Mario Adorf spielt in der Neuverfilmung von Pinocchio den Schreiner Gepetto. Foto: dpa

Schauspieler Mario Adorf gibt in der Neuverfilmung von Pinocchios den Schreiner Gepetto. Im Interview spricht er über seine Kindheit und Dreharbeiten ohne Gegenüber.

Schauspieler Mario Adorf gibt in der Neuverfilmung von Pinocchios den Schreiner Gepetto. Im Interview spricht er über seine Kindheit und Dreharbeiten ohne Gegenüber.

Berlin - Er ist eine deutsche Schauspiellegende: Mario Adorf war der Schurke in „Winnetou“ oder „Nachts, wenn der Teufel kam“, drehte mit Billy Wilder, Rainer Werner Fassbinder oder Volker Schlöndorff: Seit Jahrzehnten ist der 83-Jährige im Geschäft, ans Aufhören denkt er nicht. An Weihnachten ist Adorf an der Seite von Ulrich Tukur in dem Märchenfilm „Pinocchio“ zu sehen – die ARD zeigt die zweiteilige Neuverfilmung am 25. und 26. 12., jeweils um 16.10 Uhr. Adorf spielt den Puppenvater Gepetto, die Holzfigur Pinocchio wird als Animation in den Realfilm eingefügt.

Herr Adorf, Sie spielen den Gepetto in der Neuverfilmung von „Pinocchio“, die als ein Höhepunkt des ARD-Weihnachtsprogramms läuft. Wie feiern Sie selber Weihnachten?
Da bin ich mit meiner Frau auf einer Ferienreise. Ehrlich gesagt, hat mich Weihnachten nie so geprägt, dass ich eine besonders schöne Erinnerung daran hätte. Und das ganze Weihnachtsgeschäft, das es inzwischen gibt, mag ich auch nicht sonderlich.
Gänsebraten, Christbaum, Kerzenschein – diese ganzen Traditionen pflegen Sie nicht?
Überhaupt nicht. Weihnachten spielt für mich keine große Rolle. Es ist ein Fest für Kinder, und wenn keine Kinder da sind, hat es wenig Sinn. Als ich in Italien gelebt habe, haben meine Frau und ich an Weihnachten kinderlose Freunde zum Essen eingeladen. Selten, dass es mal einen Weihnachtsbaum gab, und in meiner Kindheit, in der kargen Kriegs- und Nachkriegszeit, gab es sowieso keinen.
Haben Sie denn gar keine schönen Erinnerungen an die Weihnachtsfeste in Ihrer Kindheit?
Ich erinnere mich, dass ich mir mit ungefähr fünf Jahren Schaftstiefel gewünscht habe, wie ich sie bei einem anderen Jungen gesehen hatte. Ich kriegte tatsächlich zu Weihnachten solche Stiefel. Aber sie waren mir zu klein. Was für eine Enttäuschung! Man konnte sie erst nach den Feiertagen vom Schuster etwas weiten lassen. Aber die Freude darüber war dahin. In dem katholischen Waisenhaus, in dem ich mehrere Jahre lang gelebt habe, war Weihnachten mehr so eine moralische Geschichte.
Ging es dort sehr streng zu?
Ein Zuckerschlecken war es nicht. Ich hatte zu dieser ganzen religiösen Sache keine positive Einstellung. Ich erkannte zum Beispiel, dass der Weihnachtsmann von einem Mann aus dem Altersheim verkörpert wurde, der auch an Ostern den Osterhasen spielte. Später wuchsen meine Zweifel. Mit acht wurde ich Messdiener und musste dem Priester, wenn er mal wieder zu viel von dem Messwein getrunken hatte, die lateinische Liturgie soufflieren, die ich selber auswendig konnte. Oder ich merkte, wie die Nonnen beim Beten mit dem Text mogelten. Das waren Dinge, die ich innerlich kritisierte.
Haben Märchen in Ihrer Kindheit eine Rolle gespielt?
Ich kann mich nicht an ein eigenes Märchenbuch erinnern, und mir hat auch keiner vorgelesen. Meinen ersten Auftritt hatte ich aber in „Schneewittchen“. Da war ich vier oder fünf Jahre alt und habe bei einer Laienaufführung in meiner Heimatstadt Mayen mitgewirkt. Ich spielte den siebten Zwerg, hatte keinen Text, sondern musste nur die ganze Zeit mit goldenen Perlenketten spielen. Man hat mir einen Bart aus Verbandswatte angeklebt, der kam mir auf der Bühne irgendwie in Nase und Mund, da habe ich geweint und mir den Bart abgerissen – ich hatte also einen unfreiwilligen Lacherfolg.
Gibt es einen Grund dafür, dass Sie seitdem in unzähligen Märchenadaptionen mitgespielt haben?
Es hat für mich Tradition, Märchen für Kinder zu spielen. An der Schauspielschule in München haben wir jedes Jahr ein Kindermärchen gespielt, unter anderem war ich der Maikäfer Sumsemann in „Peterchens Mondfahrt“. Für mich war es immer schön, die Reaktionen der Kinder zu sehen. Wenn man es psychologisch erklären will, dann habe ich vielleicht den Ausgleich dafür gesucht, dass ich das in meiner Kindheit nie hatte.
Welches ist Ihr Lieblingsmärchen?
„Hans im Glück“, weil es weise und lehrreich ist. Je weniger man besitzt, desto größer das Glück, das ist eine schöne Botschaft.
Und wo liegt in Ihren Augen die Moral von „Pinocchio“?
Es ist kein wahnsinnig moralistisches Werk, und das gefällt mir eigentlich ganz gut. Die ganze Geschichte dreht sich um diese lustige, freche, unfolgsame, zur Lüge neigende Holzpuppe Pinocchio, die erst auf den letzten Metern ein echter, lebendiger Junge mit einem Herzen wird, also wahrscheinlich zu einem ganz normalen, braven Jungen.
Von Ihren Rollen als Bösewicht in „Winnetou“ oder „Nachts, wenn der Teufel kam“ bis zum gütigen Holzschnitzer Gepetto war es ja ein ganz schön weiter Weg . . .
Ja, und ich hatte auch meine Zweifel, ob das die richtige Rolle für mich wäre – ob die Leute ohne weiteres den Adorf mit so einem netten Menschen identifizieren würden.
Sie haben gezögert, die Rolle anzunehmen?
Gepetto schien mir zu lieb und gut. Sein Verzeihen, seine Langmut mit diesem frechen, anarchischen Kind, das ja eben kein Herz hat, haben mich am Anfang an der Figur gestört. Aber dann meinten viele Freunde, das sei doch ein Klassiker, ich müsse das spielen.
Pinocchio wird in dem Film als Animation technisch aufwendig in die fertigen Spielszenen eingefügt. Wie fanden Sie es, mit einer Figur zu spielen, die Sie nicht sehen konnten?
Es gab ja diese geschnitzte Pinocchio-Puppe, die stellte man bei den Proben zunächst in die Szene. Wenn die Aufnahme kam, wurde die Puppe weggenommen, und ich musste nur mit meinen Blicken und Reaktionen so tun, als sie sei noch da. Das war gewöhnungsbedürftig, aber kein Problem. An der Stelle der Holzpuppe stand übrigens oft eine junge Schauspielerin, die den Pinocchio-Text sprach. Der hatte man auf die Oberschenkel, in der Höhe, wo im fertigen Film Pinocchios Augen sind, zwei rote Kreuze geklebt, da sollte ich hinsehen. Ich kann nicht sagen, dass das unangenehm war (lacht).

ARD, Mittwoch und Donnerstag, 16.10 Uhr