So sah die Außengastronomie auf dem Marktplatz vor 20 Jahren aus. Foto: Uli Kraufmann

Wird Stuttgart die einzige deutsche Großstadt ohne Gastronomie am Marktplatz? Ende März schließt der Ratskeller auf unbestimmte Zeit. Die scheidenden Pächter wollen die Außenbewirtung und den Stadtbesen im Rathaus weiterführen – von der Stadt gibt’s bisher kein grünes Licht dafür.

Stuttgart - Als die Familie Brunner im Sommer 1996 den Ratskeller übernommen hat, stellte sie erst einmal schlichte Stühle und Klapptische auf den Marktplatz. In einer Stadt sollte nicht nur Hektik und Betriebsamkeit herrschen. Eine Stadt muss auch mal zur Ruhe kommen – etwa bei einer Tasse Kaffee im Freien, wenn die Sonne scheint. Was Cafés angeht, ist der zentrale Platz Stuttgarts seit der Schließung des Cafés Scholz 2014 ein Notstandsgebiet.

Nach fast 20 Jahren muss sich Birgit Grupp, die Tochter der Familie Brunner, die außerdem das Paulaner an der Calwer Straße führt, in wenigen Wochen als Pächterin vom Ratskeller verabschieden. Ende März wird sie die Türe im Restaurant des Stuttgarter Rathauses schließen, was „mit Wehmut“ geschieht, wie sie sagt. Seit den 1950ern ist das Lokal am Marktplatz nahezu unverändert geblieben, weshalb die Sanierung nun dringend ansteht. Wie lange der Umbau dauert, der auch Maßnahmen für die neuen Brandschutzrichtlinien erfordert, und wer die hohen Kosten dafür übernimmt, ist weiterhin offen. Die Stadt ist noch immer auf der Suche nach einem Investor.

CDU und Freie Wählen fordern „sofortige Verhandlungen“

Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) rechnet mit Kosten in Höhe von drei Millionen Euro, die entstehen, um den Ratskeller für die Zukunft fit zu machen, den Brandschutz zu sichern und die Außengastronomie attraktiv zu gestalten. Das Angebot von Pächterin Birgit Grupp, die kleine Weinbar Stadtbesen sowie die Außenbewirtung an der Rathausseite weiterzubetreiben, will Wölfle „prüfen“, wie er am Montag gegenüber unserer Zeitung betont hat.

CDU und Freie Wähler haben in einem gemeinsamen Antrag die Stadtverwaltung dazu aufgefordert, „sofortige Verhandlungen aufzunehmen, damit der Stuttgarter Marktplatz von April an nicht ohne öffentliche Gastronomie ist“. Es sei „durchaus möglich“, ein Pachtverhältnis jährlich „kündbar zu gestalten“, so CDU und Freie Wähler. Birgit Grupp sagt, sie wolle gern beim Rathaus befristet weitermachen, auch wenn der Aufwand für die Betrieb des Stadtbesens und der Außengastro recht hoch sei. „Viel zu verdienen ist damit nicht“, versichert sie gegenüber unserer Zeitung, „aber wir wollen unseren Stammgästen etwas bieten“. Der Marktplatz dürfe nicht plötzlich gastronomiefrei werden.

Diskussion über Marktplatz-Zukunft im Stuttgart-Album

Bürgermeister Werner Wölfle rechnet damit, dass im nächsten Monat endlich entschieden werden kann, wer Investor für die Rathaus-Gastronomie wird. Es gibt nach seinen Worten mehrere Bewerber. Der Wirt, der das Rennen macht, sollte dann auch den Zuschlag für den Stadtbesen und die Außengastronomie erhalten.

Wölfles Wunsch: Schon in Kürze sollte der Neue draußen auf dem Marktplatz mit dem gastronomischen Angebot beginnen, während es mit dem Ratskeller drinnen noch nicht in diesem Jahr losgehen kann. Nach den Worten des Bürgermeisters wird es also im Sommer 2016 möglich sein, eine Tasse Kaffee vor dem Rathaus zu trinken.

Für den Neubau der Rathausgarage ist nach seinen Worten im Erdgeschoss eine Gastronomie eingeplant. Langfristig wünscht er sich eine „neue Achse auf dem Weg zum Hans-im-Glück-Brunnen“.

Weitere Café-Pläne gibt es bei Breuninger: Der Mietvertrag der Landesbank-Filiale an der Marktstraße läuft aus. Das Kaufhaus kann sich vorstellen, dort ein Café einzurichten. Am Montag wollte Breuninger auf Anfrage unserer Zeitung allerdings noch nicht mitteilen, wann die Pläne realisiert werden können.

Im Facebook-Forum unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album wird die Zukunft des Marktplatzes eifrig diskutiert. Martina Ma schreibt: „Der Stuttgarter Marktplatz hat seit dem Bau des ,neuen’ Rathauses viel an Charme verloren. Ich bin der Meinung, dass auf den Marktplatz einer Großstadt mindestens zwei bis drei Cafés oder Restaurants gehören samt Außengastronomie. Das würde dem Platz etwas Leben und Charme verleihen. Ein Marktplatz ganz ohne Gastro– ein absolutes no go!“

Ulrich Beck kommentiert auf der Seite des Stuttgart-Albums: „Kaum ist die Fernsehturm-Affäre überstanden, haben wir die nächste Katastrophe: ein Rathaus ohne Ratskeller. Was soll nur aus Stuttgart werden?“ Nach Meinung von Annerose Kaage besitzt Stuttgart „den unattraktivesten Marktplatz in Deutschland“. Der Blogger und Buchautor Adrian Zielcke ist fassungslos, wie er bei Facebook schreibt: „Der Stuttgarter Marktplatz ist tot – so etwas gibt es in ganz Europa nicht mehr.“