Ein Teller Pommes macht satt, versorgt den Körper aber nicht gut Nährstoffen Foto: Viktor - Fotolia

Kinder mit einem Nährstoffmangel sind häufiger krank und lernen schlechter. Wer schon zu Beginn seines Lebens schlecht mit Nährstoffen versorgt ist, leidet ein Leben lang. Experten sprechen von verborgenem Hunger.

Stuttgart - Wer spätabends noch in den Supermarkt geht, um sich schnell etwas für das Abendessen zu kaufen, steht vor vollen Regalen. „Bei diesem Überangebot an Nahrungsmitteln kann sich niemand vorstellen, dass Menschen in Deutschland an Hunger leiden – genauer an verborgenem Hunger“, sagt der Hohenheimer Ernährungswissenschaftler Hans Biesalski. Das Besondere an verborgenem Hunger ist, dass man ihn nicht spürt und es zunächst auch nicht sieht.

Bei verborgenem Hunger ist das Problem, dass die Betroffenen Lebensmittel wie Reis, Nudeln oder auch Fleisch essen, die zwar satt machen, aber nicht genug Nährstoffe enthalten. Und doch hat er Folgen für die Gesundheit. Experten sprechen von verborgenem Hunger, oder auch Hidden Hunger, weil sich der Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen, Fettsäuren, Vitamin A, Jod eben zunächst nicht zeigt. Von Hidden Hunger sind auch Menschen in Deutschland betroffen, obwohl diese Tatsache zu wenig Beachtung findet, wie Biesalski betont. Dabei ist besonders für Schwangere und Kinder eine unzureichende Versorgung mit Mikronährstoffen sehr gefährlich – und kann lebenslange Folgen haben. Zusammen mit Experten aus aller Welt hat Biesalski bei einem Kongress der Universität Hohenheim in Stuttgart eine Woche über Hidden Hunger diskutiert.

Eisen

Der Körper benötigt Eisen, um den Sauerstoff zu transportieren. Ohne Eisen funktioniert die Zellatmung nicht optimal. Die Zellen können nicht richtig arbeiten. Ohne Eisen ist auch die Blutbildung gestört. Kinder und Frauen, die an einem Eisenmangel leiden, sind anfälliger für Infekte. Gerade in der Schwangerschaft wird aufgrund der zunehmenden Blutmenge und des Eisenbedarfs des Kindes mehr des Elements gebraucht. Die Nationale Verzehrstudie hat ergeben, dass junge Frauen im gebärfähigen Alter gerade noch so die Richtwerte von zehn Milligramm am Tag erreichen. Im schlimmsten Fall führt der Mangel zu einer erhöhten Kindersterblichkeit noch während der Schwangerschaft. Die schlechte Versorgung mit Eisen lässt die Kinder später schlechter lesen, schreiben, lernen und assoziieren. Auch das emotionale Verhalten ist aufgrund einer schlechten Versorgung mit Eisen gestört. „Die Kinder sind ängstlicher und neigen zu Depressionen“, sagt der Hohenheimer Forscher. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Schwangeren, 30 Milligramm des Spurenelements am Tag zu sich zu nehmen. 100 Gramm Haferflocken enthalten 4,6 Milligramm, Schweineleber 22,1 Milligramm.

Jod

Der menschliche Körper benötigt Jod, um Schilddrüsenhormone zu produzieren. Der Bedarf an Jod steigt mit der Schwangerschaft um 50 Prozent an. „Ein Jodmangel während der Schwangerschaft kann das Gehirnwachstum des Babys schädigen und führt zu einer erhöhten Kindersterblichkeit“, sagt Michael Zimmermann, Professor für Humanernährung am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH Zürich. Kinder, die schlecht mit dem Spurenelement versorgt sind, lernen und entwickeln sich schlechter. Einige Kinder kommen auch taub auf die Welt. Und auch nach der Geburt sind die Kinder stark auf eine gute Versorgung mit Jod angewiesen, denn: „Säuglinge haben ein großes Risiko für einen Mangel, weil der Bedarf zu keinem anderen Zeitpunkt des Lebens so hoch ist“, sagt Zimmermann.

Meeresfisch enthält besonders viel Jod, ist aber für einkommensschwache Menschen oft nicht bezahlbar. Zimmermann sieht daher immer noch jodiertes Speisesalz als die beste Möglichkeit, einem Jodmangel vorzubeugen. Die Forscher an der ETH Zürich haben herausgefunden, dass Babys am besten mit Jod versorgt werden, wenn sie gestillt werden. Als Grund führen die Forscher an, dass der Körper des Kindes das Spurenelement besser aufnehmen kann, weil es über die Muttermilch in vorverarbeiteter Form weitergegeben wird. Voraussetzung ist, dass die Mutter ausreichend versorgt ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät Schwangeren und stillenden Müttern, täglich 250 Mikrogramm Jod einzunehmen. Dies kann auch durch Jod-Tabletten geschehen.

Fettsäuren

„Esst mehr Fisch“ – so lautet der Appell des Kinderarztes und Professors der Ludwig-Maximilians-Universität München, Berthold von Koletzko. „Denn Fisch enthält eine Reihe von Omega-3-Fettsäuren, die für die Entwicklung und Gesundheit wichtig sind – und das schon während der Schwangerschaft. „Eine gute Versorgung kann das Risiko von Frühgeburten senken“, sagt der Kinderarzt. Für die weitere Entwicklung des Kindes sei es umso wichtiger, dass die Mutter viel Fisch isst. „Denn Kinder, die schlecht versorgt sind, leiden an Hyperaktivität und neigen zu auffälligem Verhalten.“ Die Fette beeinflussen auch die Aufnahme von Vitaminen wie A, E, D und K. Der Körper kann sie nur aufspalten, wenn er Fette zur Verfügung hat.

Schwangere Frauen sollten 200 Milligramm am Tag zu sich nehmen. Auch in diesem Fall mit Hilfe von Nahrungsergänzungsmitteln. „Kinder werden am besten über die Muttermilch versorgt“, sagt von Koletzko.

Vitamin A

Ein Mangel an Vitamin A kann zu Nachtblindheit oder gar zur Erblindung des Babys führen. „Auch die Lungenreifung wird behindert“, sagt Ludwig Gortner, Professor für Pädiatrie an der Universität des Saarlandes. Besonders in der 28. bis 34. Schwangerschaftswoche sei eine Versorgung wichtig. „Die Gabe des Vitamins nach der Geburt kann die schlechte Versorgung im Mutterleib nicht ersetzen“, sagt er.

Kinder, die mit einem Mangel auf die Welt kommen, sind anfälliger für Durchfall- und Lungenerkrankungen. Vitamin A ist für das Sehvermögen entscheidend – und nur fettlöslich. „Wie gut die Sehkraft ist, beeinflusst auch, wie das Kind mit seinem Umfeld interagiert und welche Reize es aufnehmen kann“, sagt der Münchener Arzt von Koletzko. Das wiederum trage erheblich zur kognitiven Entwicklung bei.

Vitamin A ist in Milch, Eiern, Fisch, Spinat und Aprikosen enthalten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Schwangeren, 1,1 Milligramm am Tag zu sich zu nehmen.