Er war Europa-Chef von Blackberry. Sein Konto war voll, doch sein Herz leer. Beim Businessclub Stuttgart berichtet Markus C. Müller, wie er als Sterbebegleiter sein Glück fand.
Kann ein Mensch so gespalten sein? Der 1973 in München geborene Markus C. Müller wunderte sich über sich selbst. „Ich kam mir echt schizophren vor“, sagt er, „denn es gab mich zweimal.“
Zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten wechselten sich ab. Der eine Markus war der erfolgreiche und sehr gut verdienende Businessmann, der zuweilen harte Entscheidungen treffen musste. Als Europa- Chef des kanadischen Smartphone-Konzerns Blackberry musste er 2000 der 4000 Beschäftigen entlassen – und das in einem Jahr. Der andere Markus litt unter der Skrupellosigkeit, die seine Arbeit als Spitzenmanager ihm abverlangt hat. Der private Markus war einsam, hatte 250 Flüge im Jahr, aber keine Zeit für Liebe und Partnerschaft.
Ein Buch veränderte sein Leben
Doch dann besiegte der private Markus den Karriere-Markus. Auslöser dafür war der Besuch in einer Flughafen-Buchhandlung. Müller entdeckte das Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ – es traf ihn voll auf die Zwölf. „Ich las das Inhaltsverzeichnis und wusste, dass ich so nicht weiterleben konnte“, sagt der Buchautor beim Dinner-Talk auf Einladung des Businessclubs Stuttgart in der Schloss-Solitude-Gastronomie. Denn sonst, so befürchtete er, würden ihn kurz vor seinem Tod genau dieselben Fragen plagen, die ihn in den Kapitelüberschriften geradezu ansprangen. Da standen Wünsche, die er in sich selbst spürte.
Was Sterbende am meisten bereuen? Es sind klare Botschaften. Dort steht als Versäumnis etwa: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarten.“ Oder: „Ich wünschte, ich hätte nie so viel gearbeitet“ und „Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt“. Und: „Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.“ Das Buch von Bronnie Ware sei der letzte Funke gewesen, „der einen Haufen Holz des Unwohlseins, der schon bei mir vorhanden war, entfacht hat“.
Von einem Tag auf den anderen kann alles vorbei sein
Was zählt im Leben? Was gibt dem Leben Sinn? Wenn der Tod naht, zählen nicht mehr Geld, Erfolg, Statussymbole, auch nicht das Bild, das andere von einem haben. Von einem Tag auf den anderen kann alles vorbei sein. Niemand weiß, wie viel Zeit einem geschenkt ist, bis man zurücklassen muss, was wichtig war, was einen glücklich gemacht hat.
So sehr stecken die meisten Menschen im Alltag fest, dass sie ihre Wünsche aus den Augen verlieren. Doch plötzlich passiert etwas, das einen aus der Bahn wirft. Jemand aus dem Umfeld stirbt. Oder man wird selbst schwer krank. Oder eine ärztliche Vermutung stürzt einen tief in die Angst vor einer unheilbaren Krankheit. Dann stellt man sich ganz andere Fragen, dann schrumpfen Ärger und Enttäuschungen zur Belanglosigkeit.
Deshalb sagt Markus C. Müller: Man sollte das Leben vom Ende her denken! Die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit helfe herauszufinden, was einem wirklich wichtig ist und wie man leben möchte. Seinem Buch hat er bewusst den Titel „Im Angesicht des Lebens“ gegeben. Wer sich mit dem Tod auseinandersetze, profitiere damit für sein Leben, sagt Müller.
Nach vielen Single-Jahren lebt er nun in einer Partnerschaft
Als er 2014 wegen des Buchs über die Gedanken von Sterbenden seine Führungsposition kündigte, wollte Blackberry ihn halten und sogar in den internationalen Vorstand befördern. Doch Markus C. Müller hatte seinen Entschluss gefasst, künftig anders zu leben. Nach sechs Wochen in einer Hängematte in Thailand machte er eine Ausbildung zum Hospizbegleiter. Finanziell ausgesorgt hatte er – dieses Glück ist nicht jedem vergönnt, nicht jeder könne seinem Beispiel deshalb folgen. Heute ist der einstige Spitzenmanager Vorsitzender beim Hospizdienst Dasein, lebt nach vielen Single-Jahren in einer Partnerschaft und reist durchs Land, um Menschen zu motivieren, das zu tun, was ihnen guttut.
Der einstige Manager motiviert zum Innehalten
Als Daniela Mink, Clubmanagerin und Co-Founder des Businessclubs Stuttgart, von Müllers Lebensgeschichte hörte, lud sie den Buchautor sofort ein. In Club sind zahlreiche Führungskräfte der Stadt, von denen nicht wenige über den Tellerrand des Erfolges und des Stresses schauen möchten. Der einstige Blackberry-Europachef motiviert zum Innehalten, wenn er etwa von der kurzfristigen Betäubung spricht, die bei ihm eingesetzt habe, als er sich einen Aston-Martin-Sportwagen kaufte.
„Luxus macht nur kurz glücklich, der Reiz lässt rasch nach“, sagt er. „Man sollte sich Dinge suchen, die länger anhalten, etwa ein ehrenamtliches Engagement.“ Sein Plädoyer für Minimalismus folgt der Erkenntnis, dass Haben nicht so glücklich macht wie Sein. Wenn er sagt, der Tod sei der Lehrmeister des Lebens, will er damit ausdrücken, dass man sein Leben intensiver genießt, wenn man das Ende nicht verdrängt.