Für 20 Millionen Euro ist Deutschlands höchste Brücke, die 1979 fertig gestellte Kochertalbrücke, vor einigen Jahren saniert worden. Foto: Googel Earth/HO

Nach dem Brückeneinsturz in Genua mit Dutzenden Toten stellt sich die Frage, wie sicher hierzulande Brücken sind. Der Sanierungsstau ist groß, das Geld knapp.

Stuttgart - Die Kernbotschaft aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium ist eindeutig. Ein Brückenunglück wie in der italienischen Hafenstadt Genua mit vielen Toten sei hierzulande nicht vorstellbar. „Wir haben weltweit eine der besten Sicherheitsphilosophien“, sagt Marcel Zembrot, Leiter des Referats für Straßen- und Erhaltungsplanung in Stuttgart. „Nirgendwo werden die Kontrollen so sorgfältig und engmaschig durchgeführt wie in Deutschland“, versichert der Ministerialrat.

Die exakt 9321 Brücken auf Autobahnen, Bundes- und Landstraßen in Baden-Württemberg seien einem strengen Sicherheitsregiment unterworfen. Alle sechs Jahre findet eine große Hauptprüfung statt, bei der das komplette Bauwerk mit dem Hammer abgeklopft wird. Hohlstellen, Risse oder andere Schäden würden dabei ans Licht kommen. Eine kleinere Prüfung erfolgt nach drei Jahren, weitere Kontrollen sind jährlich vorgesehen. „Die Bauten erhalten dabei Zustandsnoten von eins bis vier“, erklärt Zembrot, „ab 3,5 gibt es einen umgehenden Handlungsbedarf.“

Brücke in Braunsbach bekommt die Note „Ausreichend“

Auf der Liste der sanierungsbedürftigen Brücken mit Noten zwischen 3,0 und 4,0 stehen im Ministerium exakt 657 Bauwerke. Eine glatte Vier – als einzige im Land – hat eine Brücke in Braunsbach im Landkreis Schwäbisch Hall erhalten. Nach der verheerenden Flutwelle 2016 war sie komplett unterspült worden, sie ist seither gesperrt. „Entscheidende Kriterien sind die Standsicherheit, die Dauerhaftigkeit und die Verkehrssicherheit“, dröselt Zembrot das Prüfkonzept auf. Den Sanierungsstau hat das Land erkannt und darauf reagiert. „Seit 2010 läuft ein Sonderprogramm für Brücken“, sagt Zembrot. Jährlich würden rund 100 Millionen Euro in Baden-Württemberg für den Erhalt ausgegeben. Ein Betrag, der nicht ausreiche, um alle Projekte zu stemmen. „Wir müssen die Schlagzahl deutlich erhöhen“, betont der Referatsleiter. Das sei auch so vorgesehen. Klar ist, dass die Belastung der Bauwerke stetig wächst. „Der Brückenstress hat zugenommen“, sagt Zembrot. Das liegt zum einen an der höheren Verkehrsdichte – immer mehr Autos und Lastwagen rollen über die deutschen Straßen. Zum anderen werden die Lastwagen immer schwerer. Waren in den 50er Jahren die Brücken auf 24-Tonner ausgelegt, sind inzwischen Fahrzeuge bis zu 44 Tonnen zugelassen.

Zunehmender Brückenstress: mehr Autos, mehr Schwerlastverkehr

Die alten Bauten halten den neuen Anforderungen nicht mehr stand. Es muss vielerorts nachgebessert werden. Einer, der sich um den Brückenbestand im Land kümmert, ist der Kirchzarter Bauingenieur Jan Christoph Theobald. Sein Büro hat schon viele Brücken geplant und Gutachten für bestehende Bauwerke erstellt. Theobald sieht vor allem im kommunalen Bereich dringenden Handlungsbedarf. „Etliche Gemeinden wissen nicht, wie viele Brücken sie haben und in welchem Zustand sie sind.“ Erst nach und nach sei in den Rathäusern ein Bewusstsein dafür aufgekommen, dass die Bauwerke regelmäßig überprüft und saniert werden müssten. Leider fehle es in den kommunalen Haushalten an Geld für die Infrastruktur, ihnen sei es schlechterdings nicht möglich, die hohen Kosten alleine zu schultern, weiß Theobald. Etwas Entlastung brachte ein Sanierungsfonds, den des Land 2018 zum ersten Mal eingerichtet hat. Knapp 85 Millionen Euro stehen bis zum Jahr 2019 den Landkreisen und Kommunen für Brückensanierungen zur Verfügung. Ein Blick in die Kommunen zeigt, dass das Brückenproblem immens ist. Anfang des Jahres wurde in Bad Krozingen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) eine einsturzgefährdete Spannstahlbrücke aus den 50er Jahren gesperrt. Bei einer Routineprüfung entdeckten die Experten Risse und Hohlstellen von bis zu vier Metern Länge. Verbaut worden war ein problematischer Spezialstahl, der bei Feuchtigkeitseintritt leicht korrodieren und dann wie Glas zersplittern kann. Der dortige Bausachverständige Klemens Hampf warnte davor, dass es in Deutschland mehrere tausend derartiger Brücken gebe, die überprüft werden müssten. Probleme mit dem Stahl traten bisher allerdings vor allem im Hochbau auf. In der Berliner Kongresshalle, bekannt als Schwangere Auster, war einst derselbe Stahl verbaut worden und begann zu rosten, woraufhin das Gebäude im Jahr 1980 einstürzte.

Sperrungen oder Notinstandsetzungen sind an der Tagesordnung

Landauf, landab kommt es zu Sperrungen oder Notinstandsetzungen. In Freiburg ist eine schon lange marode Brücke über den Eschbach für Lastwagen über 30 Tonnen gesperrt worden. In Lauffen am Neckar (Kreis Heilbronn) musste vor einigen Jahren eine Brücke der Bundesstraße 27 wegen ihres schlechten Zustands vor einem geplanten Neubau aufwendig saniert werden. Nur durch die Notinstandsetzung konnte die Verkehrssicherheit gewährleistet werden.

Bundesweit haben gut zehn Prozent der Brücken einen Sanierungsbedarf, sagt Manfred Curbach von der Technischen Universität Dresden. Der Bundesverkehrsminister habe rund eine Milliarde Euro pro Jahr für Brückensanierungen zur Verfügung gestellt. Es fehle nicht an Geld, sondern eher an Personal. Ingenieure zu finden werde immer schwieriger, sagt Curbach, der Fachkräftemangel sei enorm.

Vergleichbare Bauten wie die Brücke in Genua gibt es in Deutschland nicht, weiß Curbach. Sie gehöre zu einem Typ, der weltweit wohl nur dreimal von dem Ingenieur Riccardo Morandi gebaut worden war – eine Schrägseilbrücke, bei der die Seile mit Beton ummantelt sind.

Die Situation in Italien sei nicht mit der in Deutschland vergleichbar, betont auch Marcel Zembrot vom Verkehrsministerium. Die Brückenbauuweise sei eine komplett andere: Die Italiener setzten auf Einzelsysteme, die aneinandergereiht würden. In Deutschland würden Brücken in einem Stück gebaut, dadurch seien sie stabiler, aber auch teurer.