„Whatever it takes“: Der EZB-Chef hat die Rettung der Euro-Zone fest im Blick. Doch die niedrigen Zinsen bergen eine Gefahr: Krisenländer können Reformen leichter aufschieben. Foto: dpa

Der Chef der Europäischen Notenbank ist vor allem in Deutschland eine Reizfigur. Eine echte Alternative zu seiner Politik des billigen Geldes gibt es aber nicht.

Frankfurt - Nur fünf Journalisten haben sich an diesem Tag Anfang Oktober im National-Museum in Lima im Konferenzraum Nasca eingefunden. Dabei sitzt vor ihnen Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), einer der mächtigsten Notenbanker der Welt. Er ist mehr Aufmerksamkeit gewöhnt. Gerade hat er am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchblicken lassen, dass die EZB ihre Geldschleusen noch weiter öffnen könnte. Trotzdem: Nach zehn Minuten ist das Treffen beendet.

Einfluss und Macht des Italieners sind freilich keineswegs geringer geworden. Im Gegenteil. Aber die wirtschaftliche Situation in Europa hat sich entspannt, jetzt steht der Flüchtlingsstrom im Vordergrund. Im Gegensatz zur ersten Jahreshälfte, als Griechenland auf der Kippe stand. Vor allem aber im Vergleich zur Phase vor vier Jahren, als Draghi am 1. November 2011 die Nachfolge von Jean-Claude Trichet antrat. Die gesamte Euro-Zone steckte in schweren Turbulenzen. Heute kommen auch die Krisenländer Portugal und Spanien allmählich voran, in Griechenland scheint das Allerschlimmste überwunden.

Die Hälfte der achtjährigen Amtszeit ist um

Die Arbeit des Italieners zahlt sich offensichtlich aus, auch wenn seine Kritiker nicht verstummt sind. Draghi ficht das nicht an. Er sitzt zur Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit fester denn je im Sattel und lenkt die Notenbank souverän von seinem Büro im 40. Stock der EZB-Zentrale in Frankfurt aus.

„Whatever it takes“ – was immer auch notwendig ist – sind die berühmtesten Worte des gebürtigen Römers, gesprochen auf dem Höhepunkt der Krise im Sommer 2012. Er werde alles der EZB Erlaubte tun, um den Euro und die Euro-Zone zu retten. Draghi und der Rat der EZB beließen es nicht bei Leitzinssenkungen – seit November 2011 ging es hinunter von 1,50 auf heute nur noch 0,05 Prozent –, sie operieren auch mit außergewöhnlichen Maßnahmen. Hunderte von Milliarden pumpte die EZB ab Ende 2011 in Wirtschaft und Finanzmärkte, sie stützte Banken in Zypern und Griechenland mit Notkrediten, verordnet Strafzinsen für Institute, die bei der EZB Geld parken, kauft seit März dieses Jahres Staatsanleihen der Euro-Staaten für 60 Milliarden Euro im Monat. Bis September 2016 sollen so Wirtschaft und Finanzmärkte mit mehr als einer Billion Euro zusätzlich versorgt werden. Möglicherweise wird das Programm sogar aufgestockt, weil die Kreditvergabe in der Euro-Zone immer noch nicht in Gang kommt und die Inflationsrate derzeit leicht negativ ist – weit weg vom Stabilitätsziel der EZB von knapp zwei Prozent. „Whatever it takes“ – bleibt das Motto des 68-jährigen Ökonomen.

Aktivistin warf Papierschnipsel

„Super Mario“, wie manche ihn nennen, lässt sich nicht beirren, weder von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, seinem größten Kritiker im EZB-Rat, noch von Ökonomen, schon gar nicht von Politikern. Den größten Schrecken bereitete Draghi im April dieses Jahres eine Aktivistin, als sie zu Beginn der Pressekonferenz in der EZB auf den Tisch sprang, „Stoppt die EZB-Diktatur“ rief und Papierschnipsel warf. Nur kurz zeigte sich Draghi entsetzt und verängstigt, nach wenigen Sekunden wurde die Aktion von Sicherheitskräften beendet.

Draghi ist überzeugter Europäer und setzt sich unbeirrt für die Währungsunion ein. Nullzinsen und Sonderprogramme betrachtet er als legitime und legale Mittel der EZB. Kritiker räumen ein, dass Draghi nachvollziehbar gehandelt hat. „Ich habe keinen Vorschlag, wie man es in den letzten Jahren hätte anders machen können“, sagt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe. Jörg Krämer von der Commerzbank freilich bezweifelt, dass die EZB-Politik dort wirkt, wo sie wirken soll. „All das wird am Ende nicht der Konjunktur helfen, sondern nur den Kursen an den Finanzmärkten.“

Draghi als „Herr der Nullzinsen“

Draghi selbst weiß, dass die Notenbank den Regierungen Luft verschafft, um die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, um Strukturreformen umzusetzen und damit letztlich ein nachhaltiges Wachstum ankurbeln und die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu können. Also fordert er die Politik unablässig auf, entsprechend zu handeln. Er weiß aber auch, dass das billige EZB-Geld Druck von den Regierungen nimmt und so den Spar- und Reformeifer bremst.

Die Lage in der Euro-Zone hat sich dank Draghi zwar beruhigt. Aber der „Herr der Nullzinsen“ steht irgendwann vor der großen Herausforderung, wie er die Geldflut wieder eindämmen und allmählich zu einer normalen Geldpolitik zurückkehren kann, ohne vor allem die Finanzmärkte zu verschrecken. Wie, ist derzeit völlig unklar.