Vorzeigeprojekt oder Pannenschiff? Nach vielen Verzögerungen beim Bau der Fregatte „Baden-Württemberg“ scheint die Frage offen. Die Antwort derer aber steht, die sie fahren sollen.

Wilhelmshaven - Jetzt sehen sie tatsächlich aus wie Seeleute, denen das Schiff abhanden kommt. Auf einer Plattform in fünf Metern Höhe stehen Soldatinnen und Soldaten der Besatzung Alpha. In knallig orangefarbenen Trockenanzügen, bereit auf das Zeichen des Ausbilders in die Schleuse eines Seenotrettungssystems in derselben Farbe zu schlüpfen. In dem geht es durch einen dicken Plastikschlauch geradewegs nach unten in das mit dem Schlauch verbundene Rettungsfloß.

Vier Besatzungen – und noch kein Schiff

Notausstieg, Sport, Schießen mit Handwaffen, Versorgung Verletzter, Taktikunterricht, Marschieren, technische Schulung, der Abbau von freien Tagen – all das bestimmt den Alltag von Angehörigen des 4. Fregattengeschwaders in Wilhelmshaven. Alles an Land. Schließlich fehlen den vier Besatzungen Alpha bis Delta – Echo wird gerade aufgestellt, und acht Besatzungen für vier Fregatten sollen es insgesamt werden – Schiffe.

Vor allem die „Baden-Württemberg“. Im Dezember 2013 von Gerlinde Kretschmann getauft, sollte das bislang größte Kampfschiff der Bundeswehr und Typschiff der neuen Fregatten 125, längst im Dienst der Marine sein. Doch Mängel vor allem in der Software von Waffen- und Führungssystemen haben dazu geführt, dass die Bundeswehr das Schiff im Januar ungeachtet der vielen Verzögerungen, die es schon vorher gegeben hatte, an das Hersteller-Konsortium um die Werften Thyssenkrupp Marine Systems und Lürssen zurückgab. Jetzt liegt das Schiff in Hamburg.

Drei Milliarden Euro für vier Schiffe

Immerhin: Auf der baugleichen „Nordrhein-Westfalen“ fahren Seeleute aus dem 4. Fregattengeschwader bereits Tests auf See. Die „Sachsen-Anhalt“ kam vor wenigen Tagen von ihrer ersten Werftprobefahrt zurück, in der sie als Wasserfahrzeug, noch nicht als Waffensystem getestet wurde. Bis 2020 soll die „Rheinland-Pfalz“ das 125er-Quartett im Bestand der Marine komplettieren, für das die Steuerzahler gut drei Milliarden Euro ausgeben.

Wegen der Probleme mit der „Baden-Württemberg“ spricht der am 20. März veröffentlichte Bericht des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten von fast vier Jahren Verzug des „Projekts Fregatte 125“ gegenüber der Planung, die der Kaufentscheidung des Bundestags zugrunde lag. Und von mindestens zwei Jahren Verzug, „gemessen an der aktuellen Vertragslage“.

Auffallend gute Stimmung

Gemessen daran herrscht in den Ausbildungseinrichtungen in Wilhelmshaven – der Bund investiert derzeit in diesen Stützpunkt rund 700 Millionen Euro, nagelneue Lehr- und Bürogebäude zeugen davon – auffallend gute Stimmung. In der Schwimm- und Ausbildungshalle lauschen die Soldaten konzentriert der Einweisung in die Handhabung ihrer Rettungsmittel. Aber Lachen und Rufe begleiten den Weg durch die Rettungsschleuse oder die Übungen mit Westen im Wasser.

In den Gebäuden nebenan ein ähnliches Bild: Wer den theoretischen Unterricht im Fahren in engen taktischen Formationen erlebt oder den Kurs in Erster Hilfe – danach, dass die Motivation ebenso fehlt wie die „Baden-Württemberg“ sieht es nicht aus.

„Kennen Sie Raumschiff Enterprise?“

Warum? Hagen Aurich, Leiter der Operationszentrale der Besatzung Alpha, beantwortet das so: „Kennen Sie ‚Raumschiff Enterprise’ und ‚Raumschiff Enterprise, das nächste Jahrhundert’? Etwa so müssen Sie sich den Entwicklungssprung vorstellen, den die „Baden-Württemberg“ bringt.“ Bislang sei er auf Fregatten der Klasse 122 gefahren. „30 Jahre alte Schiffe mit 40 Jahre alten Systemen.“

Markus Venker, Kommandant der Besatzung Alpha, die den 7200-Tonnen-Koloss „Baden-Württemberg“ in den vergangenen zwei Jahren immer mal wieder in der Erprobung gefahren hat, kommt geradezu ins Schwärmen, wenn er von den Fahreigenschaften spricht: „Ich kann sie problemlos 22 Grad auf die Seite neigen. Drei bis vier Meter Welle kann das Schiff ganz kommod ab. Der Verbrauch ist niedrig, die Ausdauer daher hervorragend.“

Nasszelle, Fernsehen, Internet

Zur Vorfreude trägt auch bei: Zwei Duschen, drei Toiletten für 20 Mann – das ist das Komfortangebot einer Fregatte 122. Im Bereich der Offiziere, wohlgemerkt. Fregatte 125 bedeutet: Nasszelle, Fernsehen, Internet in jeder Kabine. Viel wichtiger für die Besatzungen: Die „Baden-Württemberg“ und ihre Schwestern können bis zu zwei Jahre unter intensiver Nutzung dauerhaft im Einsatz bleiben. Betrieben eben von acht wechselnden Besatzungen, die ein- und ausgeflogen werden, wenn sich die Schiffe weit ab von Wilhelmshaven befinden. Das setzt weltweit Maßstäbe. Im Klartext: Dienstzeit wird plötzlich planbar für Soldaten, die im vergangenen Jahr teilweise bis zu 260 Tage auf See verbracht haben – gemäß schnell wechselnden Dienstplänen. Künftig sollen es nicht mehr als 120 Tage sein. Das wird auch Familien und Freunde freuen.

Klare Worte zum Seemannssonntag

Und doch: Ganz so einfach ist das Warten auf die „Baden-Württemberg“ dann doch nicht. Donnerstagnachmittag-Konferenz der Besatzung Alpha, die in schönem Bundeswehr-Deutsch „Wochenrahmendienstplanbesprechung“ heißt. Weil Donnerstag traditionell Seemannssonntag ist, gibt es Kaffee und Kuchen. Und klare Worte: „Es wird höchste Zeit, dass die Marine die ‚Baden-Württemberg’ bekommt. Wir wollen endlich zeigen, was das Schiff als Waffensystem kann“, sagt Kommandant Venker. Ein Viertel der Anwesenden wäre nicht mehr dabei, selbst wenn die Marine die „Baden-Württemberg“ wie nun geplant im Herbst in Dienst stellen sollte. Venkers Zeit auf dem Kommandantenposten wurde um 15 Monate verlängert. Das Kommando über das größte und neueste Kampfschiff bekommen und es nie richtig ausüben – für einen Seeoffizier wäre das ein Alptraum.

Wem gehört die „Baden-Württemberg“?

Die Stimmung? Auf die Frage danach ruft der erfahrenste Unteroffizier im Raum: „Wir sind stolz auf unser Schiff!“ Dirk Jacobus, Kommandeur des 4. Fregattengeschwaders, lächelt: „Sie wissen dass das in einem Mehrbesatzungssystem nicht Ihr Schiff ist.“ Die prompte Antwort: „Wir, Herr Kapitän, sind die ‚Baden-Württemberg’ als erste gefahren, sie bleibt unser Schiff.“ Jacobus lächelt noch breiter und schüttelt den Kopf. Später wird er sagen: „Natürlich erwarte ich, dass alle Besatzungen alle Schiffe mit dem gleichen Engagement fahren. Trotzdem hat mich diese Antwort gefreut. Sie zeigt, wie die Stimmung hier wirklich ist.“

Ob sie so bleibt, wird sich nach dem 9. April weisen. Dann soll in Hamburg die 126-Mann-Besatzung um Venker wieder einsteigen und die Erprobung der „Baden-Württemberg“ wieder aufnehmen. „Es ist ein Überraschungspaket, was wir da kriegen“, so der Kommandant. Ein Sprecher von Thyssenkrupp Marine Systems sagt: „Wir haben mit unseren Zulieferern die Mängel abgearbeitet. Wir streben an, das Schiff noch 2018 zu übergeben.“

Mehr als ein weiteres Jahr

Von da bis an den Punkt, an dem die „Baden-Württemberg“ von einem Wasserfahrzeug zu einem Waffensystem geworden ist, das multinationale Einsatzverbände verstärken und all das kann, wofür es konstruiert wurde, wird mehr als ein weiteres Jahr vergehen. Sollten sich manche Mängel als unausrottbar erweisen, könnte es am Ende allerdings heißen: Die Stimmung der Besatzungen war besser als das Schiff.