Schlaglöcher werden auf der Johannesstraße mit Kaltasphalt geflickt Foto: Max Kovalenko

Seit der Aktion unserer Zeitung im vergangenen Februar, bei der die Leser aufgerufen waren, Schlaglöcher zu melden, ist klar: Die Straßen in und um Stuttgart sind in einem desolaten Zustand. Doch wie schlimm es wirklich ist, stellt sich jetzt im Frühjahr heraus, wenn der Boden auftaut.

Stuttgart - Täglich fahren jetzt bis Mitte des Frühjahrs rund 30 Trupps vom Tiefbauamt mit ihren orangefarbenen Kleinlastern durch die Stadt und bessern Schlaglöcher und Risse aus, die Frost und Nässe im Winter in den Asphalt von Straßen und Gehwegen gebissen haben. Halil Önder (43), Andy Bareiß (31) und Christian Stifani (22) sind im Westen im Noteinsatz. Auf der Ladefläche ihres Sprinter transportieren die drei Straßenbauer mehrere Hundert Kilo Kaltasphalt, 200 Kilo Sand, Wasser, Spaten, Kelle, Besen und Rüttelmaschine.

„Im Winter und Frühjahr gehen bei uns täglich bis zu fünf Beschwerden wegen Schlaglöchern ein“, sagt Jürgen Mutz vom Tiefbauamt. Auf Reklamationen reagieren seine Leute sofort: „Löcher, die zwei Zentimeter und tiefer sind, werden umgehend geflickt.“ Der Trupp, der im Westen unterwegs ist, fährt pro Tag rund 60 Kilometer ab. Nur langsam vorwärts geht es, weil das Team auf dem Weg zu den aufgelisteten Schäden alle Schadstellen repariert, die ihm auffallen.

Fünf Minuten für ein Schlagloch

An der Rosenberg- Ecke Johannesstraße stoppen sie. Dort tut sich auf dem Zebrastreifen ein etwa vier Zentimeter tiefes Loch mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern auf: eine Stolperfalle vor allem für Fußgänger. Stifani kehrt den Splitt aus dem Loch. Önder kippt aus dem Eimer den Kaltasphalt rein, streicht das Material mit der Kelle glatt und kippt Wasser aus der Gießkanne drauf, damit es fest wird. Zum Schluss wird die Flickstelle mit Sand abgebunden, damit der Asphalt nicht an Reifen und Schuhen klebt. Das Ganze dauert nicht länger als fünf Minuten. Nur wenige Meter weiter, an der Bushaltestelle, klaffen weitere Löcher und Rillen in der Straße. Sie wurden zwar bereits geflickt. Die Arbeit hielt der schweren Belastung durch den immer an gleicher Stelle einfahrenden Bus nicht stand, so dass nachgebessert werden muss. „Vernünftiger wäre es, statt punktuell zu flicken, großflächig zu sanieren. Über die gesamte Straßenbreite müsste der Asphalt auf einer Länge von mindestens 50 Metern rausgefräst und auch der Untergrund neu aufgebaut werden“, sagt Mutz. Doch für eine grundlegende Sanierung dieses Fahrbahnschadens fehlt – wie in der Mehrzahl der Fälle – das Geld. Deshalb wird nur geflickt.

Rund acht Millionen Euro stehen dem Tiefbauamt für die Sanierung von Straßen, Gehwegen und Treppen zur Verfügung. Das sind trotz der Kostensteigerung in den vergangenen Jahren rund 2,6 Millionen Euro weniger als 1980. „Wir bräuchten mindestens zehn, besser noch zwölf Millionen Euro, um das 1400 Kilometer lange städtische Straßennetz in Schuss zu bringen“, stellt Mutz fest und räumt ein, dass mittlerweile etwa 25 Prozent der Straßen kaputt sind.

Dem Gemeinderat ist das Problem bekannt. Im vergangenen Februar bezeichnete der CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Kotz die Lage zwar noch als „nicht exorbitant schlimmer geworden“. Mittlerweile hat die CDU aber einen Antrag formuliert, den sie demnächst einreichen will. In dem Papier fragt die Fraktion ironisch: „Warum fahren in Stuttgart immer mehr Geländewagen und Mountainbikes?“ Und gibt die Antwort: „Die kommen mit den Stuttgarter Straßenverhältnissen noch zurecht“. In ihrem Antrag fordert die CDU eine Analyse des Straßen- und Wegenetzes sowie die Angabe der Kosten, um alles in Ordnung zu bringen.

„Die Straßen in Stuttgart sind in einem katastrophalen Zustand“

Die SPD ist überzeugt, dass das Budget für die Straßensanierung aufgestockt werden müsste. „Aufklärungsarbeit ist nicht nötig, sondern mehr Geld“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hans H. Pfeifer. Und Silvia Fischer, Fraktionsvorsitzende der Grünen, räumt ein, dass viele Jahre zu wenig investiert wurde. „Statt zu sanieren, hat man in den Straßenneubau gesteckt. Das muss man jetzt ausbaden“, sagt sie. Wie die Entscheidung im Gemeinderat bei den Haushaltsberatungen im Herbst ausfallen wird? Festlegen will sich keine Fraktion.

Höhere Investitionen fordert auch der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC): „Die Straßen in Stuttgart sind in einem katastrophalen Zustand. In einer Notenskala von eins für sehr gut bis fünf für schlecht könnte man bestenfalls eine 3,5 für ausreichend vergeben“, sagt Volker Zahn, Leiter der Abteilung Verkehr und Technik.

Der Straßenbautrupp vom Tiefbauamt ist derweil von 6.40 bis 15.50 Uhr im Westen unterwegs. Bis zum Feierabend hat das Team rund 50 Schlaglöcher mit dem Kaltasphalt geflickt. Die Kosten dafür beziffert Mutz auf rund 5000 Euro. Insgesamt wurden in den Wintern der vergangenen Jahre rund 5000 Löcher für etwa 500 000 Euro geflickt. Dieses Jahr wird der Betrag nicht reichen. Mutz rechnet wegen des langen Winters mit ständig wechselndem Frost und Tauwetter mit rund 1250 Schlaglöchern mehr – die im kommenden Winter wieder aufreißen werden, weil die Flickerei mit Kaltasphalt nicht dauerhaft ist. Und das bedeutet: Die Kosten steigen von Jahr zu Jahr ohne dass der Straßenzustand besser wird.

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