Ein bisschen südländisches Flair im neuen Europaviertel: Der Mailänder Platz dient vielen Besuchern als Erholungsort Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit Video-Umfrage - Das Einkaufscenter Milaneo und die Stadtbibliothek ziehen scharenweise Menschen ins Europaviertel. Viele von ihnen gönnen sich eine Pause im Freien auf dem Mailänder Platz.

Stuttgart - Samstagvormittag mitten auf dem lichtdurchfluteten Mailänder Platz: Auf Strandliegestühlen zwischen 16 jungen Bäumen auf sandigem Boden genießen Sonnenhungrige nach Regengüssen die Sonnenstrahlen. Wer von ihnen die Augen schließt, glaubt Meeresrauschen zu vernehmen. Natürlich ist es keine Brandung, sondern der Brunnen vor der Stadtbibliothek.

Nicht für jedermann ist die Strandatmosphäre immer schön. „Wenn starker Wird weht, bläst er den Sand vom Liegestuhl-Karree auf unsere Terrasse. Dann haben wir Sandsturm. Das kommt glücklicherweise nicht oft vor, denn es ist für unsere Gäste nicht schön“, sagt Michael Buchholz, stellvertretender Geschäftsführer des Lokals Sushi Noodles Rice Bar, das mit anderen Gastronomiebetrieben den Platz säumt. „Ich würde mir auf dem Areal mit den Bäumen und den Liegestühlen statt sandigem Boden einen Rasen wünschen. So war das ursprünglich geplant“, ergänzt er. Ansonsten ist er zufrieden: „Im Sommer haben wir bis gegen 23 Uhr noch Gäste auf der Terrasse.“ Er profitiert auch von der Stadtbibliothek: „Sie bringt uns auch Kunden im gesetzteren Alter, während vom Milaneo eher ein jüngeres Publikum zu uns kommt.“

Den Anwohnern ist es mitunter zu laut

„Das Milaneo ist ein Magnet, der Ströme von Menschen aus der Stadt ins Europaviertel zieht, die das Quartier mit Leben füllen“, sagt Centermanagerin Andrea Poul. In der Tat: Der Baustelle für Stuttgart 21 zum Trotze pilgern Heerscharen von Kunden vom Hauptbahnhof durchs Bankenviertel und die Moskauer Straße zum Milaneo und zur Stadtbibliothek. „An den Sommerwochenenden, an denen man ja die Fenster öffnet, ist der Lärm der Passanten sehr unangenehm“, sagt ein 25-jähriger Anwohner in den Pariser Höfen am Pariser Platz. Er zahlt bei 100 Quadratmeter Wohnfläche rund 1500 Euro. „In der Tiefgarage gibt es pro Wohnung nur einen Stellplatz. Wer draußen parkt, bekommt schnell einen Strafzettel“, kritisiert er. Auch Martin Hettich, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank, wohnt in den Pariser Höfen: „Die anfängliche Parkproblematik am Milaneo hat sich deutlich entspannt. Im Moment ist der Weg von der Stadt aus ins Quartier wegen der Baustelle sehr unbequem. Wenn sie einmal weg ist, werden sicher noch mehr Menschen ins Europaviertel strömen.“

In Zukunft soll dieser Pilgerstrom schon unterwegs im Bankenviertel einkaufen dürfen. „Viele der Flächen, die derzeit noch mit Büros und Kantinen belegt sind, könnten für den Einzelhandel umgewidmet werden. Die City-Initiative Stuttgart ist dafür mit der Stadtverwaltung im Gespräch“, sagt die City-Managerin Bettina Fuchs. Aus ihrer Sicht wird der Mailänder Platz bereits jetzt von den Menschen gut angenommen, aber das Europaviertel sei „noch im Aufbau“. Die Wohnungen über dem Milaneo müssten noch fertiggestellt werden. „Ein richtiges Quartier entsteht erst, wenn das Gleisareal frei ist und dort und in zehn bis 15 Jahren Wohnungen entstehen.“

Einer derjenigen, die sich zu Fuß ins Quartier aufgemacht haben, ist der 32-jährige Stuttgarter Gökhan Dag. Für seine Familie steht heute nicht Einkaufen, sondern Lesen auf dem Programm: „ Meine Frau und meine beiden Kinder sind zusammen in die Kinderbibliothek gegangen. Sie sind öfters dort“, sagt er. Den Mailänder Platz findet er sehr schön: „Bei schönem Wetter planschen meine Kinder öfters im Brunnen.“

Stolperfalle am Bibliothekseingang

Soeben haben Gäste aus Wales die Stadtbibliothek verlassen. Die Delegation aus Cardiff hat sich die Bibliothek im Rahmen der 60-Jahr-Feier der Städtepartnerschaft mit Stuttgart angesehen. „Die Briten waren von der Architektur, der Doppelfassade und der Solitärwirkung des Gebäudes beeindruckt“, sagt ihre Führerin Katinka Emminger. Besonders angetan seien die Gäste von der Grafothek gewesen, in der man insgesamt 2500 Originalgrafiken von Künstlern für zu Hause ausleihen könne.

Ganz ungefährlich ist der Weg zum Lesegenuss nicht. Zierelemente aus glänzendem Stahl an den Rändern der Rampe zum Bibliothekseingang werden gegen 14 Uhr für eine ältere Dame zur Stolperfalle. Sie stürzt aufs Gesicht, blutet aus der Nase und muss von einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden.

Wenige der Gäste, die sich auf den zweireihigen breiten Bänken am Platz vor der Bibliothek sonnen, nehmen vom Sturz der Seniorin Notiz. Sie ruhen sich aus, lesen oder plaudern. In den Restaurants sind die Sitzplätze auf den Terrassen ebenso prall gefüllt wie die Einkaufstaschen all derer, die sich dort mit Speis und Trank stärken.

Viele der Sonnenhungrigen auf den Strandliegestühlen lutschen genüsslich ein Eis. Sie haben es vom Sizilianer Antonio Salvagio. Er bewegt seinen von einem Fahrrad angetriebenen Eiswagen über den Platz. Er arbeitet für Marco Francis Calabrese, Geschäftsführer des gleichnamigen Cafés am Platz: „Das Areal ist von Anfang an von den Leuten gut angenommen worden. Wir wollen für südländisches Flair sorgen, damit sie sich wie im Urlaub fühlen.“ So wird der Platz eben zur italienischen Piazza, und die Sonnenhungrigen auf dem Stück Strand in seiner Mitte wissen dies zu schätzen.