Arbeiteten vier Jahre lang bei den Stuttgarter Kickers vertrauensvoll zusammen: Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer (li.) und Präsident Rainer Lorz. Foto: Stuttgarter Kickers/Privat

Die Farbe Blau bestimmt weiter sein Leben – nur eben in München. Marc-Nicolai Pfeifer tritt an diesem Mittwoch seinen Dienst beim TSV 1860 an. Im Interview blickt er auf die Zeit bei den Stuttgarter Kickers zurück und wagt einen Ausblick.

Stuttgart - In schwierigen Zeiten übernahm Marc-Nicolai Pfeifer das Amt des Geschäftsführers bei den Stuttgarter Kickers. Vom 1. Juli an steht der 39-Jährige als kaufmännischer Geschäftsführer beim Fußball-Drittligisten TSV 1860 München unter Vertrag. Los geht es für ihn mit einem Auswärtsspiel der Löwen vor der Haustür – in Großaspach.

Herr Pfeifer, können Sie noch mit dem Datum 14. Mai 2016 etwas anfangen?

An diesem Tag fand das letzte Heimspiel der Stuttgarter Kickers in der Saison 2015/2016 gegen den Chemnitzer FC im Gazi-Stadion auf der Waldau statt.

Und nach dieser 0:1-Heimniederlage und einem dramatischen letzten Drittliga-Spieltag folgte der Abstieg in die Regionalliga. Sie hatten im März 2016 bei den Kickers unterschrieben und gingen von der dritten Liga aus. Im Juni 2016 haben Sie Ihr Amt als kaufmännischer Leiter dann aber bei einem Regionalligisten antreten müssen. Wie haben Sie persönlich diesen Tiefschlag erlebt?

Natürlich habe ich von der Vertragsunterschrift an den Blauen noch stärker die Daumen gehalten, insbesondere im Saisonendspurt. Wenn man allerdings für einen Verein in der Verantwortung ist, bekommt das noch einmal eine andere Dimension.

Auch für Sie?

Ich habe unabhängig von der Ligazugehörigkeit schnell versucht, nach vorne zu blicken. Ich versuchte, unvoreingenommen schnellstmöglich in die Themen reinzukommen, Verantwortung zu übernehmen und mit einer positiven Grundeinstellung alle im Verein auch ein wenig mitzuziehen. Dass der Verein Stuttgarter Kickers auch weiterhin interessante Potenziale hat, war mir unabhängig von der Liga klar.

War nach dem ersten Schock die wirtschaftliche Stabilisierung Ihre erste wichtige Aufgabe?

Ja, sicherlich. Es galt vor allem die Finanzierung für die Regionalliga sicher zu stellen – und das wäre in der Kürze der Zeit ohne Präsidium und Aufsichtsrat nicht möglich gewesen. Sponsoren zu binden und zurück zu gewinnen, war eine der Hauptaufgaben. Und – ganz wichtig: Es galt, gemeinsam eine Aufbruchstimmung zu entfachen, ohne dabei eine überzogene Erwartungshaltung zu vermitteln.

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Am 1. Dezember 2017 stiegen Sie zum Geschäftsführer auf. Was änderte sich dadurch für Sie?

Ich habe von Beginn an vertrauensvoll mit dem Präsidium und dem Team der Geschäftsstelle zusammengearbeitet, insofern änderte sich hier nichts Grundlegendes. Durch die Rückholung des Vertriebs vom Vermarkter U!Sports bekam ich zusätzlich die Kompetenzfelder Sponsoring und Vertrieb übertragen. Die Ernennung zum Geschäftsführer ging also einher mit mehr Verantwortung und ich empfand die Ernennung gleichzeitig natürlich als große Wertschätzung.

Statt des angestrebten Aufstiegs kam es 2018 sogar zum Absturz in die Oberliga. Sie mussten sich doch vorgekommen sein wie im falschen Film?

Da ging es nicht um mich, sondern um den ganzen Verein. Da möchte ich kurz zurückblicken. Natürlich hatten alle im Verein den Anspruch und den Wunsch wieder direkt aufzusteigen. Der idealtypisch angestrebte Aufstieg war eigentlich nicht zu realisieren, weil wir auf allen Ebenen mit den Planungen erst Ende Mai/ Anfang Juni beginnen konnten und es mit Waldhof Mannheim und dem 1. FC Saarbrücken, die jetzt beide in der dritten Liga spielen, starke Konkurrenz gab.

Am Ende musste man froh sein, am letzten Spieltag mit einem Sieg bei der TSG 1899 Hoffenheim II den Klassenverbleib geschafft zu haben.

In dieser herausfordernden Situation hat sich eine der Stärken der Stuttgarter Kickers gezeigt: Wir sind ganz eng zusammengerückt und haben Ruhe bewahrt.

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Um ein paar Tage später gegen den damaligen Landesligisten SF Dorfmerkingen im eigenen Wohnzimmer die DFB-Pokal-Teilnahme zu verspielen.

Durch dieses WFV-Pokal-Endspiel haben wir zum einen wirtschaftlich einiges hergeschenkt und zum anderen war dieses Ergebnis mit Blick auf die darauffolgende Saison auch kein Vorteil.

Tomasz Kaczmarek musste gehen, Paco Vaz schmiss hin und unter Trainer Jürgen Seeberger ging’s am Ende in die Oberliga.

Da möchte ich jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen. Insgesamt bekamen wir eben so nie die Kontinuität rein, die nötig ist, um große Erfolge zu haben. Doch es gab in den vier Jahren bei den Stuttgarter Kickers auch Erlebnisse außerhalb des Platzes, die zeigten, dass die Blauen ein ganz besonderer Verein sind.

Sie denken an soziale Projekte?

Ja, genau und außerdem an Veranstaltungen wie die 120-Jahrfeier. Die Stuttgarter Kickers sind schon ein besonderer Verein. Sie reden nicht nur von der sozialen Verantwortung, sondern setzen sie auch um. Bei anderen Clubs redet man von der Vereins-Familie, die Stuttgarter Kickers haben definitiv eine. Mit unserer DKMS-Typisierungsaktion „Save Larissa“ konnten wir nicht nur dem achtjährigen Mädchen bei der Suche nach einem genetischen Zwilling helfen, sondern auch weitere Menschenleben retten. Unsere Geisterspiel-Aktion gegen den SSV Reutlingen brachte nicht nur wichtige finanzielle Unterstützung, sondern zeigte auch, dass die Blauen nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Sportkultur in der Region und in ganz Deutschland sind.

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Dies sind bemerkenswerte Aktionen für einen Fünftligisten, doch Fakt ist auch, dass ein drittes Oberligajahr ansteht. Wie lange werden die treuen Unterstützer dies noch akzeptieren und bei der Stange bleiben?

Ich bin mir sicher, dass wir in dieser Saison bei einem regulären Verlauf aufgestiegen wären. Vielleicht nicht direkt, sondern wahrscheinlicher als Zweiter über die Relegation. Leider wurde anders entschieden. Doch die Stuttgarter Kickers können auf Strukturen, eine stolze Zahl an Mitgliedern und treuen Fans sowie ein gewachsenes Umfeld bauen, das zusammensteht, sonst wäre das sicherlich so nicht möglich. Die Blauen haben vieles, was andere Vereine nicht haben. In den Gremien sind Personen in der Verantwortung, die sich mit ganz großem Engagement für die Stuttgarter Kickers einsetzen. Ich bin sehr optimistisch, dass es nach der leider wegen Corona beeinträchtigten Situation bald wieder nach oben geht und die Arbeit belohnt wird.

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Warum?

Aus meiner Wahrnehmung stehen im Verein alle auf allen Ebenen intensiv zusammen und auch im Sport sind wir super besetzt. Jedenfalls habe ich sehr gerne mit dem Sportlichen Leiter Lutz Siebrecht zusammengearbeitet. Da haben die Stuttgarter Kickers einen emotionalen charismatischen Leader. Er ist selbst Unternehmer und weiß, mit den Mitteln gut zu haushalten. Gemeinsam mit Trainer Ramon Gehrmann haben wir die beiden Positionen im Sport gut besetzt. Und was Kontinuität und Vertrauen bewirken kann, zeigen andere Vereine wie beispielsweise der 1. FC Heidenheim.

Sind die Folgen der Corona-Pandemie denn schon absehbar?

Wir haben dank vieler Unterstützerbeiträge eine ordentliche Ausgangslage für die kommende Saison geschaffen. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die jetzt noch nicht sagen können, wie stark sie sich bei den Stuttgarter Kickers engagieren können. Bei denen bleiben wir am Ball.

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Nicht zur Kontinuität passt der Wechsel an der Aufsichtsrats-Spitze. Welche Auswirkungen hat der Rücktritt von Christian Dinkelacker?

Da widerspreche ich etwas. Herr Dinkelacker war zehn Jahre Aufsichtsrats-Vorsitzender, Herr Lehmann zehn Jahre sein Stellvertreter. Das sind schon Zahlen, die für eine Kontinuität stehen. Wechsel sind im Fußball normal.

Und Ihren Abgang wird auch der PR-Experte Roland Eitel mithelfen zu kompensieren?

Das wird man sehen. Auf jeden Fall ist dies ein sehr gutes Beispiel, über welches Netzwerk und welche Sympathisanten die Stuttgarter Kickers verfügen und was sie von vergleichbaren Vereinen abhebt. Roland Eitel hat bisher schon einige Themen für einen Teil unserer Sponsoren in der Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Kickers bearbeitet und unterstützt – ganz bestimmt zum Vorteil des Vereins. Wie die Neu-Organisation aussieht, wie meine Aufgaben umverteilt werden, ist noch nicht endgültig geklärt. Die Übergabe ist jedenfalls bestmöglich vorbereitet.

Wann starten Sie beim TSV 1860 München, und wie sehen Ihre ersten Aufgaben aus?

Ich starte am 1. Juli und gastiere bereits am Abend dann sozusagen vor der eigenen Haustür – beim Auswärtsspiel der Löwen bei der SG Sonnenhof Großaspach und freue mich schon auf das erste Live-Spiel. Meine Ziele sind es, schnellstmöglich im neuen Verein anzukommen, das auch dort zweifellos vorhandene Potenzial versuchen zu heben und das in mich gesetzte Vertrauen zu bestätigen.

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Auf Sie kommen andere Dimensionen als bei den Kickers zu.

Das stimmt und gleichzeitig gibt es auch Parallelen: Die Tradition, die Vereinsfarben und einen zweiten unaussprechlichen Verein in der Stadt (lacht). Was sich auch bereits feststellen hat lassen – die Themenstellungen sind ganz ähnlich gelagert.

Haben Sie denn schon einen Espresso im Löwenstüberl getrunken?

Ich habe zwar die beiden Gesellschafter von 1860 München kennengelernt, doch bis zum 30. Juni bin ich bei den Stuttgarter Kickers in der Verantwortung und konzentriere mich auf diese Arbeit. Der erste Espresso im Löwenstüberl muss noch warten.

Haben Sie schon eine Wohnung in München?

Mein in München ansässiger Bruder erleichtert mir sicherlich das Ankommen! Seit die Entscheidung gefallen ist, befinde ich mich auf der Suche nach einem Apartment. Doch mein Fokus liegt auf der Arbeit. Ich werde wenig schlafen und fleißig sein.

Das Organisieren eines Testspiels 1860 gegen Kickers wurde Ihnen mehrfach mit auf den Weg gegeben.

Ich weiß, das wurde von sehr vielen eingefordert – mit einem Augenzwinkern quasi als Ablöseforderung. Ich habe dies im Hinterkopf und ich werde die Stuttgarter Kickers und die großartige Zeit hier auch immer im Herzen behalten. Ein derartiges Spiel soll ja auch Erlöse bringen, deshalb sollten wir warten bis Großveranstaltungen wieder möglich sind.