Eine Frau winkt bei einer Großkundgebung gegen die Regierung eine tschechische Flagge von einem Dach – mehr als 250 000 Demonstranten fordern Ministerpräsident Babis ultimativ zum Rücktritt auf. Foto: dpa/Petr David Josek

Vor 30 Jahren endete die kommunistische Diktatur in der damaligen Tschechoslowakei. Doch vielen ist heute nicht zum Feiern zu Mute. 250 000 Menschen demonstrieren in Prag gegen die Regierung.

Prag - Im Grunde sind es Selbstverständlichkeiten, die Mikulas Minar einfordert. „Wir wollen Politiker, die nicht lügen und stehlen, sondern die Regeln der Demokratie respektieren“, sagt der 26-jährigen Prager Philosophiestudent. In Tschechien aber sind das keine Allgemeinplätze, sondern Existenzfragen. Zumindest sieht das Minar so, der Organisator der Kampagne „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“. Ähnlich denken Hunderttausende meist junger Tschechen, die am Samstag auf die Prager Letna-Ebene kamen, um gegen die Regierung von Ministerpräsident Andrej Babis zu demonstrieren. Der populistische Premier, so lautet ihr Vorwurf, sei korrupt, missachte die Spielregeln der Demokratie und gefährde auf diese Weise das Erbe der Samtenen Revolution von 1989.

So gesehen hätte es für die Demonstranten kein besseres Datum als dieses Wochenende geben können, um ihren Protest auf die Straße zu tragen und der Regierung mitten im graukalten November einzuheizen. Denn genau vor 30 Jahren, am 16. und 17. November 1989, hatte in Bratislava und Prag unter Führung des Dichters Vaclav Havel jene Revolte ihren Lauf genommen, die den rasanten Untergang der kommunistischen CSSR einleitete. Gut eine Viertelmillion Menschen erinnerte am Samstag an das Ereignis und forderte eine Erneuerung der Demokratie, unter Berufung auf die Freiheitskämpfer von einst. „Wir müssen den Rechtsstaat stärken und die Gleichheit vor dem Gesetz durchsetzen“, sagte der ehemalige Havel-Vertraute und Weihbischof Vaclav Maly.

Multimilliardär Babis ist zu einem der reichsten Männer Mitteleuropas aufgestiegen

All das richtete sich vor allem gegen Babis, der davon unbeeindruckt am Sonntag im Prager Nationalmuseum eine Ausstellung zur Samtenen Revolution eröffnete. Im Beisein von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und den Regierungschefs von Polen, Ungarn und der Slowakei erklärte er, hörbar um Mäßigung bemüht: „Havels Mut war bewundernswert, selbst wenn die Meinungen über ihn auseinandergehen.“ Das hatte man von dem 65-Jährigen auch schon schärfer gehört. Zuletzt beschrieb er das Erbe Havels, des ersten postkommunistischen Präsidenten auf der Prager Burg, immer wieder mit Schlagworten wie „Entkernung von Betrieben, Mafiakämpfe, Oligarchie, Korruption“.

Dabei erwähnte der Multimilliardär Babis allerdings nicht, dass er selbst in dieser Zeit mit seiner Agrar-Chemie-Holding zu einem der reichsten Männer Mitteleuropas aufstieg, begleitet von diversen Skandalen. Genau das war der Anlass für die Gründung der Protestbewegung „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“, die bereits Anfang Juni 300 000 Menschen zum Protest gegen „das korrupte Babis-Regime“ auf die Prager Letna-Ebene gelockt hatte. Am Wochenende nun läuteten Minar und seine Mitstreiter einen heißen Prager Herbst ein. Die Demonstrierenden stellten dem Premier ein Ultimatum. Bis zum Jahresende müsse Babis sich von seinem Medienimperium trennen und Justizministerin Marie Benesova entlassen oder selbst zurücktreten. So lange werde man den Protest fortsetzen.

Justizministerin Benesova soll im Hintergrund zu Gunsten von Babis die Fäden gezogen haben

Bereits am Sonntag ließen die Babis-Gegner ihren Worten Taten folgen und organisierten rund 150 kleinere Protestaktionen im ganzen Land fort. Als Babis in Prag Blumen zum Gedenken an die Freiheitskämpfer von 1989 niederlegte, wurde er ausgepfiffen. Die Regierungskritiker werfen dem Premier vor allem vor, seine politischen Ziele und seine geschäftlichen Interessen nicht sauber zu trennen. Tatsächlich ist Babis in den vergangenen Jahren immer wieder ins Visier der tschechischen Behörden, aber auch der EU-Kommission und der Brüsseler Anti-Korruptions-Einheit Olaf geraten. Im wohl bekanntesten „Fall Storchennest“ stand der Vorwurf im Raum, die Familie Babis habe sich beim Bau eines Wellness-Resorts EU-Fördergelder erschlichen.

Allerdings stellte die tschechische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im September ein. Ein Fehlverhalten sei nicht nachweisbar. Die Opposition jedoch hat dafür eine einfache Erklärung. Justizministerin Benesova soll im Hintergrund zu Gunsten von Babis die Fäden gezogen haben.