Die Gegner von Stuttgart 21 informieren die Menschen wieder über ihre Anliegen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Mahnwache gegen Stuttgart 21 hat wieder offiziell ihren Betrieb aufgenommen. Wegen der Regelungen zur Corona-Pandemie musste auch der Zeltpavillon vorübergehend schließen. Die Mahnwache gibt es schon seit zehn Jahren.

Stuttgart - Trotz Atemmaske ist das „Ha, der Song passt!“ der Frau zu verstehen. Intonieren doch die Musikerinnen und Musiker der Bands Capella Rebella und Lokomotive schwungvoll mit Horn, Querflöte, Trompete, Trommeln und anderem den Klassiker „Kriminal-Tango“, den 1961 das Hazy Osterwald Sextett berühmt machte. Wie schon davor bei „Bella Ciao“, das weiland italienische Reispflückerinnen und später im Zweiten Weltkrieg italienische Partisanen sangen, tanzten und klatschten etwa 50 Frauen und Männer auf Abstand gegenüber des Hauptbahnhofs. Grund: Der Betrieb der Mahnwachewurde wieder aufgenommen. Wegen der Regelungen zur Corona-Pandemie musste auch der Zeltpavillon seine Planen vorübergehend schließen, dieser wurde von der Stadt eingehaust.

Zehnjähriges Jubiläum

Sonst ist er sieben Tage die Woche rund um die Uhr mit je zwei Personen besetzt, die alle zwei Stunden wechseln, um gegen das Projekt Stuttgart 21 zu protestieren und den Erhalt des Kopfbahnhofs sowie das Konzept Umstieg 21 zu propagieren, für das einige Demonstranten Fahnen schwenkten. Die Mahnwache geht ins elfte Jahr: Am 17. Juni wurde sie zehn Jahre alt, ein Jubiläum, das in diesen Zeiten nicht gefeiert werden konnte.

„Nun geht es weiter“, so Peter Müller vom Organisationsteam, mit diesem „wichtigen Bestandteil“ des Widerstands. Dort würden kritische Informationen und Wissenswertes über Stuttgart 21 verteilt, die in der üblichen Informationsversorgung untergingen. Die Mahnwache verkörpere den Durchhaltewillen der Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21. Sein Wunsch: Irgendwann die Schließung der Mahnwache feiern zu können, weil das Projekt dahinter begraben sei.

Feier soll Mut machen

Zu Wiederbelebung und Jubiläum gratulierte auch Norbert Bongartz, der für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sprach. Der einstige Oberkonservator im Ruhestand beim ehemaligen Landesdenkmalamt, wie es vor der Neuorganisation der Denkmalpflege hieß, betonte, dass man zwar auf „gutes Zu-Reden, leckeres Essen und Trinken sowie mitreißende Festmusik“ habe verzichten müssen. Aber dass ein Konzert anlässlich des Jubiläums nicht nötig sei. „Ihr seid – vielleicht ohne es zu wissen – seit zehn Jahren ein Konzert!“ Bongartz zitierte aus Mayers Konversationslexikon von 1897 eine Definition, die heute ungebräuchlich ist. Demnach war ein Konzert in der diplomatischen Sprache die „...Vereinbarung mehrerer (hier europäischer) Mächte über eine gemeinschaftliche politische Handlungsweise.“ Allerdings seien derlei „europäische“ Konzerte vor und um 1900 nicht von langer Dauer gewesen, wohl weil diese aus den augenblicklichen Interessen der Regierenden heraus geschlossen worden seien, so Bongartz. Die Leistung des zehnjährigen Mahnwache-Konzerts beruhe auf Respekt und wertschätzender Gegenseitigkeit. „Der Kraftstoff zu unserem beharrlichen Protest liefert uns die Unredlichkeit, die Unverantwortlichkeit, die zahllosen falschen Behauptungen und die Taubheit“ jener, die für das gigantische Fehlprojekt verantwortlich seien. Man verfüge nicht über Streitrösser gegen die S21-Macher, aber über gute Argumente von Experten wie Karlheinz Rößler, Christoph Engelhardt und anderen. Symbolisch schenkte er den Tag- und Nachtwächtern eine Hellebarde, die Mut machen und Gegnern Respekt einflössen möge, sowie einen „unvergänglichen Blumentopf“ mit Seidenblüten. Zudem sagte er zu, dass Mitglieder des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 demnächst zwanzig mal zwei Stunden Dienst schieben würden.

Viele wollen mitmachen

Interessenten können sich auf eine Liste im Zelt eintragen. Am Ende der Veranstaltung war der Kalender schon gut gefüllt für die kommenden Tage, bis auf wenige Lücken. „Sehr empfehlenswert mitzumachen“, warb Michael Becker, der die Montagsdemonstration mitorganisiert. Er habe während der Dienste unglaublich spannende Gespräche mit Menschen verschiedenster Nationen und Meinungen geführt.