Martin Helmchen Foto: Giorgia Bertazzi

Martin Helmchen hat bei der SKS-Reihe „Meisterpianisten“ Schumanns Novelletten gespielt.

Stuttgart - Klare Struktur? Geschlossene Form? Bei Robert Schumann ist alles Aus- und Aufbruch. Zwar wollte der Komponist 1838 mit seinen acht Novelletten für Klavier solo musikalische Gegenstücke zur literarischen Form der Novelle schaffen, zwar liegt allen Stücken seines op. 21 eine A-B-A-Form zugrunde, aber von der geordneten Welt der Erzählungen sind seine Klänge Welten entfernt. Schumanns Novelletten beschreiben meist nicht nur eine, sondern meist gleich mehrere jener „unerhörte Begebenheiten“, die Goethe als typisch für die Novelle definierte. Sie sind nie so linear wie diese, teilen aber mit dem literarischen Vorbild immerhin eine Neigung zu eher diffusen Schlussszenarien.

Es ist eine schöne Idee, Schumanns Zyklus aufzubrechen und seinen Einzelstücken Werke anderer Zeiten als Kontraste oder Fortspinnungen gegenüberzustellen. Das tat am Mittwochabend Martin Helmchen bei seinem Debüt in der „Meisterpianisten“-Reihe der SKS Russ: Zu hören waren zwei pausenlos gespielte Programmteile von je einer Dreiviertelstunde als Geschwindmarsch durch zweieinhalb Jahrhunderte. Dieser hatte allerdings weniger einen didaktischen denn einen rein spielerischen Impetus; es ging eher um Wirkung als um Erkenntnis, und es gab nicht wenige Momente, in denen das Konzept wirkte wie ein buntes Deckmäntelchen für überspitzte Klavierrecital-Beliebigkeit – oder wie der Versuch, ein fragmentarisches Patchwork-Programm als dramaturgisch sinnfällig zu verkaufen.

Klanglich Diffuses und großer Ausdruckswille

Tatsächlich jedoch lag Sinnfälligkeit bei den gewählten Werkkombinationen eher fern. Wäre es darum gegangen, die formalen Ausbruchsversuche in Schumanns dritter Novellette zwingend einzubetten, hätte man etliche kühnere Sätze Bachs zur Auswahl gehabt als ausgerechnet die Sarabande der vierten Partita. Und eine Verbindung von Schumann zu Schönbergs frei tonalen, auf fast Webernsche Weise lakonischen Klavierstücken op. 19 (warum ohne die Nr. 1?) herbeiargumentieren zu wollen, fällt ebenfalls nicht gerade leicht. Dass Martin Helmchen zumal im ersten Teil des Abends durch sein Spiel die Kontraste zwischen den Werken stark einebnete, homogenisierte das Programm, schliff aber auch Bach und Schönberg die Kanten ab. Ach wäre der Pianist doch mit Bach statt mit Schumann als Leitplanke durch die Historie geeilt!

Nach der Pause überzeugte Helmchen stärker. Freier, dabei klanglich konturierter wirkten die Novelletten bis hin zu jener übervollen Nr. 8, die hier als immer wieder aus der Zeit fallende Fantasie, aber eben auch als Summe des Ganzen zu erleben war. Chopins „Grande Valse Brillante“, erfreulich zurückgenommen, erklang als reine Poesie, und Liszts harmonischer Bodenlosigkeit in der „Bagatelle ohne Tonart“ wie auch in den „Nuages gris“ gab der Pianist Ausdruck und Raum. Das reichte zwar nicht, um den Abend zu einer unerhörten Begebenheit zu adeln, wohl aber, um sich eine Wiederbegegnung mit einem Tastenmann voller Ausdruckswillen zu wünschen – dann hoffentlich mit einem weniger schütter besetzten Beethovensaal.