In den meisten Familien gehören Streit, Chaos und Drama beim Hausaufgaben machen dazu. Doch es geht auch anders, sagen Experten. Denn beim Lernen zuhause komme es auf ganz andere Dinge an als in der Schule.
Feierabend? Wochenende? Viele Eltern von Schulkindern schütteln da nur müde den Kopf. Kaum haben sie ihre Arbeit erledigt, wartet zu Hause ihr zweiter Job als Hilfslehrer auf sie. Vokabeln abfragen, Geschichtszahlen pauken, französische Grammatik erklären, gemeinsam an Matheaufgaben verzweifeln – schlechte Laune, Wutanfälle, Streit und Tränen inklusive. Muss das wirklich sein? Können Kinder nicht einfach allein lernen?
„Bis ein Kind genügend selbstregulative Kompetenzen vor allem mit Blick auf das eigenständige und eigenmotivierte Lernen entwickelt hat, braucht es viele Jahre eine Umwelt, welche diese anregt. Eltern kommen deshalb nicht umhin, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen“, sagt Nicole Fritzler.
Die Psychologin forscht an der Uni Bielefeld zur heimischen und schulischen Lernunterstützung, bietet Online-Trainings an und teilt ihre alltagsnahen Tipps auch über ihren Instragram-Account.
Fritzler sagt aber auch: Keinesfalls sollte man zur Co-Lehrkraft werden. „Eltern bleiben immer Eltern, die das Wohl ihrer Kinder und die Beziehung zu diesen im Blick haben.“ Für Nicole Fritzler bedeutet das auch beim gemeinsamen Lernen: Eltern haben eine gute Zeit mit ihrem Kind und berücksichtigen dessen Bedürfnisse.
Dazu gehört zunächst einmal herauszufinden, wann ein Kind überhaupt am besten lernen kann. „Manche wollen direkt nach der Schule alles erledigen. Andere brauchen eine Pause, vielleicht Bewegung und können sich vor oder auch nach dem Abendessen besser motivieren“, sagt Fabian Grolimund, Leiter der Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er rät Eltern, mit dem richtigen Zeitpunkt zu experimentieren – und das Kind dabei auch mitentscheiden lassen.
Hausaufgaben müssen nicht am Schreibtisch sein
Das gilt auch bei der Wahl des Arbeitsplatzes. „Viele Eltern haben ja die Vorstellung: Gelernt wird im eigenen Zimmer, am Schreibtisch, mit möglichst viel Ruhe“, sagt Fabian Grolimund. Vielen Kindern falle es aber leichter, gemütlich auf dem Sofa, bei einem gemeinsamen Waldspaziergang oder am Küchentisch zu lernen, mit Topfgeklapper oder Musik im Hintergrund. „Das Wichtigste ist, dass man eine entspannte Stimmung hat, in der man sich wohlfühlt“, so Grolimund, der gemeinsam mit Stefanie Rietzler das Buch „Clever lernen“ geschrieben hat.
Was Eltern oft vergessen, wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen: Sie mussten dort schon viele Stunden still sitzen, Rechenaufgaben lösen oder Texte bearbeiten – und hatten dabei sicher nicht immer Spaß. „Da tut es zu Hause gut, aus der klassischen Lernsituation herauszugehen“, findet Nicole Fritzler. Warum nicht mal die Vokabeln mit Malerkrepp auf den Boden schreiben, ein Gesellschaftsspiel zum Lernspiel umfunktionieren oder das Lernen der Einmaleins-Reihen mit einer Rallye durchs Haus verbinden?
Freude am Lernen ist wichtig
Klar sind Eltern nach Feierabend auch nicht immer motiviert zu – und müssen es auch gar nicht täglich sein. „Aber wer daran denkt, dass die gute gemeinsame Zeit im Mittelpunkt steht und das Gehirn Lernstoff deutlich effektiver verarbeitet, wenn das Kind Freude am Lernen empfindet, bekommt vielleicht einen anderen Blick auf die Rolle, die Eltern zu Hause beim Lernen haben“, sagt Nicole Fritzler.
Fabian Grolimund lässt seine Kinder gern Texte für die Schule selbstständig lesen – und geht dann mit ihnen spazieren. „Dabei erzählen sie mir dann, was sie so alles behalten haben.“ Dieses sogenannte freie Abrufen sei eine sehr erfolgreiche Lernstrategie, weil man Dinge aus dem Gedächtnis hervorkramen müsse. „Das ist viel effektiver als wiederholtes Lesen“, so Grolimund.
Lern-Apps können bei Hausaufgaben helfen
Er sieht die Aufgabe von Eltern vor allem darin, den Kindern Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ihnen also zu zeigen, wie man lernt – statt sich mit inhaltlichen Details aufzuhalten. Dabei helfen auch Fragen wie: Was traust du dir alleine zu? Womit möchtest du anfangen? Wie würdest du vorgehen? Was verstehst du noch nicht? „Solche Dinge würde ich immer im Vorfeld klären und das Kind dann mal machen lassen“, sagt Fabian Grolimund.
Hilfreich beim eigenständigen Arbeiten können auch Lern-Apps sein. „Ich würde mir immer überlegen, was gelernt werden soll und ob eine App dazu etwas zur Verfügung stellen kann, das mir sonst fehlt“, sagt Fabian Grolimund.
Wer eine Sprache lernt, hat mithilfe einer App beispielsweise die Möglichkeit, sich neue Wörter in der richtigen Aussprache vorlesen zu lassen, während der Busfahrt einen Vokabeltest zu machen – oder mit einer künstlichen Intelligenz gleich ganze Gespräche in der Fremdsprache zu führen. „Und bei Lernvideos kann ich mir den Lehrer aussuchen, der mir Mathe so erklärt, wie ich es verstehe“, so Grolimund.
Denn selbst wenn Eltern sich in einem Thema gut auskennen, steht ihnen häufig die emotionale Beziehung zu ihrem Kind im Weg, um etwas gut erklären zu können. „Ich empfehle Eltern gern, sich mal dabei zu filmen, wenn sie mit ihrem Kind für die Schule üben“, sagt Fabian Grolimund. Zu sehen sei dabei nicht selten: eine gerunzelte Stirn, genervtes Kritisieren („Das ist doch nicht so schwer!“) oder gestresstes Korrigieren („Du musst das so machen!“). Kinder speichern dabei schnell ab: Wenn ich mit meinen Eltern lerne, dann wird es unangenehm, also blockieren sie, woraufhin die Eltern den Druck erhöhen – und die Laune auf beiden Seiten in den Keller geht.
Vielleicht ist es die falsche Schule?
Spätestens dann ist es an der Zeit, eine Pause einzulegen, einen Schritt vom Lernen weg zu machen – und daran zu denken: Eine gute Beziehung ist wichtiger als eine gute Note. „Und wenn ein Kind große Mühe hat in der Schule, dann sollten sich Eltern doch eigentlich nicht fragen: Wie schafft es das Gymnasium? Sondern vielmehr überlegen, ob das überhaupt die richtige Schule ist“, sagt Fabian Grolimund.
Er erlebt, erzählt Grolimund, viele Eltern mit großen Zukunftsängsten, die der Meinung seien: Im Berufsleben später können die Kinder nur mit der bestmöglichen Bildung bestehen. „Dabei bieten sehr viele Ausbildungsberufe gute Zukunftsperspektiven. Im Moment sind durch die Künstliche Intelligenz eher Akademikerjobs in Gefahr“, so Grolimund.
Bitte keine Sinnfragen diskutieren!
Worauf er sich gar nicht erst einlassen würde, sind Diskussionen rund um Sinnfragen: Wer braucht so etwas überhaupt? Das ist viel zu schwer. Das ist viel zu viel. Der Grund: Meist würden Eltern hier dagegen arbeiten: Ach, komm, da bist du doch in einer halben Stunde fertig. Das ist gar nicht so schwer.
„Eigentlich hoffen Kinder aber doch auf das Verständnis der Eltern“, findet Grolimund. Weshalb er möglichst konstruktiv mit solchen Situationen umgehen würde. Etwa mit Sätzen wie: Ich weiß, du hast zwar keine Lust, aber was würde dir helfen, trotzdem anzufangen? Oder: Ich sehe, es ist viel. Wie können wir es gemeinsam gut einteilen, damit du trotzdem noch Zeit für dich hast?
Das sollten Eltern also beim Thema Hausaufgaben im Blick behalten:
- eine gute Zeit haben
- Bedürfnisse des Kindes berücksichtigen
- mit Uhrzeiten experimentieren
- das Kind entscheiden lassen, wo es lernen will
- Alternativen zum Stillsitzen finden
- Hilfe zur Selbsthilfe geben
- Lern-Apps nutzen
- Sinnfragen-Diskussion vermeiden
Und manchmal reicht es auch, das Kind mal so richtig motzen zu lassen: über all die dummen Fächer, die vielen Hausaufgaben und blöden Lehrer. „Dabei einfach nur zuhören und nicht widersprechen, dann dauert so eine Motzzeit meist auch nicht lang“, sagt Fabian Grolimund.
Was tun in angespannten Lernmomenten?
Der Herzglas-Trick
Nicole Fritzler empfiehlt, für angespannte Lernmomente in der Familie ein so genanntes Herzglas einzurichten. „Wann immer Eltern im Alltag etwas beobachten, was das Kind gut geschafft hat oder sie schöne gemeinsame Momente erleben, schreiben sie es auf einen Zettel und tun diesen in das Glas“, so Fritzler. Wenn es beim gemeinsamen Lernen dann mal zu angespannten Momenten oder Konflikten komme, werde bewusst „Pause für die Beziehung“ eingelegt und zwei, drei Zettel aus dem Glas gezogen. „Das Kind hört und spürt dann, dass es durchaus Dinge gibt, die es gut kann, dass die Eltern diese Sachen wahrnehmen und ihm zutrauen, auch diese Herausforderung zu meistern.“ Zusätzlich hole es alle wieder zurück ins Hier und Jetzt und mache deutlich: „Die Lernsituation gerade ist für uns beide so sehr mit Anspannung verbunden, dass wir unsere Beziehung fast aus den Augen verlieren – und das ist es mir nicht wert.“