Manfred Honeck Foto: Pittsburgh Symphony Orchestra

Zum Neujahrskonzert des Stuttgarter Staatsorchesters ist dessen ehemaliger Generalmusikdirektor Manfred Honeck als Gast ins Stuttgarter Opernhaus zurückgekommen – und dirigierte Johann Strauß mit Schwung und Wiener Schmäh

Stuttgart - „An der schönen blauen Donau“ war das Motto des Neujahrskonzerts des Staatsorchesters Stuttgart, und mit Johann Strauß’ „Marseillaise der Herzen“ (so der Wiener Kritiker Eduard Hanslick) schloss am ersten Januartag auch der offizielle Teil der Veranstaltung. Die Donau ist bei Wien weder schön noch blau, aber sie sandte offenbar nicht nur flüssige Rhythmen an den kleinen Schwesterfluss Nesenbach, sondern auch nasse, keineswegs Chopin’sche Regentropfen. Sie kamen durch das Dach des Opernhauses – oder sie könnten es bei anhaltendem Sanierungsstau irgendwann tun; jedenfalls spannten die Musiker zum Donauwalzer demonstrativ Regenschirme auf.

Aus der Heimat der blauen Donau stammte nicht nur die Musik, sondern auch der dirigierende Gast. Und selbst dieser – der frühere Stuttgarter Generalmusikdirektor Manfred Honeck – vertauschte jetzt den Taktstock mit dem Parapluie (in Wien: Barabli). Jetzt wusste jeder Konzertgast, dass mit dem neuen Jahr und den folgenden Jahren die überfällige Renovierung des Hauses näher rücken muss. Der Strauß’sche Polkatitel „Ohne Sorgen“ schien da immerhin sehr optimistisch.

Sinfonischer Wohlfühlfaktor

Manfred Honeck zelebrierte mit seinem ehemaligen Orchester einen sinfonischen Wohlfühlfaktor. Am vergnüglichen Nachmittag gab es possierliche Schmankerl wie Carl Michael Ziehrers „Weana Madl’n“, bei dem das Orchester pfeffrig mitpfeift, um die keinesfalls moralfesten, zuckersüßen Damen klanglich zu ehren. Oder Johann Strauß’ Polka „Im Krapfenwaldl“, bei dem Kuckuck und tschilpende Vögel musikmechanische Akzente setzen. Hinreißend gar Josef Strauß’ „Plappermäulchen-Polka“, in der die obligaten Ratschen nicht von Schlagzeugern, sondern von fünf musikbegeisterten Kindern im Dirndl betätigt wurden. Doch nicht nur für Leichtsinn, Liebe, Trinken und Tanzen wurde virtuos gestrichen, geblasen und geschlagen, sondern auch die anspruchsvolleren Aspekte der ausklingenden Donaumonarchie-Epoche begeisterten. Bei Franz von Suppés Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“ oder bei Johann Strauß’ „Furioso-Polka“ verliehen die Stuttgarter den komplexen Partituren durch feinsinnige Rhythmik und schillernde Klangvaleurs die nötige Melange aus animierender Spritzigkeit und beredter Nonchalance.

Apropos: typisch „Weanerisches“ passt nicht in Schwabenland? Noch im 18. Jahrhundert bezeichnete man Beinschwingen im Dreiertakt auch als „Schwäbisch Tanzen“, und in Schillers Gedicht „Eberhard der Greiner“ feiert man den Sieg über die unbotmäßigen Städter sogar mit einem Walzer und mit Becherklang.

Vokales Traumpaar: Matthias Klink und Simone Schneider

Von der Süße der Liebe sangen der Tenor Matthias Klink und die Sopranistin Simone Schneider mit Auszügen aus Léhars „Giuditta“, Kalmáns „Csardasfürstin“ und Strauß’ „Zigeunerbaron“. Der elegante und hell timbrierte Tenor und der sinnlich dunkel getönte Sopran harmonierten als vokales Gegensatzpaar. Heiße Lippen und wilde Tänze (Léhar), glühende Augen und Liebesräusche (Kalmán) aus der Welt der Adeligen und Halbweltdamen korrelierten vielsagend mit der Leistung der beiden Protagonisten wenige Wochen vorher in Strauss’ „Salome“. Überhaupt nicht schwäbisch geizig war das Publikum mit seinem Applaus und erklatschte sich eine Handvoll Zugaben. Fazit: Musikalisch war fast alles wie beim großen Wiener Vorbild – nur dass der Musikvereinssaal an der blauen Donau goldverziert glänzt und der Theatersaal am Eckensee eher grau silbern schimmert.