vorbild macht Schule

Auch die Stadt Essen teilte mit, sie habe eine Liste mit 31 Maßnahmen an das Berliner Umweltministerium gesandt. Darin geht es um Park-and-ride-Plätze, Shuttlebusse, den Ausbau des Radwegenetzes und Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr. Letztere spielen auch in den baden-württembergischen Städten eine Rolle. Am konkretesten äußerte sich auch hierzu die Stadt Reutlingen. Demnach denke man an einen „blauen Montag“: Zum Wochenbeginn solle der Preis eines Bustickets grundsätzlich nur einen Euro betragen. Zudem plane man ein Jahresabo nach dem Wiener Vorbild. Dort kostet die Jahreskarte 365 Euro, also einen Euro pro Tag. Bislang sind es in Reutlingen 511,20 Euro. Auch dort soll die Grundgebühr für die Mitgliedschaft im Carsharingverein im Abopreis enthalten sein. Mit den Projektpartnern sei das besprochen.

Zudem hofft Reutlingen darauf, dass der Modellversuch den Bemühungen um eine Wiederetablierung einer Straßenbahn in der 116 000-Einwohner-Stadt neuen Schwung verleiht. Die Pläne für eine Regional-Stadtbahn im Raum Tübingen/Reutlingen liegen längst vor. Noch fehlt die Förderzusage des Bundes. Ob sich dies nun ändert, ist ungewiss. Denn dem Bund geht es um schnell wirksame Maßnahmen.

Der Bund will schnell handeln

Die Vorschläge würden geprüft, sagte Nina Wettern vom Bundesumweltministerium. Geld spiele in den Überlegungen eine untergeordnete Rolle, aber: „Wir wollen das nicht monatelang verschleppen.“ In Herrenberg geht man davon aus, dass die Maßnahmen bereits im nächsten Jahr realisiert werden. Dann könnte der Grenzwert von 2020 an eingehalten werden. Der Bau einer neuen Stadtbahn dürfte hingegen Jahre dauern. Für die Städte ist aber genau dies wichtig. „Nur wenn wir den kurzfristigen Ansätzen mit dauerhaft wirksamen Maßnahmen Glaubwürdigkeit verleihen, können wir davon ausgehen, dass Menschen und Unternehmen ihr Mobilitätsverhalten ändern“, sagte der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU).