Europa-Abgeordneter Martin Sonneborn Foto: EPA

Das Publikum bei Martin Sonneborns Auftritt an der Universität Stuttgart ist jung, vorwiegend männlich. 70 bis 80 Prozent sind Studierende. Was lockt sie? Schulterzucken. „Er ist anders als andere“, sagt einer. Anders als andere ­Satiriker, Kabarettisten? „Nein!“, ­Gelächter. „Anders als andere Politiker!“

Sonneborn per Video

Martin Sonneborn hat sich mit seiner Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative zum König aller Studentenscherze gemausert. Konsequent also, dass er am Dienstag in der Universität Vaihingen vor seine Fans tritt. Der Club Merlin war zu klein für eine Lesung, ebenso die Wagenhallen. Mehr als 600 Besucher drängen sich in den Hörsaal-Sitzreihen, gut 150 erleben den Politsaboteur in einem Nachbarsaal – eine Premiere für das neu installierte Übertragungssystem des Hörsaals. Das Publikum ist jung, vorwiegend männlich. 70 bis 80 Prozent sind Studierende. Was lockt sie? Schulterzucken. „Er ist anders als andere“, sagt einer. Anders als andere Satiriker, Kabarettisten? „Nein!“, Gelächter. „Anders als andere Politiker!“

Hauptsache Anzug

Am Hörsaalpult fühlt sich Martin Sonneborn spürbar wohl. Vor wenig mehr als zwei Jahren war Sonneborn zu Gast im Renitenz-Theater, auch dort blieb damals kein Platz frei, auch dort war das Publikum studentisch, auch damals hörte man von abenteuerlichen Plakat-Aktionen und Fackelmärschen, subversiven Einfällen und schlichtem Blödsinn, verübt im Namen der parlamentarischen Demokratie – von jenen, die an ihr zweifeln.

Sonneborns todernste Spaßpartei gibt es schon seit zehn Jahren, auch im Raum Stuttgart gedeihen ihre Ableger – sie trinken Bier und treiben Wahlkampf, in der Pause, vor der Tür des Hörsaales. Felix Mohr gehört zu ihnen, im Kreisverband Göppingen fungiert er als „Reissackbeauftragter“ und ist gekleidet, wie Politiker sich kleiden: „In anderen Parteien müssen alle Mitglieder derselben Meinung sein. Bei uns genügt es, wenn sie einen Anzug tragen!“. 60 Mitglieder besitzt Sonneborns Bande, kurz: Die Partei, im Kreis Stuttgart, 80 sind es in Esslingen, 1200 landesweit. Jede Auskunft, die Mohr gibt, steht auf einem kleinen Kärtchen, nicht größer als ein Führerschein. Darauf, das scheint die Botschaft zu sein, hat der gesamte Phrasenschatz der deutschen Politik schön Platz.

Im Auftrag des Geldes

Sonneborn ist weit eloquenter. Und er sieht einem seriösen Politiker zum Verwechseln ähnlich. So sehr, dass er jüngst gar ins Europaparlament Einzug halten durfte. Dort, sagt er im Tonfall eines Nachrichtensprechers, bestehe das Tagesgeschäft darin, Geld zu kassieren, Champagner zu schlürfen und Canapés zu verdrücken. „Wenn ich das nächste Mal komme und dann rein als EU-Abgeordneter zu Ihnen spreche“, sagt er sachlich, „kann ich auch das Bier subventionieren lassen.“ Für die Studierenden ist klar: Ihr Mann in Brüssel heißt nicht Günther Oettinger.

Sonneborn hat die Lacher immer auf seiner Seite, ganz gleich, ob er einen politisch unkorrekten Tiefschlag abfeuert, rechtslastige Parteien bloßstellt, sich über Gesichter und Leibesfülle bekannter Parteipolitiker mokiert oder einen verwischten pornografischen Wahlkampfspot zum Thema Familienpolitik präsentiert. Sein Ton ist immer trocken, unter dem Putz lauert die Häme. Gelegentlich scheint sich ein schiefes Grinsen in seinem Gesicht an die Oberfläche kämpfen zu wollen – aber wer weiß: Vielleicht ist auch das nur gespielt?

Vor langer Zeit hat Martin Sonneborn studiert und seinen Magister abgelegt – ein Titel, auf den er nun großen Wert legt. Wer sich in der Diskussion meldet, die Sonneborn seinem Vortrag folgen lässt, muss ihn mit „Herr Magister“ ansprechen, sofern er Studierender ist. Jubel in den Sitzreihen, aber der Referent bellt gleich los: „Was soll das hier?“, herrscht er. „Das ist keine Zirkusveranstaltung! Das geht alles ab von meiner Redezeit!“ Nun fassen sich die Studenten kürzer. Sie lassen nur noch die Korken ihrer Bügelflaschen knallen.

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