VfB-Aufsichtsratschef Martin Schäfer und sein Credo: Vertrauen muss man sich erarbeiten Foto: Baumann

So ist das alles nicht geplant. Er will nicht großartig mitspielen, dann steht er nach dem Abstieg plötzlich mitten in der Kritik: Martin Schäfer, Aufsichtsratschef beim VfB Stuttgart. Wer er ist, was er kann, was er will.  

Stuttgart - Vielleicht hat Martin Schäfer (59) auch nur kurz genickt, als sie ihn fragten, ob er sich vorstellen könne, den Vorsitz im Aufsichtsrat zu übernehmen. Seither bleibt sein Weinschorle, rosé, sauer, in der Würth-Loge öfter mal stehen. Halb voll oder halb leer. Wie so manches beim VfB Stuttgart. So oder so gibt es viel mit vielen zu bereden. Und das nicht erst, seit der Club nicht mehr zur Beletage des Fußballs zählt.

Zweitklassig zu sein passt in die Wertewelt von Martin Schäfer aber so wenig wie eine Rostbeule zu seinem altehrwürdigen Mercedes 280 SL. „Er will immer der Beste sein“, sagt ein Kollege aus dem Würth-Management und erzählt von einem internen Wettbewerb im Künzelsauer Schraubenimperium. Für die erfolgreichsten Verkäufer hatte die Chefetage ein Auto als Belohnung ausgelobt: einen Citroën, 2CV6. „Martin hat gleich zwei Enten heimgefahren.“

Klinken putzen bei den Sponsoren

Weil sich der Fußball aber nicht allein an Verkaufszahlen und Umsatzzielen orientiert, setzt sich der Vertriebschef und stellvertretende Sprecher der Adolf Würth GmbH & Co. KG inzwischen häufig mit den Anforderungen von Einzelunternehmern auseinander, die sich im Wochenturnus zu einer Mannschaft formieren. „Der Abstieg“, seufzt Schäfer, „hat uns brutal viel Energie geraubt. Das Wichtigste war ja zunächst, dass uns die Sponsoren nicht abspringen.“ Im Team mit Marketingvorstand Jochen Röttgermann und den Kollegen im Aufsichtsrat, Hartmut Jenner (Kärcher) und Winfried Porth (Daimler), putzte er die Klinken. Fast alle blieben am Ball.

Dass er der Tiefentladung seines Akkus am Saisonende mit einem Kurzurlaub auf Mallorca vorzubeugen gedachte, wertete die weiß-rote Trauergesellschaft allerdings als grobes Foul gegen die Pflichten eines Chefkontrolleurs. Da half auch nicht sein Verweis auf moderne Methoden der Kommunikation und auf eine Standleitung zum Wasen. „Wir waren immer top informiert.“ Immerhin meldete der Zweitligist schon Tage später erklecklichen Zuwachs an sportfachlicher Kompetenz (Hitzlsperger/Kienle) und in Jos Luhukay die Verpflichtung eines Trainers, der eine Vorstellung davon vermittelte, dass es für den Wiederaufstieg mehr brauchen könnte als eine durchschnittlich begabte Bolzplatz-Truppe. Am Ende spuckte das vereinsinterne Assessment-Center sogar noch einen neuen Sportvorstand aus. „Jan Schindelmeiser“, versichert der Aufsichtsratschef, „ist fachlich kompetent und charakterlich integer.“

Aber der Manager aus dem Reich der Montagprofis kennt auch die Handwerker-Formel: Nach fest kommt ab. Dass sich beim VfB die Bauteile wie gewünscht zusammenfügen und künftigen Belastungen standhalten, war von Anfang so unsicher wie der sofortige Wiederaufstieg. Luhukay ist schon wieder auf Reisen, jetzt versucht Hannes Wolf als VfB-Trainer sein Glück. Der frühere S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich kandidiert fürs Präsidentenamt. Teile der Fangemeinde beobachten das Geschehen im Verein ihres Herzens mit Argwohn. Schäfer sieht die Auseinandersetzungen realistisch: „Vertrauen muss man sich erarbeiten.“

Hornhaut auf der Seele

Ein bisschen Hornhaut auf der Seele kann dabei nicht schaden. Diesbezüglich setzte der in Altdorf aufgewachsene Topverkäufer schon als Schüler Akzente: Weil die Tiefbauarbeiten der Wühlmäuse auf Äckern und Weiden erhebliche Schäden nach sich zogen, zahlte der Landwirt 50 Pfennig pro erlegtem Delinquent. Schäfer, das Cleverle, reichte seine Jagdtrophäen an den Vetter aus dem Nachbarort weiter. „In Raidwangen gab es 80 Pfennig“, erinnert sich Schäfer und lacht.

Als eines von zehn Kindern einer Bauernfamilie ging man eben nicht mal schnell an den Bankautomat, wenn das Geld knapp wurde. Schäfer verdingte sich für zwei Mark die Stunde beim Landwirt nebenan. Rüben putzen, Kartoffeln ernten. „Zu Hause gab’s ja nichts zu verdienen.“

Die Jugendfeuerwehr war Pflicht, als Fußballer war er in Altdorf, Mittelstadt und Pliezhausen am Ball. Torwart in der Bezirksliga. Ein Typ wie Sepp Maier. Es war nicht immer einfach mit ihm. In einer Saison sah er dreimal Rot. Er schleuderte einen Gegner im Zorn ins Tor, er erwischte den Schiri „zufällig“ mit dem Torabstoß, und als er Wochen später nach einer Gelben Karte seinen Namen sagen sollte, schnaubte er: „Scheufele, Geburtshelfer.“ Nach vier Kreuzbandrissen war Schluss. Mit 27 Jahren. Der Widerspruchsgeist ist ihm geblieben.

Stoff für angeregte Gespräche

„Ich sag’ immer, was ich denke“, bestätigt Schäfer. Weshalb die Großkopfeten in der VIP-Loge schon mal die Augenbrauen heben, wenn er den Lauf der Welt kommentiert. Auch der kühne Kleidungsstil und seine individuelle Antwort auf Fragen der Frisurenmode liefern Stoff für angeregte Gespräche. Er deutet auf seinen beige Anzug, das weiße Hemd, die dunkle Krawatte. „Bin ich etwa schlecht gekleidet?“ Kopfschütteln. Pause. „Ich zieh’ eben am liebsten an, worin ich mich wohl fühle.“ Reinhold Würth, der Patriarch, soll ihm einmal bedeutet haben, dass seine Haartracht in der Chefetage nicht mehrheitsfähig sei. „Da bin ich ein halbes Jahr nicht mehr zum Friseur gegangen.“ Manchmal steht er eben quer im Stall.

Wie früher in der Realschule. Seine Mutter musste die Lehrer öfter mal davon überzeugen, dass ihr Martin kein Schlawiner sei. Er lernte Großhandelskaufmann und landete mit 19 Jahren im Imperium von Reinhold Würth. Von dem er sich, wie er sagt, viel abgeschaut hat. Gelernt hat er Werte, die sich „zu hundert Prozent auf den VfB übertragen lassen“. Fleiß, Loyalität, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, Leistungswille, Vertrauen. Und alles das, was er unter „sauberer Führungskultur“ zusammenfasst. „Ein Mitarbeiter“, sagt Schäfer, „muss sich auf seinen Chef verlassen können. Er muss berechenbar sein. Und konsequent.“ Deshalb, meint er, sei Wolfgang Dietrich auch der richtige Präsident für den VfB, denn: „Er ist eine Persönlichkeit, die nicht beim ersten Windstoß ins Wanken gerät.“

So wie Schäfer. 4500 Mitarbeiter im Außendienst und in den Niederlassungen hören auf sein Kommando. Sein Arbeitstag beginnt in Mittelstadt um 4.30 Uhr, um viertel vor sechs fährt er los, um fünf nach sieben sitzt er in Künzelsau in seinem Büro. „Dann fräs’ ich durch den Tag.“ Manchmal holt ihn in Echterdingen der Firmenjet ab. Dann fliegt er kreuz und quer durch die Republik. Die Verkäufer müssen wissen, dass vom Nasebohren noch keiner reich geworden ist.

Seine Reden, auch beim VfB, sind keine rhetorischen Glanzstücke, er geht aber keiner Diskussion aus dem Weg, und wenn ihm etwas über die Hutschnur geht, kann die Wortwahl auch mal aus der Schublade stammen, die etwas tiefer hängt. „Aber er ist ehrlich und absolut authentisch“, sagt der Kollege aus dem Würth-Management.

Absolut authentisch

Schäfer kaufte sich mit 40 einen Porsche, mit 50 einen Ferrari, am liebsten tuckert der Vater von drei Kindern aber mit seinem restaurierten Traktor durch den Ort. Mit den Enkelkindern um ihn rum. Im Sportheim gibt’s ein Eis, beim Bäcker eine Brezel. Freude pur. Beim VfB wird es mehr brauchen, um wieder in glückliche Gesichter zu blicken. „Wir knien uns im Aufsichtsrat echt rein“, sagt Schäfer, „aber wir können machen, was wir wollen. Wenn es nicht klappt, sind wir der Fisch.“ Und das Schorle bleibt stehen.