DGB-Chef Reiner Hoffmann fordert seine Zuhörer zu Applaus auf . . . Foto:  

Bei der zentralen Maikundgebung auf dem Stuttgarter Marktplatz nimmt sich DGB-Chef Reiner Hoffmann vor allem die AfD vor. Die Rechtspopulisten betrieben die gesellschaftliche Spaltung, warnt er. Aber auch die große Koalition muss sich einiges anhören.

Stuttgart - Der Deutsche Gewerkschaftsbund scheint ein Faible für Stuttgart zu haben. Wieder einmal hat er die Landeshauptstadt ins Zentrum seiner Maifeiern gerückt. Die Regel lautet: Wo der DGB-Vorsitzende redet, findet die bundesweit zentrale Veranstaltung statt. Vor vier Jahren hat der wortgewaltige frühere Arbeiterführer Michael Sommer die Maikundgebung zelebriert – diesmal redet Reiner Hoffmann, dessen Auftritt nicht ganz die Wucht des Vorgängers erreicht. Hören wollen ihn an die 6000 Menschen, so die optimistische Schätzung der Veranstalter, obwohl die Menge den Marktplatz nur zum Teil füllt. Zuvor hätten sich an dem Demozug vom Marienplatz aus 4000 beteiligt, heißt es. Die Polizei spricht von 1600 Teilnehmern.

Nun will es das imaginäre Drehbuch, dass die Alternative für Deutschland gleichzeitig ihren Bundesparteitag auf der Messe abhält. Nicht nur wegen dieser Nähe, sondern auch weil die Gewerkschaften eine Dringlichkeit sehen, den eigenen, schwankenden Mitgliedern die Risiken von Populismus aufzuzeigen, nimmt sich Hoffmann die AfD vor. „Unsere Gesellschaft droht den sozialen Zusammenhalt zu verlieren“, sagt er. „Das haben auch die Rechtspopulisten erkannt.“ Sie nutzten dies als „Nährboden für ihr Programm der gesellschaftlichen Spaltung“. Was sich hinter ihren Vorstellungen verberge, sei „ungeheuerlich, simpel, dumpf und zutiefst widersprüchlich“. Massiv würden die Gewerkschaften gegenhalten, verkündet Hoffmann. Denn die AfD biete keine demokratischen Alternativen, sondern „Sozialabbau pur“.

Kritik an der gelähmten Bundesregierung

„Zeit für mehr Solidarität“, lautet das Motto, unter dem der DGB Baden-Württemberg insgesamt 25 500 Teilnehmer zu 53 Veranstaltungen lockt. Zeit fürs Gespräch braucht es offenkundig auch: Viele nutzen die Kundgebung vor dem Stuttgarter Rathaus zum regen Austausch. Gebanntes Zuhören geht anders. Weil seine Rede nicht gleich vom Beifall umtost wird, ruft Hoffmann zur Anteilnahme auf: „Ich höre nichts.“ Sich von den Rechten abzugrenzen zählt zum guten Ton der Maikundgebungen. „Wir stehen für Weltoffenheit – aber gegen Intoleranz und Menschenfeindlichkeit“, sagt der DGB-Chef. Doch ist seine Kampfansage an „Hass, Rassismus sowie Chauvinismus gegenüber Flüchtlingen“ in diesem Jahr aktueller denn je.

Später bekommt auch die Bundesregierung ihr Fett weg: „Es kann nicht sein, dass die große Koalition die Arbeit jetzt einstellt“, rügt Hoffmann. „Der Koalitionsvertrag ist noch lange nicht abgearbeitet.“ Die Gewerkschaften hätten bis zur Bundestagswahl noch viel vor. Vor allem, dass der Gesetzentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen feststeckt, ärgert ihn. Speziell der Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher müsse gesetzlich verboten werden.

Die Frage, was der Tag der Arbeit heute noch zählt, stellt sich angesichts der verhaltenen Resonanz in der Landeshauptstadt jedes Jahr neu. „Der 1. Mai in Stuttgart war immer ein bisschen mau“, resümiert einer mit langjähriger Erfahrung des DGB-Innenlebens. Den Menschen, so will er sagen, geht es hier noch gut genug – woanders regt sich mehr Protest. Somit hören vor allem Funktionsträger und altgediente Gewerkschaftsmitglieder zu. Dietrich Krause ist da ein gutes Beispiel. Seit Jahrzehnten kommt der 79-Jährige zur Kundgebung, selbst wenn er lakonisch bekennt: „Es ist immer dasselbe – die Probleme kennt man ja.“ Einst hat er bei Werner & Pfleiderer wochenlange Streiks bestritten. Heute geht es ruhiger zu, aber: „Ein bisschen Protest muss sein“, sagt Krause.

Viele Familien tragen das 1.-Mai-Gen in sich

Das 1.-Mai-Gen trägt auch Familie Schmitt in sich: Weil Maria Schmitt (einst ÖTV, heute Verdi) seit ihrem 20. Lebensjahr dem DGB-Aufruf folgt, setzen die Töchter die Tradition fort. Sie habe schon im Bauch der Mutter an den Mai-Auftritten teilgenommen, erzählt die 31-jährige Martina – ihre Schwester bleibt erstmals fern. „Die Ellbogengesellschaft nimmt überhand“, sagt Maria Schmitt. Da sei es wichtig, Solidarität zu zeigen. „Wir müssen was tun – man kriegt nichts geschenkt.“ Hoffmanns Rede gefällt ihnen, doch gestehen sie freimütig, nicht jeden Satz erfasst zu haben: „Man unterhält sich nebenbei.“