Die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles (Mitte) setzte sich in Koblenz an die Spitze des Demonstrationszuges zum 1.Mai. Foto: dpa

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zählt am Tag der Arbeit bundesweit rund 340.000 Menschen bei fast 500 Veranstaltungen. Ein großes Thema sind Tarifverträge. Vor allem Frauen würden davon profitieren.

Nürnberg - Die Themen Rechtspopulismus, soziale Gerechtigkeit und Digitalisierung haben die Mai-Kundgebungen der Gewerkschaften bestimmt. Bundesweit beteiligten sich 340 000 Menschen an knapp 500 Veranstaltungen unter dem Motto „Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit“, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mitteilte. Bei der zentralen Kundgebung zum Tag der Arbeit in Nürnberg rief der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zum Kampf gegen Rassismus und Nationalismus auf. Verdi-Chef Frank Bsirske forderte in Braunschweig mehr staatliche Gelder für die Daseinsvorsorge, der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sprach sich in Kassel für ein Recht auf Weiterbildung aus.

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Hoffmann sagte, wer Europa abschotte, Belegschaften spalte und Hautfarbe wichtiger finde als den Menschen, der schüre nur Angst. Er rief dazu auf, für soziale Rechte und Mitbestimmung sowie Frieden und Freiheit in ganz Europa zu kämpfen. Die sozialen Grundrechte müssten Vorfahrt haben vor wirtschaftlichen Freiheiten, mahnte er vor 6500 Teilnehmern. Der DGB-Vorsitzende beklagte auch, dass Beschäftigte im vergangenen Jahr in Deutschland rund die Hälfte von 1,7 Milliarden Überstunden unbezahlt geleistet hätten. „Das ist Lohndiebstahl“, sagte er.

Digitalisierung ein großes Thema

Hoffmann forderte „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“. Und er warnte davor, dass Arbeitgeber das Arbeitszeitgesetz aushöhlen wollten, weil es „angeblich nicht mehr in die digitale Welt passt“. Außerdem erhielten mehr als zwei Millionen Menschen keinen Mindestlohn, obwohl sie darauf Anspruch hätten.

Nach Hoffmanns Einschätzung wird die Digitalisierung „die Arbeitswelt rasant verändern“. Trotzdem ließen sich die Gewerkschaften davon nicht verunsichern. „Wir haben vor 100 Jahren schon den Industriekapitalismus zivilisiert – heute nennen wir das soziale Marktwirtschaft“, sagte der DGB-Chef. Es gehe jetzt darum, die Digitalisierung mit seinen Robotern und vernetzten IT-Systemen zu gestalten. Das gehe aber nur mit starken Belegschaften.

Bei der baden-württembergischen Hauptkundgebung in Freiburg rief der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann die Arbeitgeber dazu auf, die Spaltung des Arbeitsmarktes zu überwinden. Tarifverträge seien eine Voraussetzung für gute und sichere Arbeitsplätze. „Im Südwesten profitieren nur noch gut 50 Prozent der Beschäftigten von einem Flächentarifvertrag. Betriebe ohne Tarifverträge verschaffen sich durch niedrigere Entgelte und längere Arbeitszeiten einen unlauteren Wettbewerbsvorteil – auf Kosten ihrer Belegschaft.“ Insbesondere Frauen profitierten von Tarifverträgen, weil sie Diskriminierungen verhinderten.

IG-Metall-Chef verweist auf gravierende Veränderungen

Kunzmann forderte die grün-schwarze Landesregierung auf, mit den Gewerkschaften ein Bündnis für Tarifbindung und Mitbestimmung zu schmieden. Er sei enttäuscht, dass die Landesregierung beides bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht zu einem verbindlichen Kriterium machen wolle. „Hier geht etwa Mecklenburg-Vorpommern mit gutem Beispiel voran.“

Verdi-Chef Bsirske forderte Investitionen in bezahlbaren Wohnraum, in Bildung und Erziehung sowie Alterssicherung. Die Koalition müsse zügig umsetzen, was sie sich vorgenommen habe, sagte er vor 7000 Teilnehmern in Braunschweig: „Investitionen in die gesellschaftliche Infrastruktur sind auch Gerechtigkeitspolitik.“ Ferner rügte er auch einen Trend zur Erosion bei Tarifbindungen. Immer mehr Unternehmen wie Amazon betrieben „eine schamlose Politik des Lohndumpings“. Dies müsse beendet werden. „Wir brauchen Gesetze, die die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern.“

IG-Metall-Chef Hofmann wies auf gravierende Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft durch Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel hin. Bei diesem Transformationsprozess müssten die Beschäftigten mitgenommen werden. Tarifverträge und Mitbestimmungsrechte seien die wichtigsten Hebel dafür, dass niemand unter die Räder komme und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werde. Es gehe um die Chancen im Leben und die Würde der Menschen. Der IG-Metall-Chef wandte sich in Kassel auch gegen Forderungen nach einem Grundeinkommen. „Statt um Transferleistungen des Staats muss es in erster Linie um gute Arbeitsplätze für alle in diesem Land gehen.“