Gunter Jazdziewski wehrt sich dagegen, seine Schilleria schließen zu müssen. Foto: Werner Kuhnle

Die „Schilleria“ in der Fußgängerzone hat nach einem Schließtag mit einem abgespeckten Angebot wiedereröffnet. Es gibt keine Bücher mehr, dafür kann weiterhin kopiert werden. Ob das nach dem Erlass der Landesregierung rechtens ist, ist unklar.

Marbach - Am Mittwochmorgen war die Telefonanlage des Marbacher Ordnungsamtes im Dauerbetrieb: Die Mitarbeiter riefen die Einzelhändler in der Stadt an, die mit ihrem Laden nicht der Grundversorgung dienen, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Geschäft aufgrund des Beschlusses der Landesregierung zur Corona-Pandemie sofort zu schließen ist. Doch seitdem stellt sich unter anderem in der Fußgängerzone die Frage: Welche Angebote neben dem Verkauf von Lebensmitteln zählen wirklich zur Grundversorgung? Während der Friseur und die Drogerie explizit geöffnet bleiben dürfen, sind etwa der Optiker oder der Copy-Shop im Regierungserlass nicht definiert.

Und so öffnete die Schilleria am Donnerstag nach einem Schließtag wieder ihre Pforte – wenn auch im Vergleich zum bisherigen Mischangebot in eingeschränkter Form. Der Bücherverkauf ist gestoppt, Möbel gibt es nur online. Es bleibt die Möglichkeit, zu kopieren und zu drucken. Inhaber Gunter Jazdziewski hat den übrigen Teil seines Ladens mit einem Seil abgesperrt und kurzerhand zum Lager erklärt.

„Da viele Ämter geschlossen sind und Kunden nur schriftlich mit ihnen kommunizieren können, ist das Kopieren von Anträgen, Urkunden oder Zeugnissen umso wichtiger“, verdeutlicht Jazdziewski. Er macht klar, dass er die Krisensituation verstehe, „und ich kann es auch absolut nicht nachvollziehen, wenn die Menschen weiterhin eng aufeinander in Cafés sitzen“. Aus seiner Sicht ist es aber unangemessen, auch die inhabergeführten Kleinbetriebe zu schließen. „Wir haben doch sowieso das Problem, dass sich kaum ein Kunde zu uns verirrt“, beschreibt Jazdziewski die Situation. Für den Fall, dass mehrere Kunden gleichzeitig kämen, hat er einen Hinweis an die Tür geklebt, dass nur ein Kunde im Geschäft sein darf. Rücksprache gehalten habe er vor der Wiedereröffnung mit der Industrie- und Handelskammer. Und falls er doch schließen müsse, möchte er eine schriftliche Erklärung. „Im Erlass der Landesregierung steht hierzu nämlich nichts.“

Eine pauschale Schließung kleiner Läden bedeutet laut Jazdziewski zahllose Insolvenzen. Und der Effekt, der die „Kleinen“ treffe, werde dadurch verstärkt, dass die großen Filialisten ihre Dienstleistungen weiterhin anbieten dürfen. „Das Kaufland verkauft weiter Spielwaren, Bürobedarf und Bücher. Die profitieren also sogar davon, da die Konkurrenz fehlt.“ Zumal die großen Filialisten nicht in die Innenstadt kämen. Kleine Läden seien es, die sie belebten. „Dann braucht es auch die Sanierung der Fußgängerzone nicht. Denn es wird keine Läden mehr geben“, ist der Betriebswirt überzeugt. Kredite zur Überbrückung seien nicht hilfreich. „Das Geld holt man nicht wieder rein. Stattdessen hat man das, falls man die Schließung übersteht, zusätzlich an der Backe. So viel Speck haben wir nicht mehr.“

Gefordert seien jetzt auch die Ladenvermieter, so Gunter Jazdziewski. „Die sollten zwei, drei Monate keine Miete verlangen und solidarisch sein. Es wäre zu ihrem Vorteil. Denn ist man insolvent, steht das Geschäft mindestens bis nach der Innenstadtsanierung leer. Da findest du doch niemanden mehr.“

Die Stadt lässt den Copy-Shop oder auch die Optiker vorerst gewähren. „Der ganze Dienstleistungssektor ist im Erlass nicht definiert. Da gibt es leider viele offene Fragen“, sagt der Ordnungsamtsleiter Andreas Seiberling. Sein Amt habe bereits genau diese Fragen schriftlich an den Gemeindetag gestellt und um baldige Rückmeldung gebeten. „Bis wir die bekommen sehen wir es so, dass medizinische Bereiche wie Optiker und Hörgeräte-Akustiker vertretbar sind. Denn wenn ich mich heute auf meine Brille setze, kann ich morgen nicht zur Arbeit. Ein Copy-Shop dient in unseren Augen aber nicht der Grundversorgung.“ Generell ruft er dazu auf, in der jetzigen Situation eher darauf zu schauen, zu was die Schließungen dienen. „Und nicht darauf, wie ich das Gesetz am besten umgehen kann“, so Seiberling.

Eine Anfrage unserer Zeitung beim Sozialministerium in Stuttgart, wie die Grauzonen-Fälle von Optikern, Copy-Shops und Co. eingeordnet werden, ergibt ebenfalls keine konkrete Aussage. Aus mehreren Gründen, wie Markus Jox vom Sozialministerium sagt. „Es ist klar, dass diese Verordnung Fragen der Umsetzung aufwirft, so schnell wie sie erlassen wurde. Normalerweise dauert es Monate, bis – zum Teil viel unwichtigere – Verordnungen durch sind. Da wird in den kommenden Tagen sicherlich noch manches nachgesteuert.“ Jox appelliert an die Vernunft aller Menschen – auch der Ladenbesitzer. Man solle wirklich nur auf die Straße und in Läden gehen, wenn dies unbedingt nötig sei. Läden sollten nur öffnen, wenn sie systemrelevant seien. „Wir hoffen, dass sich die kommenden Tagen alle Fragen klären. Aber wenn sich jemand unsicher ist, soll er aufs Ordnungsamt zugehen“, so Jox. Dies könne dann auch im Zweifel Einzelfallentscheidungen treffen sowie über Sanktionen im Falle einer Missachtung der Anordnung entscheiden.

Die Lebensmittelgeschäfte im Bottwartal haben derzeit sehr viel zu tun: https://www.marbacher-zeitung.de/inhalt.einzelhaendler-im-bottwartal-haben-viel-zu-tun-lebensmittelgeschaefte-vor-neuen-herausforderungen.7b64dd6a-6550-4162-9eac-c1dea26f6b52.html