Am 10. November 1989 fotografierte Rösler wie West- und Ostberliner Löcher in die Mauer schlugen. Foto: Markus Rösler

Der grüne Landtagsabgeordnete Markus Rösler war 1989 Student in Westberlin. Den Fall der Berliner Mauer erlebte er vor Ort mit.

Stuttgart/Vaihingen an der Enz - Wenn Markus Rösler vom 9. November 1989 erzählt, klingt das, als wäre der Mauerfall erst gestern passiert. An diesem Abend saß er im Studentenwohnheim und schrieb Tagebuch. „Ich hörte im Radio, dass ein Ostberliner nur mit einem Tagesvisum nach Westberlin gekommen ist. Und wenig später hieß es dann, dass jemand nur mit seinem Personalausweis rübergekommen ist. Das war so komisch. Das ging ja eigentlich nicht. Das konnte nicht sein“, erzählt der Grüne, der heute für den Wahlkreis Vaihingen im Landtag von Baden-Württemberg sitzt. Nachrichten von einem zweiten Grenzübergang, an dem Ähnliches passierte, folgten. Schließlich berichtete der Radiosprecher von einem Auto, das von Ost- nach Westberlin fuhr. Jetzt begriff Rösler: Die Mauer ist offen. Er sprang auf, rannte zu zwei Freunden, schnappte sich sein Fahrrad und radelte mit ihnen zur Mauer.

Was nun folgte, bezeichnet der Grünen-Politiker als „die längste schlaffreie Zeit seines Lebens“: Er kletterte auf Bäume, schoss von dort aus Bilder, fuhr „voll mit Adrenalin“ durch den Checkpoint Charlie und lud Ostberliner in Kneipen auf ein Getränk ein – jedenfalls sofern dies überhaupt möglich war. „Die meisten Kneipen haben den Ostdeutschen an diesem Abend kostenlos einen ausgegeben“, erzählt Rösler.

Auf seinem Internetauftritt www.markusroesler.de hat der Landtagsabgeordnete vor rund drei Wochen eigens eine Unterseite zum Thema „25 Jahre Mauerfall“ eingerichtet“. Fotos vom November 1989 sind dort zu sehen, aber auch eine eingescannte Zeitung von 1979. Schon seit Jahren hatte er diese Idee mit sich getragen, aus Zeitgründen es aber bisher noch nicht geschafft. Doch das Anliegen war ihm wichtig. Denn der DDR und dem Mauerfall ist er – wie er selbst sagt – auf „vielfältige Art und Weise verbunden“. Seine Familie etwa hatte Verwandte in der DDR, wöchentlich wurden Briefe geschrieben. Rösler selbst war einer von 15 westdeutschen Nachwuchswissenschaftlern, die 1988 nach Ostdeutschland reisen durften. Ein Austauschprogramm zwischen der Bundesrepublik und der DDR hatte dies ermöglicht. Das Bizarre daran: Bei seinem Besuch in einem Greifswalder Institut sollte er sich nicht als Westdeutscher zu erkennen geben. In Besprechungen durfte „Praktikant Rösler“ – so seine Bezeichnung dort – lediglich „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sagen. Hätte er mehr gesprochen, hätte ihn wohl sein schwäbischer Dialekt entlarvt.

Zudem schrieb Rösler Ende der 80er Jahre mit Kommilitonen an dem Buch „Naturschutz in der DDR“. Wieder erhielt er Einblicke in den ostdeutschen Staat.

Dementsprechend vielfältig sind seine Erinnerungen. Spricht man ihn auf die DDR und die Zeit der Wende an, sprudeln Anekdoten und Geschichten nur so aus ihm heraus. Er erzählt davon, wie sich Anfang November SED-Mitglieder vor dem Gebäude des Zentralkomitees versammelten und Kritik äußerten. „Wir sind auf dem falschen Weg, Genossen“, sollen sie gesagt haben. Er erzählt davon, wie sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November die Menschen auf den Straßen immer und immer wieder fragten, wie es zur Maueröffnung gekommen ist. Und er erzählt, dass sich nach dem 9. November in Westberlin Schlangen vor Beate-Uhse-Filialen und anderen Sex-Shops bildeten, weil Ostdeutsche in diese Läden strömten. Genug Wissen also, um ein Buch darüber zu schreiben? Rösler winkt ab. „Nicht nur eines.“

Dass die DDR schon ein Jahr nach dem Mauerfall Geschichte sein würde, kam für Rösler trotz aller Einblicke überraschend. Noch Anfang 1990 ging er davon aus, dass der ostdeutsche Staat weiterexistieren würde. Zumindest vorerst: „Für mich war klar, dass es ein Deutschland geben wird. Aber nicht, dass alles so holterdiepolter geht.“

Aktuell erzählt der Grünen-Politiker an Schulen von seinen Erinnerungen an die DDR.„Das ist ein Stück Zeitgeschichte. So etwas soll man weitergeben“, sagt er. Das Interesse der Jugendlichen beschreibt er als groß. „Sie finden das unheimlich spannend“, erzählt er.

Für Rösler selbst ist die Zeitreise jedes Mal ein Erlebnis: „Sobald man darin eintaucht, kommt die Gänsehaut wieder.“

An diesem Sonntag ist Rösler in Gerlingen zu Gast. Im Stadtmuseum hält er einen Bildvortrag zum Mauerfall mit dem Titel „Drei Nächte live dabei“. Beginn ist um 16.30 Uhr.