Eine besondere Beziehung: Mario Gomez und der VfB Stuttgart Foto: Baumann

Mit dem VfB Stuttgart hat er noch viel vor, zunächst aber hofft Mario Gomez auf einen Platz im deutschen WM-Kader. Im Interview erklärt er zudem, was er von der Europa League hält – und was ihm seine derzeitige Gelassenheit verleiht.

Stuttgart - 16 Spiele, 1389 Minuten, acht Tore, eine Vorlage – das ist die Bilanz von Mario Gomez seit der Rückkehr des Stürmers zum VfB Stuttgart in der Winterpause. Mit diesen Zahlen bewirbt er sich um einen Platz im deutschen WM-Kader und sagt: „Ich biete an, was ich habe – und wenn diese Qualitäten gefragt sind, werde ich da und topfit sein.“

Herr Gomez, wie groß sind Sie nochmal?
1,89 Meter. Warum fragen Sie?
Weil Sie sich in den vergangenen Tagen und Wochen ziemlich klein gemacht haben, was Ihren Anteil am VfB-Erfolg angeht.
Das sehe ich nicht so. Ich wurde vielmehr größer gemacht, als ich bin.
Tatsächlich?
Ja. Ich kenne das ja schon, es ist bei mir immer das Gleiche. Egal, wo ich hingekommen bin, ich stand jedes Mal im Fokus der Öffentlichkeit. Aber ich kann damit mittlerweile gut umgehen, aus meiner Sicht wird es der Sache aber nicht gerecht.
Warum nicht?
Wir sind keine Tennisspieler oder Golfer. Wir sind Fußballer, Mannschaftsspieler. Und ich bin auch kein Typ wie Franck Ribéry, der sich den Ball schnappt, loszieht und so ein Spiel entscheidet.
Sie haben im Laufe Ihrer Karriere auch viele Spiele entschieden.
Aber ich kann das nur machen, wenn mir meine Mitspieler den Ball so zuspielen, dass ich treffen kann.
Zuletzt haben Sie sich sogar über eine Torflaute gefreut . . .
. . . was ein Stück weit auch symbolisch gemeint war. Ich habe zwar nicht getroffen, aber wir haben die Spiele gewonnen und die Stimmung in der Mannschaft war super. Ich will, dass sich der Fokus auf alle verteilt. So denke ich, so bin ich – heute vielleicht mehr denn je.

Früher war Gomez wilder und stürmischer

Leidet unter so viel Bescheidenheit nicht der sportliche Ehrgeiz?
Nein, ganz im Gegenteil.
Sie haben mal gesagt, im Falle einer WM-Teilnahme würden Ihnen auch drei Minuten Einsatzzeit reichen.
Ich weiß, man bewegt sich auf einem schmalen Grat, wenn man so etwas sagt. Aber eine solche Aussage können nur diejenigen nicht verstehen, die nur an sich denken. Hinter diesen Worten steckt keine Taktik oder sonst irgendetwas – ich bin heute einfach so.
Früher war das anders?
Natürlich war ich in meinen Anfangsjahren wilder, stürmischer und womöglich auch fordernder. Aber seitdem war ich viel in der Welt unterwegs, habe viel erlebt und versucht, von all meinen Stationen das Gute mitzunehmen. Gerade erlebe ich mit dem VfB viele positive Momente, meine Karriere hat mir aber auch gezeigt, das man sich so oder so treu bleiben muss. Früher hat es mich viel Energie gekostet, es allen Recht machen zu wollen. Das ist heute anders, jeder darf sagen, was er will, das gibt mir eine gewisse Gelassenheit.
Was genau hat Ihnen einst die Energie geraubt?
Ich kam beim VfB aus der Jugend zu den Profis, wurde Meister. Dann stand die EM 2008 an – und alle Experten waren sich einig: Mario Gomez wird der neue Superstar.
Klingt doch nicht schlecht . . .
. . . und als 22-Jähriger glaubst du dann auch noch, dass du der unantastbare Held wirst. Dann aber bekam ich während des Turniers diese Ohrfeige. Das hat weh getan.
Warum?
Weil sich mir erstmals die andere Seite dieses Geschäfts gezeigt hat. Ich stand plötzlich vor einer Wand und fragte mich: Was jetzt?
Was ist dann passiert?
Das, was ich schon beschrieben habe. Ich habe versucht zu verstehen, warum die Menschen diese und jene Dinge über mich sagen. Mittlerweile kann ich mit den Schlagzeilen über mich viel besser umgehen.

Mario Gomez und seine Vereinswechsel

Auch mit den hohen Erwartungen der Vereine, die Sie holen?
Die Vereinswechsel in den vergangenen Jahren habe ich alle mit mir selbst ausgemacht, da brauchte es keine Erwartungen oder Ratgeber. Obwohl es Wechsel waren, bei denen viele Leute zu Beginn sehr skeptisch waren.
Zum Beispiel der Wechsel in die Türkei 2015.
Ich habe mich über den WM-Titel 2014 sehr gefreut, aber es hat auch weh getan, die Jungs feiern zu sehen und selbst nicht dabei zu sein – obwohl ich das seit 2007 eigentlich immer gewesen bin. Dieses Gefühl hat mir gezeigt: Ich will da noch einmal hin. Also habe ich überlegt, wie ich die Chancen darauf erhöhen kann. Für mich ging es darum, in einen positiven Flow zu kommen. Natürlich war das nicht eine der Topligen Europas, der Trainer konnte weder Deutsch noch Englisch – aber er ließ mir ausrichten, dass ich immer spielen werde, wenn ich komme. Also lag es nur an mir, etwas aus der Situation zu machen und für positive Schlagzeilen zu sorgen.
Danach gingen Sie zum VfL Wolfsburg.
Weil wir wieder näher an die Familie ran, also zurück nach Deutschland wollten. Klar, sportlich war es keine erfolgreiche Zeit für den Verein, aber auch da konnte ich für mich etwas mitnehmen – ich habe gelernt, mit negativem Druck umzugehen.
Seit Anfang des Jahres ist der Familienmensch Mario Gomez wieder richtig nah dran an der Familie.
Auch die fünf Stunden zwischen Wolfsburg und der Heimat waren uns irgendwann zu viel. Dass sich die Chance auf einen Wechsel zum VfB ergibt, hätte ich aber nicht gedacht. Doch dann wurde ich gefragt, ob ich es mir vorstellen kann.
Ihre Antwort?
Klar. Sofort. Aber ich war Kapitän einer Mannschaft, die sich in einer schwierigen Situation befand. Allerdings wussten die Verantwortlichen in Wolfsburg auch, dass ich immer mit vollem Herzen bei der Sache war. Dafür habe ich dann etwas zurück bekommen, als ich Ihnen gesagt habe, was ich gerne machen würde.
Vermutlich haben sie sich beim VfL schon das eine oder andere Mal darüber geärgert.
Solch eine Diskussion ist müßig, denn man weiß ja nie im Voraus, wie es laufen wird. Umso wichtiger ist es, als Fußballer im Hier und Jetzt zu leben. Das gelingt mir gut, was natürlich auch mit meinem Alter und meinen Erfahrungen zu tun hat. Ich bin sicher gelöster als jüngere Spieler, es geht nicht mehr um meine weitere Karriere. Wenn es morgen vorbei sein sollte, dann ist es eben vorbei.

Gomez fühlt sich „wahnsinnig jung“

Was konnten und können Sie dem VfB-Team geben – außer dieser Gelassenheit?
Ich glaube, dass ich einen Einfluss auf andere Spieler haben kann. Ich kann mich mittlerweile gut in andere hineinversetzen und weiß auch, dass jüngere Spieler ganz genau darauf schauen, wie ich mich verhalte. Also habe ich im Training und im Spiel alles gegeben, den anderen nichts vorgespielt und bin dabei gelassen geblieben. Fußball hat viel mit Körpersprache zu tun, Hektik ist Gift, das Allerwichtigtse ist aber natürlich das Sportliche. Und obwohl ich beim VfB zusammen mit Christian Gentner der Älteste bin, fühle ich mich noch wahnsinnig jung – und sportlich gut genug, um entscheidend zu sein.
Auch in der Nationalmannschaft?
Auch da bin ich der Älteste, habe aber sicher einen anderen sportlichen Stellenwert als beim VfB.
Bei der EM vor zwei Jahren waren Sie bis zu Ihrer Verletzung Erfolgsgarant.
Aber auch da bin ich als Ergänzungsspieler ins Turnier gestartet. Es war damals wie jetzt auch: Wir haben einen Wahnsinnskader, und es ist sicher nicht so, dass Deutschland ohne mich nicht den Titel holen könnte. Aber ich biete an, was ich habe – und wenn diese Qualitäten gefragt sind, werde ich da und topfit sein. Weil ich mich dann voll auf diesen Moment einlassen kann.
Der Wunsch, dabei zu sein, ist doch aber sicher riesengroß.
Deshalb habe ich sportlich ja auch noch einmal alles aus mir herausgeholt. Ich will nach wie vor das Maximale erreichen. So wie beim VfB, als wir nach dem sicheren Klassenverbleib weiter Gas gegeben haben.
Und bei dem es kürzlich hieß, es gebe eine vertragliche Möglichkeit, dass Sie den Club im Sommer schon wieder verlassen können.
Ich weiß nicht, woher das kam, aber das stand für mich nie zur Debatte. Ich spiele definitiv auch in der kommenden Saison für den VfB.
Aber der VfB muss nicht zwingend Ihr letzter Verein der Karriere sein?
Im Fußball werden manchmal scheinbar unmögliche Dinge doch möglich. Aber es ist mein großes Ziel, mein großer Traum, in Stuttgart auf einem guten sportlichen Level meine Karriere zu beenden. Ich werde es nicht ausklingen lassen.
Der Verein hat konkrete Pläne für die Zukunft. Was braucht diese Mannschaft noch, um den nächsten Schritt mit Blick nach oben angehen zu können?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, dass es in der Bundesliga heutzutage einen Trainer mit einer klaren Philosophie braucht, der seiner Mannschaft diese Philosophie auch klar vermittelt. Welchen Kader du hast, ist dagegen gar nicht immer das Entscheidende – zumal die ganz großen Spieler derzeit ohnehin nicht in der Bundesliga aktiv sind. Bei der Kaderplanung geht es also nicht nur um Namen, sondern auch um Kreativität. Und ich bin sicher, unser Sportvorstand ist kreativ.

Europa League? Gomez ist hin- und hergerissen

Und der Trainer Tayfun Korkut?
Der passt perfekt zu unserer Mannschaft. Alles zusammen kann dazu führen, dass schon in der kommenden Saison Vieles möglich ist – ohne dass wir jetzt plötzlich Platz zwei, drei, vier oder fünf als Ziel ausrufen. Es gibt nämlich auch keine Garantie dafür, dass wir nächstes Jahr nichts mit dem Abstieg zu tun haben werden.
Muss der VfB sein Spiel verändern in der kommenden Saison?
Wir sind gut damit gefahren, wie wir aufgetreten sind. Und nachdem der ganz große Druck weg war, hatten wir auch wieder Momente, die die Leute von den Sitzen gerissen haben. Natürlich noch nicht über 90 Minuten, aber das entwickelt sich, wenn man ohne negativen Druck Fußballspielen kann.
Hätten Sie Lust, in der kommenden Saison in der Europa League zu spielen?
(Überlegt lange) Man muss ehrlich sagen, dass dieser Wettbewerb bis zum Achtel- oder Viertelfinale nicht besonders attraktiv ist. Und es ist Aufgabe der Uefa, die Europa League so aufzuwerten, dass die Vereine auch Geld damit verdienen können. Es ist doch nicht zielführend, wenn ein Club das Finale erreicht und am Ende der Saison vielleicht zehn Millionen Euro verdient hat, während in der Champions League das ganz große Geld schon in der Gruppenphase verteilt wird.
Was heißt das für Ihre Ambitionen?
Ich bin hin- und hergerissen, weil ich weiß, dass die Europa League gerade für die jungen Spieler eine sehr gute Erfahrung ist.
Also würde es sich lohnen, am Samstag in München zu gewinnen.
Das sportlich Maximale anzustreben, lohnt sich immer.
Ist denn auch was drin gegen den FC Bayern?
Wenn alles normal läuft, verlierst du an mindestens acht von zehn Tagen gegen den FC Bayern. Wir sind jetzt nicht blind vor Euphorie – aber wer weiß, vielleicht erwischen wir ja einen der zwei anderen Tage.