Marc-André Hamelin Foto: Sim Cannety-Clarke

Der Kanadier Marc-André Hamelin hat in der Stuttgarter Konzertreihe „Meisterpianisten“ der SKS Russ Russisches und Préludes von Debussy gespielt.

Stuttgart - Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Finanzbeamter: sehr sachlich und ein bisschen grau. Genau so betritt Marc-André Hamelin am Dienstagabend auch die Bühne im Beethovensaals, genau so verneigt er sich kurz und nüchtern, und genau so beginnt er zu spielen: Alexander Skrjabins weit ausgreifende Fantasie in h-Moll lebt von seinem Drang zur Ordnung. Zumindest anfangs, und Hamelins Klarheit tut dem zwischen pianistischem Bombast und zerbrechlichen Pastelltönen zerrissenen Stück gut. Mehr und mehr dringen individuelle Farben, dringt Poesie aus Geflecht der Stimmen und Gegenstimmen, das der Pianist mit Understatement aufbereitet: Seine souveräne Bewältigung von Repertoire, das zuvor als unspielbar galt (wie etwa Leopold Godowskys Chopin-Studien), hat den kanadischen Pianisten bekannt gemacht, und nun meistert er, von einer zwischenzeitlich leicht reduzierten Trefferquote der rechten Hand mal abgesehen, auch Skrjabins spieltechnische Zumutungen, als seien es bloß lockere Fingerübungen.

Das gilt auch für die restlichen Stücke der ersten, sehr russischen Programmhälfte, in der noch Prokofjews Sarkasmen op. 17 und die dritte Sonate des komponierenden Pianisten Samuil Feinberg (1890-1962) folgen. Viel Geist, viel Kopf ist dabei; man mag das bestaunen, sich zuweilen aber auch ein bisschen mehr Seele gewünscht haben. Dass etwa Prokofjews „Tempestoso“ ein wenig wirkt wie pianistische Klangverwaltung, liegt aber auch am Fazioli-Flügel auf der Bühne, der zwar Hamelins Fähigkeit zum plastischen Modellierung von Linien entgegenkommt, aber klanglich zur Vergröberung neigt. Feinheiten werden dennoch hörbar: etwa wenn ein wunderfeines Piano-Glissando in Prokofjews „Smanioso“-Satz der markanten Basslinie entgegenwirkt oder wenn der Pianist in Feinbergs drittem, „Sonate“ betitelten Sonatensatz die Mittelstimmen anders abtönt als die Außenstimmen – was die hier ansonsten sehr mechanische Wirkung der Musik auf schönste Weise aushebelt.

Hamelin kann auch ein feiner Farbspieler sein

Dass Hamelin auch ein Farbspieler sein kann, beweist er abschließend bei den zwölf Charakterstücken aus Debussys zweitem Préludes-Band. Feiner als hier kann man das Neben- und Gegeneinander von zart hingetupftem Habanera-Rhythmus in der linken und Melodiebögen in der rechten Hand in „La puerta del vino“ nicht ausbalancieren, souveräner und aufregender danach die Triller der feingliedrig tanzenden Feen nicht formulieren, zugespitzter und exzentrischer (mitsamt beherztem Griff in den Flügelkorpus) den „General Lavine“ nicht inszenieren. Fazit: Marc-André Hamelin, der als Zugabe unter anderem eine eigene, mit virtuosen Fundstücken aus der Musikgeschichte gespickte Toccata spielt, mag sich vor allem dort wohl fühlen, wo andere erschöpft die Waffen strecken. Aber er ist nicht nur einer der technisch versiertesten und strukturbewusstesten Pianisten, sondern kann auch ein Sensibilissimus sein. Von dem würden wir gerne bald mehr hören.