Um diese beiden Titel geht es heute. Foto:  

Jedem Monat durchforstet unser Kolumnist für Sie die Bestsellerliste: Diesmal will er über Namen keine Witze machen. Obwohl die Verführung groß ist.

Stuttgart - Eine der Regeln, die ich in den ersten Tagen meiner Journalistenausbildung zu hören bekommen habe, lautet: „Mach dich nicht über Namen lustig!“ Für diesen Rat hatte ich großes Verständnis. Einige Großtanten des mütterlichen Familienzweigs fanden es nämlich witzig, jedes Mal, wenn ich mir als Bub beim Stolpern die Knie aufgeschrammt und zu jammern begonnen hatte, zu rufen: „Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er.“ Ich fand das weniger lustig. Und ich mochte auch nicht mehr darüber lachen, wenn mir später in der Schule zum x-ten Mal nachgerufen wurde (in Anspielung an einen Schokoriegel, der damals – unterstützt von einer großen Werbekampagne – gerade umbenannt wurde): „Aus Reiter wird jetzt Twix . . . sonst ändert sich nix“.

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Dennoch ist die Versuchung mit Blick auf Karin Slaughter groß. Das Englische „to slaughter“ bedeutet „schlachten“, „hinmetzeln“. Damit sind Motiv und Handlung der meisten Romane der amerikanischen Bestsellerautorin ziemlich genau umrissen. Die Schriftstellerin aus Georgia glänzt durch eine gewisse Neigung, menschenschlächterische Grausamkeiten ihren Lesern detailgenau zu schildern. Das liest sich dann so: „Die Drosselvene. Die Luftröhre. Die Achselschlagadern. Das Herz. Die Lungen. Michelle stieß einen Urschrei aus und führte den letzten Stich in die Leber des Manns. (. . .) Sara nahm langsam ihre verschmierte Schutzbrille ab. In ihrem Haar und auf ihrem Gesicht hingen dicke Blutfäden. (. . .) Sara wischte sich das Gesicht ab. Sie rieb sich Blut von der Stirn. Jeder Gegenstand im Raum zeugte von den Messerstichen – die Betten, der Fernseher, sogar die Zimmerdecke.“

Die hier geschilderte Bluttat findet sich am Ende des ersten Drittels von Slaughters Thriller „Die letzte Witwe“ („Spiegel“-Belletristik-Bestseller Platz 22, HarperCollins, 560 Seiten, 20 Euro). Zu diesem Zeitpunkt hat der Leser bereits eine doppelte Bombenexplosion in einer Uni-Klinik und die Entführung der Gerichtsmedizinerin Sara Linton bei einem fingierten Autounfall nebst heftiger Messerstecherei hinter sich. Die Auslöschung einer Nazisekte durch ihren Führer und die blutgewaltige Erstürmung des Capitols von Georgia stehen ihm noch bevor. Die Errettung vor einem noch schlimmeren dräuenden Massenmord hat die Menschheit dem grüblerischen Will Trent vom Georgia Bureau of Investigation (GBI) zu verdanken, der bereits zum elften Mal Titelheld eines Slaughter-Thrillers ist. Der von Selbstzweifeln geplagte Spezialagent sinniert zwar immer mal wieder darüber, wie schrecklich es sich anfühlt, andere Menschen zu töten. Wenn’s aber beim Thriller-Höhepunkt darauf ankommt, mischt er ausgiebig mit bei der Metzelei.

Blutverschmiert am Blautopf

Karin Slaughter hat mit ihren Grausamkeiten Erfolg. Wenn man der Behauptung auf ihrer Website glauben darf, standen ihre Bücher bislang zusammengerechnet mehr als 48 Jahre auf irgendeiner Bestsellerliste. Immerhin muss man es dem sprachlich eher dürftigen Werk lassen, dass die Autorin aktuelle Themen in Thriller-Form verdichtet. In der Tat haben ja (nicht nur) in den USA sogenannte white supremacists, Rassisten, die an die Überlegenheit der „weißen Rasse“ glauben, schon mehrfach Massaker angerichtet. So grausam also die Blutbäder sind, die Karin Slaughter vor ihren Lesern ausbreitet, ich befürchte, dass sie jederzeit von der Wirklichkeit übertroffen werden können.

Vielleicht verzichtet daher der Berliner Bestsellerautor Max Bentow in seinem Psychothriller „Rotkäppchens Traum“ („Spiegel“-Bestseller Belletristik Paperback Platz 24, Goldmann, 368 Seiten, 15 Euro) auf jedweden politischen Bezug. Stattdessen erzählt er eine ebenso wirre wie verwirrende Geschichte um die Berlinerin Annie Friedmann. Diese wacht blutverschmiert in einem Wald nahe dem Blautopf bei Blaubeuren aus einer Ohnmacht auf. Als wäre es nicht schon grausam genug, sich als Berlinerin in der Alb-Provinz wiederzufinden, hat sie auch noch ihr Gedächtnis verloren. Solcherart Amnesien kommen im richtigen Leben so gut wie nie vor, während sie nahezu jeden zweiten Psychothriller einleiten. Schließlich lässt sich die Blutspur umso spannender verfolgen, je weniger der Protagonist über sich selbst und seine Vergangenheit weiß. Zumal wenn, wie bei Bentow, jene Annie immerfort ihre Identität ändert. Natürlich endet auch diese routiniert, wenngleich uninspiriert und verkopft heruntererzählte Geschichte in einem Gemetzel.

Ich jedenfalls habe nach so viel Blutrünstigem erst einmal die Nase voll davon. Daher verspreche ich Ihnen: In der November-Kolumne erwarten Sie zwei ziemlich friedliebende Bücher.