Nach welchen Begriffen suchen die Deutschen im Internet? Foto: Zapletal

Vor der Bundestagswahl wollen Forscher herausfinden, was dran ist an den Gerüchten, Google könne das Wahlverhalten beeinflussen. Der Konzern hütet die Auswahl seiner Suchergebnisse wie ein Geheimnis.

Stuttgart - Filterblase, Social Bots und Fake-News – die Bundestagswahl fällt scheinbar in eine für die Demokratie gefährliche Zeit. In den vergangenen Monaten hatten Experten immer wieder davor gewarnt, dass spätestens mit der Wahl in diesem Herbst viele der Effekte, die bei der US-Wahl mutmaßlich eine große Rolle gespielt haben, auch in Deutschland relevant werden. Unter anderem wird vermutet, dass die zahlreichen Falschmeldungen in sozialen Netzwerken Donald Trump in die Hände gespielt haben; auch Social Bots – also automatische Accounts in sozialen Netzwerken, die nicht von Menschen, sondern von Maschinen bespielt werden – sollen in großem Stil für den heutigen US-Präsidenten geworben haben.

Die Suchergebniss verstärken Vorurteile

Und nicht zuletzt stand die sogenannte Filterblase im Zentrum der Kritik: Dahinter stehen die intelligenten Suchalgorithmen unter anderem von Google und Facebook, die jedem Nutzer idealerweise jene Suchergebnisse präsentieren, die ihm persönlich näherstehen. So entsteht der Eindruck, dass die ganze Welt der eigenen Meinung ist, Vorurteile werden verstärkt. Auch wenn umstritten ist, inwiefern Erlebnisse in der realen Welt diesen Eindruck wieder relativieren, so ist er doch innerhalb von Facebook gut untersucht: In der Tat zeigen immer wieder verschiedene Experimente, dass Nutzer in dem sozialen Netzwerk vor allem ihre Meinung bestätigt bekommen und kaum über den eigenen Tellerrand hinaus schauen. Bei der Suchmaschine Google hingegen ist er weniger eindeutig. Diese hatte zwar bereits 2005 ihre personalisierte Suche als besonderen Service eingeführt, der unter anderem dazu führte, dass Nutzer jene Websites, die sie häufiger besuchen, stets auf den ersten Plätzen der Suchergebnisse angezeigt bekommen. Ebenso werden Ergebnisse bevorzugt, die ihren Interessen nahestehen nach Einschätzung Googles auf Grundlage all der Daten, die Google über den jeweiligen Nutzer hat.

Der Algorithmus ändert sich ständig

Welchen Effekt das genau hat, ließ sich bisher aber kaum belegen, da auch die Systematik hinter der Google-Suche ein gut gehütetes Geheimnis des Konzerns ist: Niemand weiß, welche Nutzer welche Suchergebnisse angezeigt bekommen und welche Faktoren zu einem besseren Ranking allgemein führen. Das hat eine eigene Disziplin der Suchmaschinen-Optimierung hervorgebracht, die in unzähligen Blogs diskutiert, wie Anbieter ihre Seiten gestalten sollen, um bei Google möglichst oft in den obersten Treffern zu erscheinen. Doch der Konzern ändert diesen Algorithmus ständig, so dass selbst jene wenigen Erkenntnisse eine kurze Halbwertszeit haben.

Doch wie beeinflusst diese vorausgewählte Information unsere Sicht der Welt? Welche Macht hat Google damit wirklich? Der Psychologe Robert Epstein aus Cambridge, Massachusetts, hat zumindest untersucht, wie unterschiedliche Informationen Wähler eher zugunsten des einen oder des anderen Kandidaten entscheiden ließen. Nachdem Epstein diese Hypothese zunächst in einer Laborstudie getestet hatte, nutzte er schließlich die Wahlen in Indien 2014 für ein Experiment. Dafür rekrutierte er mehr als 2000 noch unentschlossene Wähler und teilte sie in Gruppen ein: Eine Gruppe bekam bei ihrer Internetrecherche mehr Suchergebnisse über den einen, eine zweite Gruppe mehr über den anderen Kandidaten präsentiert: Die Vorlieben verschoben sich deutlich jeweils zugunsten des Kandidaten, der in den Suchergebnissen bevorzugt vorkam.

Die deutsche Initiative Algorithm Watch will nun mehr Licht ins Dunkel bringen und vor allem schauen, wie sich der Google-Algorithmus auf die Suchergebnisse zur Bundestagswahl auswirkt. „Wir wollen wissen, wie uns Algorithmen beeinflussen, vor allem bei so einem wichtigen Event wie der Bundestagswahl“, sagt Katharina Zweig, Professorin für Netzwerktheorie an der Uni Kaiserslautern. Dafür bittet die Initiative um eine „Datenspende“: Nutzer können ein Plug-in installieren – ein kleines Programm, das für die Initiative sechsmal am Tag auf dem Rechner der Nutzer verschiedene Suchanfragen via Google stellt. Die Initiative will damit unter anderem herausfinden, wie hoch der Grad der Personalisierung der Suchergebnisse tatsächlich ist, sagt Zweig. Denn gegenüber der Initiative habe Google deutlich gemacht, dass Suchergebnisse nur zu einem sehr kleinen Teil personalisiert werden. Vor allem eine Regionalisierung spiele eine Rolle. Nutzer in Stuttgart bekommen beispielsweise bei der Suche nach dem Wort „Bank“ vor allem Banken in ihrer Nähe angezeigt.

Ist die Suche personalisiert oder regionalisiert?

Google findet das unter anderem anhand der IP-Adresse heraus, die einen ungefähren Standort angibt. Sind Nutzer während der Suche in einen Google-Account eingeloggt, kann der Konzern zudem alle anderen Informationen speichern und für weitere Suchen nutzen: Was hat der Nutzer gesucht? Was hat er angeklickt? Wem hat er gemailt (sollte er das über Googlemail getan haben)? Welche Pläne hat er (sollte er den Google-Kalender nutzen)? Und vieles mehr. Aber auch wer keinen Google-Account hat, verrät der Suchmaschine über sogenannte Cookies einiges: Diese kleinen Dateien werden von Webseiten auf dem Computer der Nutzer abgelegt und helfen der Seite, diesen Rechner beim nächsten Besuch wieder zu erkennen.

Die Ansage von Google gegenüber Algorithm Watch, Suchergebnisse nicht zu personalisieren, steht in einem gewissen Widerspruch zu eigenen Hilfeseiten des Konzerns, auf denen er erklärt, wie Nutzer die personalisierte Suche abschalten können: Der Google-eigene Chromebrowser sieht einen „privat-Surfen-Modus“ vor, der weder den Browserverlauf noch Cookies speichert. Zweig sagt selbst, dass sie überrascht gewesen sei über die Aussage von Google. Allerdings kenne sie auch keine Forschung, die Gegenteiliges belege. Von daher ist das aktuelle Datenspendeprojekt tatsächlich eines der ersten, das hier für mehr Transparenz sorgen könnte – auch wenn Zweig betont: „Das Projekt ist kein Misstrauensvotum gegenüber Google.“ Dass Google bewusst Wahlen beeinflussen will, hält sie für unwahrscheinlich. Da fehle nicht nur das Motiv, es sei auch eine Gefahr des Renommee-Verlusts: „Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn es einen Leak gäbe.“

Funktion offen legen

Eine kleine Kritik gibt es dann aber doch an Google: „Statt zu Aktionen wie unserer greifen zu müssen, wäre es besser, wenn Google und vergleichbare Anbieter der Gesellschaft ihre Funktionsweise in viel stärkerem Maße offenlegten.“ Schließlich steht zumindest der Verdacht im Raum, dass Google unsere Sicht auf die Welt beeinflusst. Spannend finden die Initiatoren zudem, welche Medien es in die obersten Treffer bei Google schaffen: „In unserer Vorstudie haben wir sehr selten Medien in den ersten fünf Treffern gesehen“, sagt Zweig, „sollte sich das ändern, ist das ein Zeichen dafür, dass sich jemand sehr viel Mühe gibt.“ Ein Punktsieg für die Suchmaschinen-Optimierer also.

Forscher bitten um Mithilfe

Nutzer

Für die Initiative sind alle Nutzer hilfreich, auch solche, die Google weder zum Suchen nutzen noch einen Account haben und die Cookies selbst regelmäßig löschen: Schließlich sind diese eine Art Kontrollgruppe. Über sie sollte Google kaum etwas wissen und von daher auch keine Präferenzen kennen. Hier dürfte lediglich die Regionalisierung eine Rolle spielen.

Vorgehen

Auf der Seite https://datenspende.algorithmwatch.org/ können Interessierte das Plug-in für Firefox oder Chrome herunterladen. Nutzer anderer Internetbrowser können nicht teilnehmen; auch mobile Geräte werden nicht einbezogen. Das Plug-in sucht sechsmal am Tag zu festen Uhrzeiten über den Rechner der Teilnehmer per Google nach 16 Begriffen: die Namen der Parteien sowie die der Spitzenkandidaten. Die Ergebnisse werden protokolliert und ausgewertet, wie und ob sie sich über die Zeit verändern. Die Suche wird nur dann ausgeführt, wenn der Nutzer in diesem Moment online ist – also im Schnitt vermutlich drei- bis viermal am Tag.

Privatsphäre

Die Initiative bekommt über das Plug-in die Ergebnisse der Suchabfragen sowie die Information, ob die Person in einen Google-Account eingeloggt war – aber nicht die Log-in-Daten. Anstatt des Namens wird jeder Person eine ID zugeteilt, um sehen zu können, wie sich die Ergebnisse bei einer Person über die Zeit verändern.

Forschung

Die Initiative stellt die Daten zudem öffentlich zur Verfügung, damit auch andere Forscher damit arbeiten können. Dabei wird weder die IP-Adresse noch andere Daten veröffentlicht, mittels derer auf einzelne Nutzer geschlossen werden kann.