Viele Gläubige wünschen sich rasche Reformen und einen neuen Aufbruch. Foto: dapd

Mannheimer Katholikentag beschäftigt sich auch mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals.

Mannheim - In der Katholischen Kirche rumort es. Viele Gläubige wünschen sich rasche Reformen und einen neuen Aufbruch. Die deutschen Bischöfe setzen auf Dialog, aber nicht auf schnelle Entscheidungen. Viel Konfliktstoff für den Katholikentag.

Kaum ein Wort wird auf dem 98. Katholikentag in Mannheim so häufig in den Mund genommen wie Aufbruch. Spricht man mit Gläubigen auf einigen der rund 1200 Veranstaltungen, die bis Sonntag stattfinden, dann reden viele von ihrer Hoffnung auf Veränderung und Wandel. „Ich erwarte vom Katholikentag einen Aufbruch“, sagt die Diplompädagogin Christina Czarnetzki (42) aus Ettenheim. Vor allem infolge der Missbrauchsskandale sei es wichtig, dass die Kirche in die Offensive gehe. „Wir dürfen uns nicht alle in der Opferrolle sehen.“ Was über so viele Jahrzehnte falsch gelaufen sei, könne man nicht innerhalb kurzer Zeit aufarbeiten.

Auch Alois Glück gibt sich optimistisch. Der Mann ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), das das Laientreffen alle zwei Jahre managt. Der frühere CSU-Spitzenpolitiker glaubt, dass „neue Initiativen immer von unten kommen, nur selten von oben“. Das Christentreffen solle Orientierung in einer Zeit vieler wichtiger Weichenstellungen geben. „Wir wünschen uns mehr Partnerschaftlichkeit in der Kirche: zwischen Frauen und Männern, zwischen Laien und Klerikern.“

Der Katholikentag soll verloren gegangenes Vertrauen zurückbringen

Dass konservative Oberhirten wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner und mit ihm viele Traditionalisten dem fünftägigen Treffen fernbleiben, demotiviert Glück keineswegs. Den „Mannheimer Aufruf“, in dem das ZdK gleich zu Beginn der Großveranstaltung vor einem Rückzug der Kirche aus der gesellschaftlichen Verantwortung warnt und innerkirchliche Reformen 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) anmahnt, nennt Glück „eine Art Notruf“.

Der Katholikentag soll verloren gegangenes Vertrauen zurückbringen. Das hat die deutsche Kirche bitter nötig. Nach den Missbrauchskandalen und der darauffolgenden massiven Austrittswelle geht es in Mannheim vor allem darum, ein positiveres Bild von Kirche zu vermitteln. Die „tiefe Erschütterung“ habe aber auch „Verkrustungen aufgebrochen“, ist Glück überzeugt.

Zahlreiche Veranstaltungen sind geprägt von den drückenden Problemen in der Kirche, die seit Bekanntwerden der zahllosen Missbrauchsfälle in einer existenziellen Krise steckt. Bernd Göhlig (46) sieht darin das „große Schattenthema“ des Katholikentags, dass alle anderen wichtigen Fragen wie etwa die Sozial- oder Entwicklungspolitik beiseite drängt. Doch eine wirkliche Aufarbeitung finde nicht statt. Der Theologe aus Leutershausen wirft den Bischöfen vor, Imagepflege zu betreiben und das „heiße Eisen“ endlich vom Tisch haben zu wollen.

„Die Wahrheit schmeckt immer bitter“

„Auftreten statt Austreten“ heißt eines der zentralen Podien. Jesuitenpater Klaus Mertes beschreibt vor dem restlos überfüllten Auditorium die Vertrauenskrise, in der sich die Kirche derzeit befindet. Mertes hatte Anfang 2010 als Schulleiter des Berliner Canisius-Gymnasiums seines Ordens den Missbrauchsskandal öffentlich gemacht und damit eine Flutwelle ausgelöst. „Die Wahrheit schmeckt immer bitter“, betont er. Die Aufdeckung der Gewalt in der Kirche habe jedoch das Potenzial, diese tiefgreifend zu verändern.

Auch der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki spricht sich als Vertreter der Amtskirche für schonungslose Aufklärung aus und erntet dafür lauten Applaus. „Überall, wo Unrecht geschieht – und da war großes Unrecht, abgrundtief Böses –, muss es in die Öffentlichkeit. Nur so können wir sicherstellen, dass so etwas nie mehr passiert.“

Der schöne Schein des Katholikentreffens kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an vielen Ecken in der Kirche brennt. Vor allem Verbesserungen für wieder verheiratete Geschiedene, die nicht am Abendmahl teilnehmen dürfen und sich „von ihrer Kirche verlassen“ fühlen sowie konfessionsverschiedene Ehen, werden in Mannheim angemahnt. Probleme, die auch manchen Bischof umtreiben. Doch Rom blockt selbst den kleinsten Reformschritt von vorneherein ab.

„Die klerikale Kirche ist out“

Christian Weisner von der Basisbewegung Wir sind Kirche sieht der Glaubensgemeinschaft die Zeit davonlaufen. „Die klerikale Kirche ist out“, erklärt er. „Wir brauchen eine Mitmachkirche, keine Versorgungskirche.“ Dafür müssten aber die innerkirchlichen Fraktionen erst einmal miteinander reden. Von einem Dialog ist man aber auch in Mannheim weit entfernt. So veranstalten die kritischen Gruppen, die im offiziellen 600-Seiten-Programm nicht auftauchen, erneut ein Alternativprogramm abseits der Katholikentagsmeile in der evangelischen Johanniskirche. Zum üblichen Duktus solcher kirchlichen Treffen gehört es, dass man sich selbstkritisch und reformwillig zeigt. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sieht Handlungsbedarf. Er räumt ein, dass viele Gläubige von ihrer Kirche enttäuscht seien.

„Unser Lebensstil ist nicht zukunftsfähig. So kann es nicht weitergehen“, warnt der Freiburger Erzbischof bei der Auftaktveranstaltung. Das sieht der Wortführer der Konservativen unter Deutschlands Oberhirten ganz anders. Kardinal Meisner lässt aus Köln verlauten, dass ihm in Mannheim „die katholische Mitte“ fehle, „bei der man die Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof, Priestern und dem Volk Gottes spürt“. Schon das Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“ hält er für deplatziert. „Nicht die Kirche, die Gläubigen müssen aufbrechen.“

In der Folge der Missbrauchsdebatte wurde in etlichen Bistümern ein Dialogprozess angestoßen, der über Konsequenzen aus dem kirchlichen Versagen und Vertuschen befinden soll. Doch was geschieht, wenn dieser Dialog scheitert? Weisner ist nicht der Einzige, der schlechte Zeiten anbrechen sieht. Die „schlimmste Option“ sei, „dass wir in die Bedeutungslosigkeit zurückschrumpfen, wir eine mittelgroße Sekte werden“, sagt Weisner.

Auch Pater Mertes – mittlerweile Schulleiter in Sankt Blasien – warnt vor Selbstzufriedenheit und Stagnation. „Die Kirche darf sich nie mit einer Situation zufriedengeben“, sagt er, „in der die Scheinheiligkeit über die Wahrhaftigkeit siegt.“