Alina Rank (kniend) als Maria Stuart), Franziska Beyer als Elisabeth Foto: Martin Sigmund

Schillers „Maria Stuart“ ist die erste Produktion am Alten Schauspielhaus unter dem neuen Intendanten. Axel Preuß setzt mit der Inszenierung von Martin Schulze gleich mehrere Zeichen.

Stuttgart - Langsam, sehr langsam geht sie in die Knie. Die stolze Königin von Schottland ist bereit, sich zu unterwerfen, so schwer ihr das fällt. Um ihr Leben zu retten, wirft sich Maria Stuart (Alina Rank) in den Staub, liegt hingestreckt auf dem Boden, um Gnade von ihrer Widersacherin zu erlangen. Doch Elisabeth, die Königin von England, gewährt sie nicht. Und dann wird Maria, die seit Jahren im Kerker schmachtet, zur Furie, lässt alle Demut fahren und schleudert ihrer Widersacherin ihren Hass wie Giftpfeile entgegen. Dass sie sterben wird – sei’s drum. Ihre Konkurrentin ist in ihrem Stolz und ihrer Integrität ebenfalls ins Mark getroffen. Die ansonsten nur so vor Arroganz und Machtbewusstsein strotzende Elisabeth gerät außer sich, verliert ihre Beherrschung und arbeitet ihre Wut an der Betonwand in der Bühnenmitte ab, die sie wie eine Rasende dreht und dreht.

Kraftvoll und schön – Schillers altertümliche Sprache

Zwei starke Frauen, die sich gegenseitig ins Verderben ziehen, das ist der Kern von Friedrich Schillers Tragödie „Maria Stuart“. Mit diesem Klassiker ist Axel Preuß, der neue Chef des Alten Schauspielhauses, jetzt in seine Intendanz gestartet. Und hat damit gleich mehrere Zeichen gesetzt: eine Verneigung vor Friedrich Schiller, dem großen schwäbischen Dichter, und die Versicherung, dass ein mehr als 200 Jahre alter Theaterstoff den Zuschauern unter die Haut gehen kann, obwohl er in seiner Zeit belassen wird. Denn Regisseur Martin Schulze hat auf aktuelle Bezüge völlig verzichtet, setzt aber umso mehr auf die Wirkungsmacht der Schillerschen Wortkathedralen. So altertümlich die Sprache ist, so kraftvoll und schön ist sie.

Wobei das bis in den Nebenrollen – und derer gibt es viele – stark agierende Ensemble wenig Zeit hat, sich einzelnen Sätze auf der Zunge zergehen zu lassen. Denn gestrichen hat Martin Schulze nicht sehr viel, so dauert der Theaterabend fast drei Stunden, was für das Alte Schauspielhaus auch ein Novum ist. In dieser Zeit ist die höchste Konzentration des Publikums gefordert. Denn der Kampf der Frauen ist auch ein Disput um Staatsräson, Machtmissbrauch und den Gegensatz von Rechtsprechung und Gerechtigkeit. Elisabeth, die sich anfangs noch als „Sklavin ihres Standes“ bezeichnet, immer nur aufs Wohl des Volks bedacht, gerät zum Abziehbild einer korrumpierten Machtpolitikerin, die ihre Vertrauten benützt und ganz schnell fallen lässt, um ihr Ansehen zu wahren.

Drei Stunden, die sich lohnen

Es wäre ein Leichtes gewesen, das Bühnengeschehen mit tagespolitischen Anspielungen aufzuladen. Mortimer etwa, der Maria retten will und bereit ist, ein Blutbad anzurichten, nicht nur aus Liebe, sondern auch aus religiösen Wahn, ließe sich als Dschihadist interpretieren. Nichts dergleichen ist auf der nur kargen Bühne zu sehen, die einzig von einer vielseitig eingesetzten Betonwand bestückt ist. Und doch gelingt es dieser werktreuen Inszenierung, Aktualität zu evozieren. Wenn die kühle Elisabeth (Franziska Beyer) von ihren Ministern mit Ratschlägen überhäuft wird, denkt man unwillkürlich an „Mansplaining“ – an Männer, die Frauen die Welt erklären. „Ich bin zwar nur ein Weib, doch meinte ich regiert zu haben wie ein Mann“, sagt Elisabeth einmal kühl.

Martin Schulze gehört zum neuen Stab von Axel Preuß ebenso dazu wie die Bühnen- und Kostümbildnerin Pia Maria Mackert. Ihre Arbeit gibt die Lesart vor: Die zwei in Hass und Verderben aneinander geketteten Königinnen treten beide im gleichen feuerroten Kleid auf. Immer wieder sehen sie durch das Fenster in der Betonwand die jeweils andere als eigenes Spiegelbild. Franziska Beyer, kühl, blond, überheblich, versteinert zusehends, bis sie am Ende statuengleich verharrt. Die schwarzhaarige Gegenspielerin Alina Rank setzt mit ihrer dunklen Stimme Akzente und versteht es gut, der emotionalen Achterbahnfahrt ihrer Figur nur in wohldosierten Explosionen Raum zu geben. Kostümbildnerin Mackert hilft den Zuschauern, die ihren Schiller möglicherweise nicht parat haben, auch mit der Kleidung der Nebenfiguren auf die Sprünge: Wer Strümpfe, Halskrause und kurze Pluderhosen trägt, ist auf der Seite Elisabeths, die Anzugträger halten zu Maria Stuart. Wer das einmal verstanden hat, tut sich leichter mit dem Figurenreigen.

Drei Stunden O-Ton Schiller – das ist kein Pappenstiel, aber eine Anstrengung, die sich im Alten Schauspielhaus lohnt. Was auch das Premierenpublikum so sah und mit langem Applaus quittierte.