Petra Weber ist beim Friseur-Tag das erste Mal als Ehrenamtliche der Malteser dabei. Sie engagiert sich schon im Repair Café Tamm. Foto: Simon Granville

Die Malteser haben in Bietigheim-Bissingen ihren ersten Friseur-Tag veranstaltet. Seniorinnen und Senioren erhalten dort einen kostenlosen Haarschnitt, eine Maniküre und Aufmerksamkeit. Die Idee kommt an – bei denen, die sich trauen zu kommen.

Sibylle Lieb sitzt vor einem großen Spiegel, um ihren Stuhl liegt rotes Haar. Die Rentnerin kam an diesem kalten Montagmorgen um 10 Uhr für einen Trockenhaarschnitt – und hat weit mehr bekommen: Gespräche, eine wohltuende Handmassage, das Gefühl, dass sich für Senioren wie sie eben doch jemand interessiert. Sibylle Lieb heißt eigentlich anders, aber „würden Sie gerne öffentlich zugeben, dass Ihnen das Geld für einen Friseurtermin fehlt?“, fragt sie.

 

Es ist der erste kostenlose Friseur-Tag des Malteser Hilfsdienstes Bietigheim-Bissingen, finanziert von der Mutter-Teresa-Stiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Platz nehmen im Treffpunkt M darf jeder, speziell richtet sich das Angebot jedoch an Seniorinnen und Senioren, die sich keinen regelmäßigen Friseurbesuch leisten können. Vielen gibt ein frischer Haarschnitt Selbstbewusstsein und das Gefühl, zur Gesellschaft zu gehören – und gleichzeitig ist die Scham, Hilfe anzunehmen, bei vielen Bedürftigen groß.

Risiko von Altersarmut nimmt zu

Dem Statistischen Bundesamt zufolge galten 2024 knapp 20 Prozent der Menschen ab 65 Jahren als armutsgefährdet. Das sind 3,54 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Die durchschnittlichen Reallöhne sind laut dem Sozialbericht seit 2014 zwar gestiegen und haben auch nach dem Einbruch 2022 zugenommen – eine Veränderung beim Armutsrisiko hat das aber nicht bewirkt. Im Gegenteil: Das Risiko von Altersarmut hat leicht zugenommen, immer mehr Menschen beziehen eine Grundsicherung.

Laut Bundesarbeitsministerium liegt das unter anderem daran, dass 39 Prozent der deutschen Bevölkerung weniger als 17 Euro brutto in der Stunde verdienen. Um die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle für Alleinlebende zu erreichen, wäre jedoch ein Stundenlohn von etwas mehr als 19 Euro nötig. Beim Friseur-Tag der Malteser geht es aber nicht nur darum, dass sich Seniorinnen und Senioren das Geld für einen Haarschnittschnitt sparen.

Bietigheimerin kommt für Gespräche

Nicht weit entfernt von Sibylle Lieb sitzt eine Bietigheimerin, die regelmäßig bei den Maltesern vorbeischaut. Sie war erst vor wenigen Wochen beim Friseur – „hätte ich das gewusst“, sagt sie. Sie trägt ihr graues, gelocktes Haar seither kurz. „Damit ich es im Winter nicht so häufig schneiden lassen muss“, sagt die 85-Jährige und verreibt Handcreme zwischen ihren Fingern. Früher habe sie dunkles Haar gehabt, das ihr in dicken Zöpfen über den Rücken gefallen sei. Ihr Mann sei ein ruhiger Mensch, der ungern unter Leute gehe, sie hingegen sei neugierig und kommunikativ. Deshalb habe sie ihren Mann heute Vormittag geweckt, damit er sie herfahren konnte. „Das wollte ich mir mal anschauen“, sagt sie. Kurz nach 11.30 Uhr muss sie dann los, sie will pünktlich mit dem Kochen anfangen. Die Schinkennudeln und ihr Mann warten.

„Ein frischer Haarschnitt kann nicht nur das äußere Erscheinungsbild verbessern“, sagt die Ehrenamtliche Petra Weber. Foto: Simon Granville

Am Ende des Tages haben acht Menschen vorbeigeschaut, berichtet Projektkoordinatorin Judith de la Vega einen Tag später am Telefon. Wenn es nach ihr geht, findet die Aktion nun regelmäßig statt. „Ein Haarschnitt hat auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun“, sagt sie, „und es ist eine Auszeit in Gemeinschaft“. Die Fahrer ihres Menüservices würden ihr häufig zurückmelden, dass sie für Senioren die einzigen Kontakte am Tag seien. Sie plane derzeit, einen Besucherdienst einzuführen.

„Wir möchten den Senioren in unserer Gemeinde zeigen, dass sie wertgeschätzt werden und dass es wichtig ist, sich um sich selbst zu kümmern“, sagt Anna Schump, Ehrenamtliche bei den Maltesern und gelernte Friseurmeisterin. Sie selbst habe keine Großeltern mehr und freue sich, den Menschen etwas Gutes zu tun. „Wir werden alle älter und können in eine nicht so schöne Situation kommen“, sagt sie. Außerdem sei der Friseur-Tag eine gute Gelegenheit, ihren ehemaligen Beruf auszuüben.

„Senioren haben keine Stimme“

Sibylle Lieb hat pünktlich zur Mittagszeit und Wochenstart einen frischen Haarschnitt und weiche, massierte Hände. „Fünf Daumen hoch und sechs Herzchen“, gibt sie der Behandlung. Ob sie wiederkommen würde? „Wenn sie dann auch wieder da ist“, sagt Lieb strahlend und drückt der Ehrenamtlichen Petra Weber die Hand. Jetzt müssten nur noch mehr Menschen von der Aktion erfahren, sagt sie. Ein Problem in ihren Augen: Die Hemmschwelle für Bedürftige, Hilfe anzunehmen, ist hoch. „Damit geht man nicht hausieren“, sagt sie. Daraus ergebe sich eine Spirale – je weniger Menschen sich trauen, das Hilfsangebot anzunehmen, desto weniger Projekte würden ins Leben gerufen.

Ein anständiger Haarschnitt sei wichtig für das Wohlbefinden, sagt Lieb. Frauen würden schon als Kinder lernen, wie wichtig die Frisur ist. „Als Mann kann man sich mit der Maschine einmal über den Kopf fahren, das kann ich nicht“, sagt sie. Die rot-grauen Haare ein Stück kürzer, die Hände eingecremt verlässt sie Montagmittag den Treffpunkt M. Es wird nicht ihr letzter Besuch sein.

Friseurbesuche

Preise
2023 stiegen die Preise für Damenhaarschnitte um 7,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Herrenhaarschnitte verteuerten sich um 7,6 Prozent, Kinderhaarschnitte um 7,3 Prozent.

Forderungen
Der Verband hat vor der Wahl Forderungen an die Politik formuliert. Dazu gehören eine Bekämpfung von Schwarzarbeit mit Kontrollen und die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für Friseurdienstleistungen.