In weniger als 20 Sekunden schneidet der Laser des Maschinenbauers Trumpf einen Kopfbügel aus. Der wird in Stuttgart zusammen mit weiteren Teilen wie ein Puzzle zu einem Gesichtsvisier zusammengebaut. Foto: Arena2036

Im Kampf gegen das Coronavirus gehen etliche Unternehmen fremd – und helfen bei der Produktion von Dingen, die gerade so rar wie begehrt sind. Der Ditzinger Maschinenbauer Trumpf zum Beispiel.

Ditzingen/Stuttgart - Die Laser in dem Vorführzentrum mit dem Namen Laser Application Center des Maschinenbauers Trumpf haben schon viele Materialien geschnitten. Von der Flexibilität der Maschinen überzeugen sich die Kunden bei ihren Besuchen am Stammsitz in Ditzingen regelmäßig. Was eine der unzähligen Maschinen in dem nach eigenen Angaben weltgrößten Laserlabor derzeit von morgens bis abends schneidet – und vor allem wofür – ist trotzdem eine Premiere: Kopfbügel aus Kunststoff für Gesichtsschilde. Diese kommen seit April in Kliniken und Arztpraxen zum Einsatz. Dieser Schutz über den Gesichtsmasken ist bei medizinischem Personal in Zeiten des Coronavirus gefragter denn je – und infolge dessen rarer denn je.

„In den ersten Wochen und Monaten der Pandemie mangelt es an vielem“, sagt der Unternehmenssprecher Manuel Thomä. Auch medizinische Gesichtsschilde seien Mangelware. Sich bei deren Herstellung zu engagieren, sei deshalb eine so wichtige wie tolle Sache. Gleichwohl betont Thomä, dass dies kein strategisches Thema bei Trumpf sei. „Wir produzieren Maschinen – und keine Produkte damit.“

Die Vorlage kommt aus Tschechien

Hintergrund des Engagements ist die Produktionsinitiative von wiederverwendbaren Gesichtsvisieren des Forschungscampus’ Arena2036 und des Instituts für Flugzeugbau (IFB) der Universität Stuttgart. Die Forschungsplattform für die Mobilität und Produktion der Zukunft läuft wie so vieles momentan auf Sparflamme. Da sei die Idee entstanden, dass man zur Corona-Krise doch eine Lösung beitragen könne, berichtet Philipp Weißgraeber. Er leitet mit Frieder Heieck das Projekt. Weil die Gesichtsvisiere nach dem Desinfizieren erneut genutzt werden könnten, hätten sie einen erheblichen Einfluss.

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Die Kopfhalterung eines tschechischen Unternehmens diente als Vorlage. Sie sei weiterentwickelt und verbessert worden, sagt Weißgraeber. „Mit einem unserer 3-D-Drucker haben wir dann ein eigenes Design hergestellt.“ Allerdings: Für einen Bügel braucht der Drucker eineinhalb Stunden. Hier kam der Maschinenbauer Trumpf ins Spiel. Sein Laser schafft es, in weniger als 20 Sekunden einen Bügel aus einer großen Platte herauszuschneiden – und damit Hunderte am Tag. Damit möglichst viele Visiere hergestellt werden können, produziert parallel noch ein großer 3-D-Drucker in Stuttgart die Bügel. Er benötigt sechs Minuten pro Stück.

Bauteile wie ein Puzzle zusammenfügen

Der Forschungscampus Arena2036 ist die zentrale Stelle für Montage, Logistik und Versand der Visiere. Am Pfaffenwaldring in Stuttgart werden in einer eigens dafür aufgebauten Fertigungsstraße die einzelnen Bauteile wie ein Puzzle zu einem Ganzen zusammengefügt, verpackt und verschickt. Laut Weißgraeber können täglich bis zu 900 Schutzschilde produziert werden – dank vieler Helfer: An der Aktion wirken neben Mitarbeitern der Arena2036, der Universität Stuttgart und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) etliche Partnerunternehmen mit – neben Trumpf auch BASF oder Ensinger Kunststoffe – sowie Forschungseinrichtungen.

Die Wissenschaftler fanden nicht nur bei der Produktion der Kopfbügel ungewöhnliche Lösungen. Erfinderisch galt es auch zu sein, um weitere Bauteile für das Gesichtsvisier zu erhalten. Das Material für die durchsichtigen Frontschilder sei ebenso rar geworden wie die nötigen Gummibänder, sagt Philipp Weißgraeber. Also habe man dicke Folien umfunktioniert, die für gewöhnlich als Schutz für Bachelor- und Masterarbeiten etwa dienen. Und die Gummibänder wurden eigenhändig aus Silikon hergestellt.

Die Gesichtsvisiere gehen sogar ins Ausland

Mehr als 6000 Gesichtsvisiere sind bereits in Umlauf gebracht worden. Die ersten 200 erhielt das Klinikum Ludwigsburg. Zu den Abnehmern gehören auch Pflegeheime mit Covid-19-Patienten, sagt Philipp Weißgraeber. Er ist stolz darauf, dass die Schutzschilde sogar an der Berliner Charité und in der besonders vom Coronavirus betroffenen italienischen Stadt Bergamo, aber auch in deren Umgebung zum Einsatz kommen. Und er ist stolz auf sein Team.

Mit ehrenamtlichem Einsatz sorge es dafür, dass die Visiere für die Abnehmer kostenlos sind. „Keiner der Beteiligten will sich bereichern. Das ist schön zu sehen“, sagt Philipp Weißgraeber. Die im Wesentlichen für das Material anfallenden Kosten trägt die Arena2036. Sie sollen mit den Spendengeldern der Abnehmer gedeckt werden. Der Überschuss soll am Ende an eine gemeinnützige Organisation fließen.

Derzeit können die Wissenschaftler die Anfragen problemlos bearbeiten. „Wir haben das Gefühl, dass wir der Nachfrage nachkommen“, sagt Weißgraeber. Man decke den akuten Bedarf, bis die industriellen Fertigungsprozesse soweit seien. Grundsätzlich kämen kleine Arztpraxen schwerer an Schutzschilde heran als Kliniken, denen das zunehmend leichter falle, stellt Weißgraeber fest. Er ist außerdem froh, dass er die Gesichtsvisiere auch ins Ausland schicken kann. Mindestens bis Ende Juni soll die Aktion weiterlaufen.

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Laserdioden für Beatmungsgeräte

Derweil ist der Maschinenbauer Trumpf noch an anderer Stelle im Kampf gegen das Coronavirus tätig: In Ulm rüstet das Tochterunternehmen Photonic Components Laserdioden um. Sie sind eigentlich für die Industrie gedacht, messen normalerweise die Sauerstoffmenge beim Betanken von Flugzeugen. Nun werden sie in Sauerstoffsensoren für Beatmungsgeräte verbaut. Dort durchstrahlen sie die Atemluft des Patienten. Bis Ende Mai sollen die Laserdioden für 3500 Beatmungsgeräte ausgeliefert werden.

Photonic Components beliefert unter anderem die Smartphone- und Autoindustrie. Dort werden die Dioden 100 000-fach eingesetzt. Insofern ist der Auftrag zwar vergleichsweise klein, doch für Trumpf so besonders wie einmalig, sagt der Unternehmenssprecher Thomä.