Manfred Rommel, Stuttgarts Oberbürgermeister von 1974 bis 1996 Foto: ddp

Alt-OB Manfred Rommel bedauert Schusters Abschied und warnt vor Bürgerentscheiden.

Stuttgart - Der Wechsel auf dem Stuttgarter OB-Sessel, der Anfang 2013 vollzogen wird, lässt auch den früheren Amtsinhaber Manfred Rommel (CDU) nicht kalt. Die Überlegungen, einen parteilosen Bewerber ins Rathaus zu bringen, haben für ihn nur begrenzt Charme, lässt er im Interview mit unserer Zeitung durchblicken.

Herr Rommel, Ihr politischer Ziehsohn Wolfgang Schuster bewirbt sich im Herbst nicht wieder um den Stuttgarter OB-Sessel. Sind Sie sehr enttäuscht?
Ich hätte schon gewünscht, dass Wolfgang Schuster weitermacht, bis er 68 ist. Ich habe ihm zugeraten. Aber wenn es eine Entscheidung gibt, für die allein der Betroffene zuständig ist, dann ist es die Frage solcher Kandidaturen. Ich weiß nur zu gut, dass man in solchen Situationen hundert gute Ratschläge bekommt. Immer von Leuten, die es selbst nicht machen müssen. Er aber hat genau abgewogen, was er alles erreicht hat und was er noch erreichen könnte. Dann hat er sich dagegen entschieden.

Sie wollten, dass er sich um weitere viereinhalb Jahre bewirbt, weil Sie die Stadt bei ihm in guten Händen glauben?
Ja, ich sah das Amt bei ihm in guten Händen. Seine Arbeitsbilanz ist wirklich gut. Er hat noch ein breiteres Feld beackert als ich es tat. Zum Beispiel auf dem Bildungs- und Kultursektor. Es ist ja nicht so einfach, dieses Amt auszuüben. Man muss die Beteiligten zusammenhalten und Widersprüche, die in der Kommunalpolitik nahe liegen, ausgleichen. Und man muss die Leute kennen, weil sonst in einer Stadtverwaltung und bei den städtischen Beteiligungsunternehmen mit zusammen rund 20 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine gute Personalpolitik gelingt.

Aber irgendwie konnte Schuster nicht genügend Stuttgarter davon überzeugen, dass seine Bilanz herausragend ist.
Bei der Kritik an Schuster ist auch so ein schwäbisches Nörgeln im Spiel. Der Politiker soll möglichst singen wie ein Vogel, dazu Ziehharmonika spielen und mit den Daumen noch die Löcher zuhalten. Es ist ganz natürlich, dass Schuster diese gute Bilanz nicht allen vermitteln konnte. Er hätte nach meiner Einschätzung die Wahl gewonnen, aber im Wahlkampf wird natürlich an allem herumkritisiert.

Sie hatten damals nicht so sehr damit zu kämpfen.
Dafür ist eine gewisse Heiterkeit von Nutzen. Und eine gewisse Gelassenheit. Man sollte sich sagen: "Im Dienst bin ich nicht beleidigungsfähig." Das ist ihm schwerer gefallen als mir. Ich habe viel runtergeschluckt damals.

Stuttgarts Bevölkerung war und ist sehr gespalten bei Stuttgart 21. Die Stimmung bleibt wohl schwierig. Was für einen Oberbürgermeister braucht die Stadt jetzt?
Sie braucht einen OB, der führt, der mit anderen zusammen Prioritäten festlegt und Realist ist. Die Stadt braucht einen OB, der sich nicht in Einzelthemen verliert, sondern den Zusammenhang aller politischen Fachgebiete erkennt und danach handelt. Nur ein Beispiel: Verkehrswesen, Siedlungswesen und Finanzen - das hängt alles miteinander zusammen. Die Beachtung solcher Zusammenhänge ist eines der wichtigsten Utensilien eines Oberbürgermeisters. Und natürlich muss man mit den Leuten schwätzen können. Das alles wäre für Schuster, der ja aus der Kommunalpolitik kommt, kein Problem - aber das ist nach seiner Entscheidung ja Schnee von gestern. Es ist für die CDU von großer Bedeutung, dass ein Spitzenmann wie er seinen Einfluss behält.

Braucht Stuttgart gerade jetzt vielleicht wieder mal einen parteilosen OB, wie es aus einer schwierigen Zeit heraus Ihr Vorgänger Arnulf Klett war?
Es gibt für parteilose wie für parteigebundene Oberbürgermeister gute Beispiele. Letztlich hängt alles von den Persönlichkeiten ab. Die Gefahr ist freilich groß, dass ein parteiloser OB keine Mehrheiten für seine Vorhaben findet.

"Ich schätze Andreas Renner"

Könnten dann mehr Elemente direkter Demokratie dafür sorgen, dass sich mehr Bürger bei den Stadtoberen gut aufgehoben fühlen? Stichwort Bürgerentscheide und Volksabstimmungen.
Da und dort geht das vielleicht. Man sollte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide aber nicht massiv ausweiten und inflationieren. Es trifft nicht zu, dass der Bürgerentscheid die "demokratischere" Lösung ist. Der übliche Weg ist nicht der Bürgerentscheid. Es kann auch nicht sein, dass man eine große Masse von Menschen auf dem Marktplatz versammelt und sie zum Volk erklärt. Wer das Volk ist, ist durch die Verfassung geregelt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Grundlagen unserer Demokratie über den Haufen werfen. Es kann auch nicht sein, dass örtlich über Themen entschieden wird, die die Menschen in der ganzen Region oder weit darüber hinaus berühren.

Sie kämpfen nach wie vor für Stuttgart 21. Sie haben Sorge, dass es doch noch zu einem Bürgerentscheid kommen könnte.
Stuttgart 21 liegt mir immer noch sehr am Herzen. Ich war und bin davon überzeugt, dass das Projekt für die Zukunft unserer Stadt sehr vorteilhaft sein wird. Das sollte man nicht gefährden, schon gar nicht dadurch, dass nach der Volksabstimmung und einer Mehrheit für die Mitfinanzierung des Landes mit einem lokalen Bürgerbegehren dagegen weitergekämpft wird.

Zurück zur Kandidatenfrage. Bei der CDU wird auch Andreas Renner als Bewerber gehandelt, der mit Äußerungen als Sozialminister so manchen verstörte. Könnte er wirklich mit Bedacht und Augenmaß alle Stuttgarter vertreten?
Ich schätze Andreas Renner. Er gehört zu den ernstzunehmenden Kandidaten, wenn er Interesse hat. Richtig ist sicher auch, dass es in einer Stadt wie Stuttgart viele Einflüsse und Gruppen gibt, die der OB ernst nehmen muss.

Sie konnten bei dem Neujahrsempfang, bei dem sich Schuster erklärte, krankheitsbedingt nicht dabei sein. Wie geht es Ihnen zurzeit mit Ihrer Parkinson-Erkrankung?
Das wechselt. Manchmal geht es mir recht gut, das andere Mal fühle ich mich wie teilweise gelähmt. Manchmal möchte ich länger reden, aber die Zunge liegt mir wie Blei im Mund. Nach dem Aufstehen gehe ich mit dem Stock herum oder fahre mit dem Rollator durch die Wohnung. Ich gestehe aber, ich sollte mich noch etwas mehr bewegen, doch ich habe Sorge, dass ich auf die Nase oder noch empfindlichere Körperteile falle und dass mir meine Frau oder die Pflegekraft aufhelfen muss, was bei einem Behinderten, der mehr als zwei Zentner wiegt, nicht einfach ist. Natürlich kann man sich bei so einem Sturz auch leicht verletzen.

Sie haben eine Pflegekraft im Haus?
Ja. Vor allem nachts ist das eine große Hilfe. Da bin ich oft recht unruhig. Im Traum muss ich oft wieder das zweite juristische Staatsexamen machen oder ich bin wieder bei meiner Heimatflak-Batterie wie zu Kriegszeiten. Manchmal marschiere ich im Traum auch in der Uniform des Luftwaffenhelfers durch die Gegend. Ich bin froh, dass andere an solchen Erlebnissen keinen Anteil haben. Zum Glück vergesse ich in der Regel wieder, um was es sich handelt. Sehr häufig springt auch noch mein schwerer Kater zu mir ins Bett und lässt sich nicht mehr vertreiben.

Machen Sie immer noch fleißig Ihre Gymnastikübungen?
Sicher. Eisern benütze ich jeden Morgen zwei Hanteln mit Gewichten und auch den Hometrainer, selbst wenn es manchmal nur zehn Minuten sind. Das ist besser als nichts.

Sie leben schon gut 15 Jahre mit der Schüttelkrankheit. Manchmal sind Sie im Rollstuhl, dann wieder tauchen Sie bei Terminen ohne ihn auf, nur mit Stock. Sie halten die Krankheit durch Disziplin einigermaßen in Schach?
Es ist nicht so, dass es mir heute schlechter ginge als vor ein paar Jahren. Ein Grund dafür ist die Disziplin, aber natürlich sind es auch die Ärzte und die Medikamente. Ich werde erstklassig versorgt. Es gibt Parkinson-Patienten, die leider nur noch liegen, nicht mehr gehen können.

Ein Manfred Rommel ohne Schreiben und Lesen ist kaum denkbar. Wie steht es damit?
Leider sehe ich nicht mehr besonders gut. Schreiben oder tippen kann ich zurzeit auch kaum. Da kommt schon etwas Langeweile auf. Wie ein Glücksgefühl ist es für mich deshalb, wenn ich vor der Bücherwand stehen und das richtige Buch rauspicken kann. Das ist schwierig. Allerdings spielt da auch eine gewisse Rolle, dass die Familie es sich nicht nehmen ließ, die Bücher nach Farben neu zu ordnen.

Können Ihre Leser auf ein weiteres Buch oder zumindest ein Büchlein von Ihnen hoffen?
Mal sehen. Dieser Tage fällt mir das Schreiben zwar schwer, aber das wird hoffentlich bald wieder besser. Ich will meine Gedanken noch aufschreiben, so lange ich die Hoffnung erfüllt sehe, dass eine gewisse Qualität vorhanden ist. Wenn ich die nicht mehr entdecke, höre ich sofort auf.