Marina Weisband (Grüne) schilderte die Lage in der Ukraine. Foto: epd/Christian Ditsch

Die aus der Ukraine stammende Grünen-Politikerin Marina Weisband schockiert bei Maybrit Illner mit ihrer Analyse. Und ein Ex-General gibt der Ukraine noch wenige Tage.

Stuttgart - Mit hochkarätigen Gästen – darunter Vizekanzler Robert Habeck – hat Maybrit Illner in ihrem „Ukraine-Spezial“ am Donnerstagabend den Überfall Russlands auf sein Nachbarland thematisiert. Trotz der guten Analysen sorgte die persönliche Schilderung der in Kiew 1987 geborenen Grünen-Politikerin Marina Weisband für die höchste Betroffenheit. Seit fünf Uhr morgens stehe sie mit ihrer Familie in der Ukraine im telefonischen Kontakt, so die in Münster lebende Weisband: Die Menschen versuchten, aus Kiew herauszukommen, aber sie fragten sich, wohin denn eigentlich?

Menschen harren im Keller aus

„Andere reagieren panisch und harren den Tag über in den Metro-Schächten aus“, so Weisband. Berichtet werde auch von Dörfern an der belarussischen Grenze, wo die Familien wegen der Luftschläge in Keller flüchteten und Eltern sich schützend über ihre Kinder legten. „Junge Männer schreiben sich für den Militärdienst ein, Gräben werden ausgehoben“, berichtete Weisband. „Putins Ziel ist es, in Kiew eine prorussische Regierung einzusetzen, aber das werden die Ukrainer nicht zulassen.“

Ein baldiges Ende des Konflikts sei nicht zu erwarten: „Es wird eine blutige Zeit.“ Die Lieferung von 5000 Helmen Deutschlands an die Ukraine sei übrigens ein „schlechter Witz“ gewesen, gar als Beleidigung aufgefasst worden. Putin habe „widerliche Lügen“ verbreitet, so Weisband, aber in einem Satz seiner Rede – er könne eine moderne Ukraine neben Russland nicht ertragen – habe er zumindest einmal die Wahrheit gesagt. Putin habe große Angst, dass die Demokratiebewegung von Nachbarstaaten auf Russland übergehe und seiner Kleptokratie ein Ende bereite.

In der Westukraine wird massiver Widerstand erwartet

Weisband nicht unähnlich fiel die Analyse des ehemaligen Brigadegenerals Erich Vad aus, der Kanzlerin Angela Merkel früher militärisch beraten hatte. Putin wolle ein Marionettenregime in Kiew installieren, er wolle – ähnlich wie die Abspaltung Transnistriens von der Republik Moldau und Abchasiens von Georgien – eine Zerschlagung der Ukraine bewirken und über einen Rumpfstaat im Osten herrschen.

Militärisch, so der General, sei die Sache allerdings schon für Russland „gelaufen“ : „Putin wird gewinnen. Die Ukraine ist umzingelt und hat veraltetes Gerät, da bringt die US-Militärhilfe jetzt auch nichts mehr.“ Allerdings werde Putin vermutlich nicht die westliche Ukraine dauerhaft besetzen, da dort „massiver Widerstand“ der Bevölkerung bis hin zu einem Partisanenkrieg zu erwarten sei. Auch Melanie Amann, Mitglied der „Spiegel“-Chefredaktion, sieht eine Situation wie bei David und Goliath. Nur habe die Ukraine – der David – in diesem Falle keine Steinschleuder. Das Land sei angesichts der russischen Übermacht „völlig hilflos“, der Westen reagiere zwar scharf im Ton, werde militärisch aber nicht eingreifen.

Habeck bedauert frühere „Naivität“

Sehr ernüchtert und pessimistisch äußerte sich auch der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Der absolut kaltblütig handelnde Putin habe sich durch Sanktionen nicht abschrecken lassen: „Ich verstehe den Schmerz der Ukrainer, aber so richtig können wir der Ukraine nicht helfen.“ Kurzfristig sei Putin in der Vorderhand, langfristig werde er verlieren. Der Westen werde sich vom „Putin-Russland“ komplett abwenden, und das Gleiche werde die Bevölkerung tun, denn Autokraten, die nur auf die Angst der Menschen setzten, würden eines Tages als Verlierer dastehen.

Die Idee, dass durch Handel ein Wandel in despotischen Regimen zu bewirken sei, die sei schon vor ein paar Jahren gestorben, meinte Habeck: „Das war eine Naivität der Vergangenheit.“ Der Minister erwartet von den Sanktionen zumindest, dass weiteres Unheil verhindert werde, dass der Wohlstand des russischen Mittelstandes sinke und „die Kaste um Putin“ deutliche Einschnitte in ihrer Freiheit spüren werde.

Die SPD und ihr „Russland-Problem“

Auch zwei SPD-Politiker hatte Maybrit Illner eingeladen, den Parteichef Lars Klingbeil sowie Ex-Parteichef Sigmar Gabriel. Sie mussten sich von Melanie Amann anhören, dass die SPD lange ein „Russland-Problem“ gehabt habe. Als SPD-Außenminister Heiko Maas vor Jahren eine härtere Gangart gegenüber Putin gefordert habe, da sei er von den eigenen Genossen „zusammengefaltet“ worden.

Klingbeil und Gabriel schauten aber lieber in die Zukunft: Putin habe einen großen Fehler gemacht und werde die militärische Auseinandersetzung „auf lange Sicht“ verlieren, glaubt Klingbeil und drohte etwas unbestimmt: „Unsere sicherheitspolitische Debatte wird sich fundamental ändern.“ Gabriel meinte, man sei „zum Zuschauen verdammt“, denn der Ukraine jetzt militärisch beizustehen könne niemand wollen: „Aber wir werden die Sanktionen lange durchhalten müssen.“

„Er kriegt die geballte Ladung des Westens ab“

Viel konkreter äußerte sich da Ex-General Vad: Man müsse Putin die Stärke des Westens zeigen, eine andere Sprache als die einer Militärmacht verstehe der nicht. Ob Putins Vormarsch auch auf benachbarte Nato-Mitglieder „überschwappen“ werde, wie Maybrit Illner fragte und wie Marina Weisband es befürchtet, verneinte General Vad: „Den Fehler wird er nicht machen, er würde die geballte Ladung des Westens abkriegen.“