In den 200 umsatzstärksten Unternehmen des Landes gibt es 2022 erneut mehr weibliche Vorstände und Aufsichtsräte. Politische Vorgaben wie die Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen wirken also. Allerdings lässt die Dynamik im Vergleich zum Vorjahr nach.
Der Frauenanteil in den Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen in Deutschland ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen – allerdings nicht so stark wie 2021, als die gesetzliche Mindestbeteiligung für Vorstände für ordentlich Schwung gesorgt hatte. Das zeigt das neueste Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. In der Analyse werden Frauenanteile in Spitzengremien von mehr als 500 Unternehmen erhoben, darunter etwa die 200 umsatzstärksten oder 69, an denen der Bund beteiligt ist. Stand der Zahlen ist Dezember 2022.
In den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen – ohne den Finanzsektor – betrug der Frauenanteil im Spätherbst des vergangenen Jahres rund 16 Prozent, das entspricht einem Plus von knapp einem Prozentpunkt im Vergleich zum Vorjahr. Neu hinzu kamen 2022 in den Top-200-Unternehmen insgesamt sieben Vorständinnen, ihre Zahl liegt nun bei 146. Im Jahr zuvor gab es einen Anstieg von mehr als drei Prozentpunkten, sprich 38 Frauen. Und: Noch immer hat knapp die Hälfte aller Top-200-Unternehmen keine Frau im Vorstand.
Frauenanteil in Dax-Unternehmen ist unterschiedlich
Auch bei den 160 untersuchten börsennotierten Unternehmen ist der Anstieg weniger stark als im Vorjahr, er hat sich laut DIW halbiert. Der Frauenanteil lag hier 2022 bei 15,5 Prozent, was nur etwa anderthalb Prozentpunkte mehr ist als im Vorjahr.
Die größeren Steigerungen an weiblicher Vorstandsmitgliedern zeigten sich laut DIW lediglich bei den Dax-40-Unternehmen, die zum ersten Mal mehr als 20 Prozent (21,8 Prozent) Frauen im Vorstand hatten, sowie bei den Unternehmen mit Bundesbeteiligung, die dort erstmals mehr als 30 Prozent (30,1 Prozent) Frauen verzeichneten.
Mindestbeteiligung in Vorständen zeigt Wirkung
DIW-Forscherin Katharina Wrohlich weist mit Blick auf die Dax-40-Unternehmen auf die „bemerkenswerte Entwicklung“ hin. In den vergangenen zwei Jahren gab es hier einen „sehr starken Anstieg“ bei den weiblichen Vorstandsmitgliedern, was im Zusammenhang mit den neuen gesetzlichen Vorgaben, speziell mit der Mindestbeteiligung in Vorständen, stehe.
Gemeint ist das im August 2021 in Kraft getretene zweite Führungspositionen-Gesetz, wonach bei großen Unternehmen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, von vier Vorstandsmitgliedern an künftig mindestens eine Frau (oder ein Mann) im Vorstand sein muss. Es gilt eigentlich für Vorstandsbestellungen ab August 2022, hat aber wohl schon im Vorfeld gewirkt. Denn laut Wrohlich führte die Vorgabe dazu, dass in Vorständen vieler Unternehmen 2021 „ein besonders großer Anstieg“ weiblicher Vorstände zu beobachten war. Diese Dynamik habe sich so 2022 nicht durchgesetzt, man verzeichne leichtere Zuwächse, sagt sie.
Offenbar hatten also viele Unternehmen zunächst auf das Gesetz reagiert, ließen dann aber in ihren Bemühungen nach. Mit Blick auf die 62 Unternehmen der Top-200-Gruppe, die sich an die Mindestbeteiligung halten müssen, lag der Anteil der Vorständinnen (rund 19 Prozent) im vergangenen Jahr zwar höher als in den anderen Unternehmen, die Steigerung war aber deutlich geringer als im Jahr zuvor. So hatten auch Ende des vergangenen Jahres von den betroffenen Unternehmen 13 noch keine Frau im Vorstand.
In den Aufsichtsräten – wo seit 2016 eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent für voll mitbestimmungspflichtige und börsennotierte Unternehmen gilt – sind Frauenanteile nach wie vor höher als in den Vorständen. Allerdings war der Zuwachs 2022 laut DIW ebenfalls geringer als im Vorjahr. Die Top-200-Unternehmen hatten ihre Aufsichtsräte 2022 zu rund 31 Prozent mit Frauen besetzt, das ist ein halber Prozentpunkt mehr als im Vorjahr. Dort gab es im vergangenen Jahr 667 Frauen in Aufsichtsräten, drei mehr als 2021. Bei den Dax-40-Unternehmen beträgt der Frauenanteil laut DIW gut 37 Prozent.
Unterschiede bei Gleichstellungsbemühungen
Auch hat eine Analyse der Unternehmensberichte im Rahmes des Managerinnen-Barometers gezeigt, dass die untersuchten börsennotierten Konzerne in Deutschland ihre Gleichstellungsbemühungen mit verschiedenen Geschwindigkeiten vorantreiben.
Dementsprechend gibt es eine gleichstellungsorientierte Gruppe, die über konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen berichtet, sowie eine complianceorientierte Gruppe, die wohl eher daran interessiert ist, lediglich die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.
Noch ein weiter Weg bis zur Geschlechterparität
Die Analyse des Managerinnen-Barometers kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die politischen Vorgaben, vor allem auch die beiden Führungspositionen-Gesetze, den Weg für mehr Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten bereiten. „Das gesetzliche Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände wirkt“, sagt DIW-Forscherin Wrohlich.
Dennoch sei es bis zur Geschlechterparität noch weit. Das DIW empfiehlt deshalb etwa, dass Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben zügig umsetzen – und darauf achten, dass es im Unternehmen auch eine inklusive Arbeitskultur gibt.