Thurston Moore bei seinem Auftritt in MannheimKönner unter sich: Bobby Gillespie von Primal ­Scream, Amanda Palmer und Thurston Moore (unten) bei ihren Konzerten in Mannheim. Foto: Michaela Weißhappel

Von Primal Scream bis Bilderbuch, von Amanda Palmer bis Thurston Moore: Reihenweise Hochkaräter waren am Wochenende in Mannheim zu Gast.

Mannheim - „Wenn du auf einem Festivalgelände ankommst“, erzählt Thurston Moore, „dann weißt du nie, wo du landest. Und das hier war echt überraschend.“ Man glaubt’s dem einstigen Kopf der legendären Band Sonic Youth gerne, denn er hat in rund vierzig Bühnenjahren gewiss schon viele Backstagebereiche kennengelernt – aber in einer kargen Pferdebox in einem Stall hat er noch nie seine After-Show-Cola getrunken. Das Maifeld-Derby wird auf dem Springreitparcours im Mannheimer Stadtteil Neckarau ausgetragen, zwischen Oxern, Strohballen und Stallungen haben drei Tage lang über 10 000 Besucher Platz – und eben auch alle Künstler.

„Das ist völlig okay hier, wir erwarten nicht, gepampert zu werden“, meint Thurston Moore in unserem Gespräch, tiefenentspannt, frei von Starallüren und am Sonntagnachmittag bei strahlendem Sonnenschein allerbester Dinge. „Bei der Auswahl unserer Konzerte vertraue ich immer meinem Agenten, aber dennoch ist es bei Festivalauftritten für mich immer interessant, wer sonst noch so spielt. Und das hier ist ja richtig cool. Slowdive zum Beispiel habe ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen. Es ist richtig nett, hier zu sein, man kann sich in Ruhe schön umgucken und die anderen Bands anhören. Das ist normalerweise nicht so, da hast du so viele andere Sachen um die Ohren.“

Ein alter Hase ist begeistert

Das Maifeld-Derby hätte keinen besseren Kronzeugen einladen können als Moore, der selbst schon Events wie das famose All-tomorrow’s-Parties-Festival kuratiert hat und auf allen großen schon selbst gespielt hat. In der Pferdebox schräg gegenüber lümmeln sich auf schlichten Stapelstühlen seine Bandkollegen. Dort sitzen der Schlagzeuger Steve Shelley, der früher für Sonic Youth trommelte, sowie die Bassistin Deb Googe, die einst bei My Bloody Valentine spielte und seit vielen Jahren aushilfsweise bei Primal Scream in die Saiten greift – was sich ganz gut trifft, denn so kann sie drei Boxen weiter später am Tag noch dem britischen Indieheroen Bobby Gillespie Hallo sagen, der mit Primal Scream ebenfalls auf der Bühne in Mannheim steht.

Und somit wäre schon einiges über die vorzügliche Art gesagt, mit der das Maifeld-Derby kuratiert wird. Zur Thurston Moore Band und Primal Scream gesellen sich aus der älteren Alternativerockgarde noch Slowdive und Metronomy. Dazu kommen Amanda Palmer von den Dresden Dolls mit Edward Ka-Spel von den Legendary Pink Dots sowie die US-Band Spoon, zwei Künstlerkollektive, die zwei der bisher besten Alben dieses Jahres veröffentlicht haben. Ebenfalls dabei ist Kate Tempest, die wiederum eines der besten Alben des vergangenen Jahres veröffentlicht hat. Anspruchsvolle Bands wie Wild Beasts, Trentemøller und Sohn spielen. Und zwei Vertreter des Besten, was die deutschsprachige Zunft derzeit zu bieten hat: Bilderbuch und Moderat. Eine exquisite Mischung.

Da nimmt es kein wunder, dass Timo Kumpf, einer der Organisatoren des dreitägigen Festivals, quasi selbst vom Fach ist. Kumpf spielt bei Get Well Soon, der – um mit der Superlativhuberei noch kurz fortzufahren – besten Band Baden-Württembergs, mit der er schon bei legendären Festivals wie jenen in Roskilde und Glastonbury auf der Bühne stand. Im Vorfeld des Maifeld-Derbys hat er der „Rhein-Neckar-Zeitung“ das Konzept bereits sinnfällig erläutert. „Wir bieten stets hochwertige Musik und haben ein hochwertiges Publikum, das Ansprüche an das Programm stellt – und immer was Neues hören will“, sagte er dort; das Maifeld-Derby setze auf „inhaltsgeprägte Popmusik – das gibt es hierzulande nicht gerade häufig“.

Da hat er, insbesondere was den letzten Satz betrifft, leider nur allzu recht, wie etwa ein Blick auf Baden-Württembergs mit Abstand größtes Popmusikfestival zeigt, das am kommenden Wochenende anstehende Southside-Festival in Neuhausen ob Eck. Green Day, Linkin Park und Casper sind dort als Headliner ausgewiesen, zwei massenkompatible Festivaldauergäste und ein rappender früherer Pädagogikstudent aus Extertal in Ostwestfalen. Dazu treten Bands wie Mando Diao, Rancid oder Jimmy Eat World auf, die nahezu Jahr für Jahr von Festival zu Festival gereicht werden und denen vor allem der Ruf vorauseilt, alles andere als progressiv oder innovativ zu sein. Der Preis für das Drei-Tage-Ticket beträgt beim Southside übrigens, man würde es nicht glauben, wenn es nicht schwarz auf weiß auf der Homepage stünde: 219 Euro.

Den Ruf, auch inhaltlich das führende Festival im Land zu sein, hat Southside jedenfalls längst eingebüßt. Da ist man in Mannheim bei weniger als der Hälfte des Southside-Eintritts weitaus besser aufgehoben. Im nunmehr siebten Jahr ist das Maifeld-Derby jetzt am Start; James Blake, Dinosaur Jr, Mogwai, Róisín Murphy, Warpaint, The National hießen nur einige der Gäste in den letzten Jahren. Zum stets interessanten und sich in diesem Jahr selbst übertreffenden Line-up gesellt sich am Maimarkt-Gelände auch noch ein Feel-good-Faktor, der im durchkommerzialisierten Festivalbetrieb ebenfalls rar geworden ist. Ausgeschenkt wird Manufakturbier von regionalen Brauereien und Winzerwein aus benachbarten Gütern; vor allen Bühnen geht es unangestrengt zu (wer will, findet selbst am Abend noch mühelos Plätze in den ersten Reihen); Nachwuchsbands kriegen hier nicht nur als Feigenblatt zur Mittagszeit Zwanzig-Minuten-Slots zugewiesen, ihnen – es sind rund drei Dutzend – steht bis spät in die Nacht eine eigene dritte Bühne im Reitstadion zur Verfügung, in dem das Publikum entspannt auf der Tribüne Platz nehmen darf.

Mehr Vielfalt geht kaum

Sicher: Ein paar mehr solcher beschatteter Sitzplätze auf dem Areal wären ein Segen, der Sound in der Zeltbühne ist steigerungsfähig, die minutenenge Nahtlostaktung – mit insgesamt rund siebzig Auftritten an drei Tagen auf drei Bühnen bis sehr spät in die Nacht hinein – ist fordernd und zumindest überdenkenswert, zumal man einigen Künstlern gerne mehr Spielzeit gewünscht hätte.

Die Vielfalt hingegen sucht beim Maifeld-Derby ihresgleichen. Am Freitag beim eigentlich überhaupt nicht festivalbühnentauglichen Falsettdreampop der Wild Beasts zum anschließenden fast schon meditativen Ambientsound der texanischen Band Cigarettes after Sex. Am Samstag bei den harschen Reimen von Kate Tempest, die mit ihren bald zehnminütigen dystopischen Spoken-Word-Szenarien eigentlich ganz schön miesepetrig daherkommt, aber trotzdem in ihren Bann schlägt. Und am abschließenden Sonntag schließlich beim Art-Noise-Rock von Thurston Moore, der auch mit knapp sechzig Jahren noch so bubenhaft aussieht wie in den Achtzigern. Bei den komplexen Rhythmen von Spoon. Dem Gute-Laune-Psych-Rock der Australier von King Gizzard & The Lizard Wizard oder dem Old-School-Alternativebritrock von Primal Scream. Oder den kammermusikalischen Preziosen von Amanda Palmer und Edward Ka-Spel, die ausgerechnet auf dem allerletzten Konzert ihrer Europatournee von heftigen Technikproblemen gebeutelt werden. Die Pianistin aus Massachusetts überspielt die missliche Situation buchstäblich gekonnt. Am Ende einer langen Reise zimmert sie den Dresden-Dolls-Klassiker „Half Jack“ in die Tasten. „But if you listen, you learn to hear the difference“, heißt es im Text. Ein auch für das Maifeld-Derby treffender Vers.