Als erster Nicht-Afrikaner bleibt der Norweger Sondre Moen unter 2:06 Stunden. Foto: dpa

Der Triumph des Norwegers Sondre Moen in Fukuoka zeigt: Europas Marathon-Elite will den Stars aus Ostafrika nicht mehr hinterher laufen. Für dieses Ziel nehmen die Topathleten einiges in Kauf.

Stuttgart - Auch in der Stunde seines größten Triumphes versuchte Sondre Nordstad Moen, die Dinge nüchtern zu betrachten. In den Range eines Sporthelden, das war dem Norweger klar, würde er in seiner Heimat auch jetzt nicht erhoben werden. Denn seinen Sensationssieg im fernen Japan feierte er nicht im Langlauf oder Biathlon, sondern im Marathon. „Ich bin mir nicht sicher“, sagte Moen nach dem Zieleinlauf, „ob die Leute in Norwegen einschätzen können, wie gut es ist, einen Marathon in 2:05 Stunden zu laufen.“

In Afrika hingegen könnte die Aufregung über diese Leistung größer kaum sein. Mit seinen 2:05:48 Stunden, so die exakte Zeit, mit der Moen am Sonntag den Marathon-Klassiker in Fukuoka gewann, verbesserte der erst 26 Jahre alte blonde Mann aus Trondheim nicht nur den Europarekord des in Kenia geborenen Türken Kaan Kigen Özbilen (2:06:10). Moen ist damit auch der erste Weiße überhaupt, der in Regionen vordrang, in denen die Langstreckenläufer aus den Hochebenen Ostafrikas bisher unter sich geblieben waren.

Der deutsche Rekordhalter Arne Gabius sieht sich bestätigt

Moens Fabelzeit ist der bislang eindrücklichste Beweis für die These des deutschen Marathon-Rekordhalters Arne Gabius: „Es ist möglich, mit den Afrikanern mitzuhalten – man kann sie sogar schlagen.“ Der Sieg des Norwegers, der in Fukuoka unter anderem Stephen Kiprotich aus Uganda, den Olympiasieger von 2012, auf den letzten Kilometern einfach stehen ließ, markiert den vorläufigen Höhepunkt der Renaissance des europäischen Marathonlaufs, die sich schon in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat.

Gabius selbst war es, der beim Frankfurt-Marathon 2015 mit seinem deutschen Rekord von 2:08:33 ein auch international beachtetes Ausrufezeichen setzte. Bei der WM in diesem Sommer in London belegten der Schotte Callum Hawkins (25) und der Italiener Daniele Meucci (32) die Plätze vier und sechs. In Frankfurt liefen anschließend gleich drei Europäer unter die besten sieben – ungewöhnlich für ein Rennen dieser Größenordnung, bei dem mehrere Dutzend Profis aus Afrika an den Start gehen: Als Sechster kam Gabius (36) ins Ziel, knapp dahinter der Pole Henryk Szost (35), knapp davor der Brite Dewi Griffiths (26), was die eigentliche Sensation war.

Der Waliser Dewi Griffiths züchtet nebenher Schafe

Ein Exot ist der Mann aus Wales, der in Frankfurt seinen ersten Marathon bestritt und im Hauptberuf Schafe züchtet. Harte Arbeit auf der Farm seiner Eltern kombiniert Griffith mit hartem Training – und erinnert an die 1980er Jahre, eine Hochzeit im europäischen Marathon. „Früher haben viele Läufer körperlich gearbeitet und dann nebenbei noch bis zu 190 Kilometer pro Woche trainiert. Mein Lebensstil passt dazu“, sagt Griffith.

Ansonsten aber sind es die Athleten aus Afrika, an deren Gepflogenheiten sich die Europäer orientieren: spartanisch leben und sich allein aufs Laufen konzentrieren. Immer mehr Topläufer zieht es zum Training in die Hochebenen Ostafrikas. Mehrere Wochen im Jahr verbringt Gabius in Kenia, mehrere Monate sogar die große Schweizer Nachwuchshoffnung Julien Wanders (21) oder Sondre Moen, der neue Überflieger aus Norwegen.

Sondre Moen verbringt jährlich mehrere Monate in Afrika

Mit 19 ist der introvertierte Blondschopf erstmals nach Kenia gegangen, um mit den einheimischen Athleten zu leben und zu laufen. Regelmäßig ist er seither dorthin zurückgekehrt. Allein in diesem Jahr hat Moen 223 Tage in Höhentrainingslagern verbracht und nach den Plänen des Laufgurus Renato Canova trainiert, der auch viele afrikanische Topathleten betreut. Das Credo des Italieners: Viel hilft viel. Weit mehr als 200 Kilometer umfasst das wöchentliche Pensum, die meisten davon in höchstem Tempo. „Den gemütlichen Sonntagslauf gibt es nicht mehr“, sagt Gabius, der schon seit Jahren in engem Austausch mit Canova steht und von Moen als „Vorbild“ bezeichnet wird.

Als „Ausrede“ oder „Barriere im Kopf“ hat es der Wahl-Stuttgarter schon immer betrachtet, wenn es heißt, die Afrikaner seien aufgrund ihres Körperbaus oder ihrer Gene im Langstreckenlauf unschlagbar. Mit dem Triumph von Moen, der den Marathonsieg bei der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin als nächste Durchgangsstation auf dem Weg zu Olympiagold 2020 betrachtet, sieht sich Gabius endgültig bestätigt. Die 2:05 Stunden, sagt er, seien für den Norweger „noch nicht das Ende“ – und für ihn selbst „große Motivation“. Nach dem Zieleinlauf in Fukuoka „wollte ich gleich die Laufschuhe schnüren“.