Mittwochs ist auf dem Degerlocher Wochenmarkt weniger los als samstags. Aber zu sehen und kaufen gibt es immer etwas, und zum Bummeln reicht es allemal. Foto: Eveline Blohmer

Märkte sind weit mehr als Orte des Konsums. Seit jeher werden neben Waren auch Informationen ausgetauscht – ob Weltgeschehen, Klatsch und Tratsch oder Rezepte. Auf dem Degerlocher Wochenmarkt geschieht das seit 1956.

Degerloch - Beim Sehen und Gesehenwerden ist ein Statussymbol hilfreich. Nachdem aber Autos auf Wochenmarktplätzen nichts zu suchen haben und andernfalls kostenpflichtig abgeschleppt werden, müssen sich Marktbesucher etwas anderes einfallen lassen.

Am Stand von Momeni Feinkost vertreibt sich eine Kundin die Zeit, bis sie an die Reihe kommt, mit ihrem Smartphone. Während die Frau vor ihr noch „a bissle mehr“ von den Peperoni kauft, tippt sie auf dem neuen Modell herum, wird aber alsbald von dem Verkäufer Hossein Dhahir nach ihren Wünschen gefragt. Das Smartphone scheidet als Wochenmarkt kompatibles Statussymbol aus. Axel Heger, der Geschäftsführer der Märkte Stuttgart GmbH, spricht zwar vom „Wochenmarkt als Ort der Kommunikation“. Aber er meint damit eben nicht die Telekommunikation.

Wochenmarkt statt Supermarkt

„Ahh, Peter, bist du auch mal wieder da?!“, ruft Ingrid Schade Peter Schlüter zu, der bei Momeni gerade einen kleinen eingelegten Kürbis probiert hat. Der 80-Jährige wohnt in Vaihingen, hat aber knapp 50 Jahre lang in Degerloch gelebt und war früher viel auf dem Wochenmarkt, der sich mittwochs und samstags um das Bezirksrathaus herum abspielt. „Ich kaufe sehr ungern in großen Läden ein, weil erstens die Qualität da nicht so gut ist und zweitens im Supermarkt jeder das Zeug antatscht“, sagt Schlüter.

Ingrid Schade nickt lächelnd. Die 77-Jährige ist in Degerloch aufgewachsen und kann sich noch daran erinnern, wie sie „am Händle der Mutti“ auf den Markt ging, auf dem 1956 zum ersten Mal Waren feilgeboten wurden. Heute dreht sie eine Runde über den Markt, um zu sehen, was es gibt und wer da ist – im Anschlag der Hacken-Porsche.

Sozialer Treffpunkt

Dabei ist die Erkenntnis, dass der Einkaufswagen auf Rädern den wahren Marktconnaisseur auszeichnet, nicht altersabhängig: Gerade verstauen die 14 und zwölf Jahre alten Schwestern Isabelle und Anna ihre just erstandenen Oliven in einem mit psychedelischen Mustern bedruckten Modell. Sie wurden von ihrer Mutter losgeschickt und finden den Marktgang schön, „weil man die Leute kennt und viele trifft“, wie Isabelle sagt.

„Markt ist was Soziales“, meint auch Angela Heisig. Der Erzieherin, die im Hoffeld wohnt, ist es deshalb auch egal, dass der Einkauf auf dem Markt teurer ist als im Supermarkt: „Wenn man bewusst einkauft und nicht so viel wegschmeißt, kann man es sich auch leisten“, sagt die 57-Jährige. In ihren Jute-Beutel vom Wilhelms-Gymnasium kommt nun das Schälchen Meeresfrüchte, das sie für ihre Freundin Brigitte Vogt gekauft hat und ihr geben wird, wenn diese gerade nicht so beschäftigt ist.

Originale überall

„760, beinah wie gewünscht“, sagt Vogt und reicht ihrer Kundin die Tüte mit den etwas mehr als 700 Gramm schweren Zwetschgen für deren Datschi. Vogt verkauft seit 1998 auf dem Degerlocher Markt und seit jeher am Stand von Rudolf Raff: „Woanders könnte ich es nicht, das wäre gegen die Moral“, sagt Vogt. An dem Stand, der laut Raff bereits in der dritten Generation ist und nur hier, gegenüber des Kübelbrunnens, mag Vogt die „tollen Kunden und dass es humorig zugeht“. An Rudolf Raff, der sein Alter „noch nicht einmal meine Frau“ verrät, schätzt sie die Originalität.

An Originalen mangelt es an den bei Vollbesetzung 23 Ständen wahrlich nicht. Da ist etwa der Gärtner Hermann Lang, der über seine Sonnenblumen und Rosen hinweg einen Bekannten lautstark auf Französisch begrüßt, mit ihm eine Zigarette raucht, um dann in breitem Schwäbisch Sylvia Rabe zu bedienen.

Hutzelbrot vom Bäcker

Die 45-Jährige ist überzeugt vom „Einkaufsvergnügen der konservativen Art“ und war früher immer mit ihrem Vater auf dem Markt. „Eine Tradition war, dass der Bäcker immer mit so einem langen Kochlöffel Hutzelbrot rüber reichte“, erinnert sich Rabe. Das macht Wolfgang Hüttinger nach wie vor vom 1. Oktober an. „Die Leute lieben das, und du musst sie einfach zum Lachen bringen“, sagt der 67-Jährige, der an seinem Holzstand seit 1971 Winnender Backwaren „nach dem Rezept von Opa Jäger“ verkauft und den Preis für ein Eingenetztes auch gern mal singend kundtut.

Jetzt haben sich Kinder vom Kindergarten in der Falterau vor Hüttingers Stand versammelt. Die Erzieherinnen gehen regelmäßig mit den Kleinen auf den Markt, „damit sie lernen, was es gibt“, wie eine der beiden sagt. Axel Heger, der Chef der Märkte Stuttgart, macht sich wohl zu Recht keine Sorgen um den Wochenmarkt-Nachwuchs – auch, wenn er die Wochenmarktgänger eher durch die Alterung der Gesellschaft nachwachsen sieht.

Nachwuchs vor und hinter den Ständen

Dabei findet sich nicht nur auf, sondern auch vor und hinter den Ständen junges oder jüngeres Gemüse: Jana Rau hat kürzlich ihr Studium in Berlin abgeschlossen und schlendert jetzt mit ihrer Mutter Brigitte über den heimatlichen Markt. Maximilian Schmid hilft in den Semesterferien seinem Vater am Stand des Weinguts Medinger beim Verkauf von Wein, Obst, Gemüse und selbst gemachter Marmelade. Der 23-jährige Nico Maulick ist heute mit seinem Kumpel Stephan Czymara am familieneigenen Feinkoststand eingesprungen. Und Ruth Briem bezeichnet sich trotz 40 Jahren auf dem Markt inzwischen nur noch als „Mutter vom Chef“, also von Manuel Briem, Inhaber des gleichnamigen Garten- und Landschaftsbaus. Ruth Briem hat einen Generationenwechsel auf dem Markt festgestellt, die Leute seien anspruchsvoller geworden.

Dass die Kunden auf dem Degerlocher Markt anspruchsvoller „in einem positiven Sinn“ seien, findet auch Beate Krämer, die mit ihrer Chefin Esther Bayha gerade anfängt, den Obst- und Gemüsestand abzuräumen. „Wir haben lauter total nette Kunden, weil wir die anderen schon vergrault haben“, sagt Bayha. Das einzige, was am Degerlocher Markt schlimm sei, ist nach ihrer Ansicht die Parkplatzsituation und dass samstags „auch noch Politessen laufen“. Aber wer mit Hacken-Porsche vorfährt, hat nichts zu befürchten.