Eine Szene aus Esslingen, wie sie sich auch in Marbach abspielen könnte: ein Lastenrad – wenn auch ein sehr voluminöses – im gewerblichen Einsatz Foto: Archiv (Horst Rudel)

Der Radfahrer Andreas Sieber wirbt für ein Projekt, das die Kommune und Freiwillige mittragen könnten.

Marbach - Etwa 1000 Kilometer hat Andreas Sieber in einem Jahr mit seinem Lastenrad für das Reformhaus zurückgelegt, das er mit seiner Frau Martina betreibt. Jetzt will der Marbacher, dass diese Art des Transports weitere Kreise in der Schillerstadt zieht. Der 53-Jährige schlägt der Stadtverwaltung vor, ein Freies Lastenrad anzuschaffen. Ein solches E-Bike würde voraussichtlich um die 4000 bis 8000 Euro kosten. Nutzen könnte es jeder, der sich – auch kurzfristig  – über ein Internetportal anmeldet und das Rad dann kostenlos fährt.

„Feuer und Flamme“ sei er für die Idee eines Freien Lastenrads, sagt Andreas Sieber. Es gebe in Deutschland bereits etwa 60  solche Initiativen, 17 weitere seien in Planung. Das Konzept sei überall ähnlich. Wer zum Beispiel im Baumarkt einkaufen oder viel Zubehör zum Grillen transportieren wolle, müsse nicht unbedingt das Auto benutzen. „Wir brauchen auf lange Sicht eine Verkehrswende“, ist Sieber überzeugt und hat die langen Autoschlangen des Berufsverkehrs in der Bottwartalstraße vor Augen. „Bei uns stimmt das Verhältnis nicht“, erklärt er und verweist auf die Niederlande. Dort befolgten die Städte insbesondere in puncto Sicherheit eine klare Rangfolge: „Erst die Fußgänger, dann die Radfahrer und zuletzt die Autofahrer.“ Marbach habe noch Potenzial: „Die Güntterstraße ist trotz des gestrichelten Radwegs sehr gefährlich – das liegt an den seitlichen Parkplätzen: Dort scheren immer wieder Autos ein und aus und gefährden Radfahrer.“

Mit dem Projekt Lastenrad gehe es ihm aber nicht etwa darum, Autoverkehr einzuschränken, betont Andreas Sieber. „Es würde überhaupt kein Zwang dahinterstecken: Jeder hätte das Recht, das Lastenrad auszuprobieren und sich eine Meinung zu bilden.“ Bestärkt sieht er sich durch die Bilanz der Kölner Initiative: „Von den Nutzern haben sich 30  Prozent ein eigenes Lastenrad gekauft – 70 Prozent leihen es weiter aus.“ Der Anspruch, ein Rad zu besitzen, sei vielen offenbar nicht so wichtig, glaubt Sieber. Es gehe darum, sich mit dieser nachhaltigen Art des Einkaufens zu identifizieren.

In den nächsten Wochen Mitstreiter zu finden, hofft Andreas Sieber, der als Rettungssanitäter arbeitet. Er habe Kontakt mit allen Fraktionen des Gemeinderats aufgenommen und werde das Projekt am Montag Bürgermeister Jan Trost vorstellen, aber auch mit der Marbacher Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs sprechen. Die 30-prozentige Förderung des Landes senke die Anschaffungskosten. Die Stadt habe ja auch bereits ein eigenes Lastenrad erworben. Problematischer als die Kosten für den Kauf wäre der laufende Betrieb. So entstünden durch den Verschleiß und kleinere Reparaturen Kosten von etwa 15 bis 30 Euro monatlich, schätzt Sieber. Auch müsste es einen festen, geschützten Abstellort geben.

Infrage käme, die Marbacher Einzelhändler einzubinden – bei ihnen könnte der Schlüssel aufbewahrt und bei Bedarf herausgegeben werden. Er gehe aber davon aus, dass es einen festen Kreis von Ehrenamtlichen geben muss. Noch sei unklar, mit welcher Organisationsform dieser Kreis das Lastenrad betreibe. Möglich sei unter anderem, sich dem Stuttgarter Verein Freies Lastenrad anzuschließen, der angeboten habe, sein Reservierungsportal für das Marbacher Rad zur Verfügung zu stellen.

Positive Erfahrungen sammele er seit 2014 in Stuttgart, sagt Jan Lutz vom dortigen Verein Freies Lastenrad. „Es ist erst einmal wichtig, von der Schwarz-Weiß-Brille wegzukommen“, rät er. Schließlich bedeute ein Lastenrad für alle nicht, dass das Autofahren verteufelt werde. Wer aber mit einem solchen Rad unterwegs sei, werde oft und durchaus als Sympathieträger angesprochen, „wie jemand mit Hundewelpen“. Der 43-jährige Kommunikationsdesigner Lutz sieht es indes auch nicht als „unbedingt zeitgemäß“ an, „wenn zwei Tonnen Stahl 100 000-fach 70  Kilo Biomasse durch die Stadt bewegen“, zumal 50  Prozent aller Mobilitätsbewegungen in einer Stadt in einem Radius von fünf Kilometer stattfänden.

Die ehrenamtliche Initiative biete sechs verschiedene Lastenräder-Typen an, berichtet Jan Lutz. Ziel sei auch, dass Interessierte Gelegenheit bekämen, sie vor einem möglichen Kauf auszuprobieren. Der Einkauf von Getränken, der Transport der Kinder oder andere Aktionen seien möglich. Wichtige Partner seien Einzelhandelsgeschäfte, die profitierten. Wissenschaftliche Untersuchungen belegten: „Radfahrer, die regelmäßig durch ihr Viertel fahren, geben dort monatlich mehr Geld in den Läden aus als Autofahrer, die zum Supermarkt auf der grünen Wiese fahren und die Läden meiden.“ Städte wie Marbach sollten sich um Abstellplätze für Lastenräder in der Innenstadt bemühen.