Beim Camorra-Prozess in Stuttgart liegt der Schatten des Paten über dem Landgericht Foto: Fotolia

Wegen schwerer räuberischer Erpressung steht seit Mittwoch Enrico M. vor dem Landgericht Stuttgart. Er gehört einer Camorra-Familie an, die in den 90er Jahren italienische Unternehmer und Gastronomen in der Region in Todesangst versetzt hat.

Stuttgart - Drohungen, Schutzgelderpressung und Pistolenschüsse sind die Würze eines Mafia-Films. Jetzt huscht der Schatten des Paten durch das Landgericht. Der 43-jährige Enrico M. soll in den 90er Jahren an solchen Verbrechen der als Camorra bezeichneten neapolitanischen Mafia beteiligt gewesen sein. Lange war er für die deutsche Justiz nicht greifbar.

„Mein Mandant hat 20 Jahre lang in Italien ein bürgerliches Leben geführt“, sagt sein Anwalt. Dann habe sich der Gesuchte entschlossen, sich in seinem Beisein den Behörden zu stellen.Der Prozess gegen Enricos Bruder Aniello und den Vater Francesco hatte 1997 Staub aufgewirbelt. Damals wurde der Vater zu dreieinhalb, Aniello zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Geschichte der Familie beginnt in Quindici, einer Hochburg der Camorra bei Neapel. Dort, so sagte ein Kronzeuge 1997 vor dem Landgericht, würden Carabinieri nachts mit Blaulicht fahren, um nicht versehentlich erschossen zu werden. Dort habe die Familie des Francesco M. zwischen zwei rivalisierenden Camorra-Clans die Seite gewechselt, und dort soll Francesco M. im voll besetzten Fußballstadion den Bürgermeister erschossen haben. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft gründete Francesco M. 1991 in Stuttgart eine kriminelle Vereinigung und agierte als Padre Padrone.

„Don Aniello“, 30, nannte sich Fotograf und war der Vollstrecker

Als Vollstrecker der Familie galt sein Sohn Aniello, der sich von Landsleuten mit „Don Aniello“ anreden ließ. Der damals 30-Jährige nannte sich Fotograf, versuchte sich als Pizzeria-Wirt, fuhr einen Lancia und lebte nach seinen Angaben vor Gericht von Sozialhilfe. Tatsächlich soll er Geschäftsführer eines Import-Export-Geschäfts in Feuerbach gewesen sein, das die Zentrale der von Stuttgart bis Heilbronn agierenden Familie war. In dieser Zentrale wurden Verbrechen geplant, an denen der heute 43-Jährige Enrico M. beteiligt gewesen sein soll. Danach nötigten Aniello, ein weiterer Bruder und italienische Mittäter 1994 in Bietigheim einen Geschäftsmann zur Gratis-Lieferung von Reifen im Wert von 40 000 Mark, zur Verpfändung eines Guthabens in Höhe von 45 000 Mark und zur Übernahme einer Bürgschaft über 14 000 Mark.

Im Falle der Weigerung werde der Geschäftsmann in Salzsäure aufgelöst, „damit kein Knochen übrig bleibt“ . Mit ähnlichem Druck versuchten die Gangster Ende 1994 und Anfang 1995 einen Geschäftsmann aus Asperg zur Zahlung von 50 000 Mark und zu einer Bürgschaft über 100 000 Mark zu zwingen. Mitte 1995 gerieten drei Eiscafé-Besitzer in Weinsberg, Asperg und Markgröningen in ihr Visier: Sie sollten jeweils 50 000 Mark Schutzgeld zahlen. Zur Bekräftigung ihrer Forderungen zündeten die Camorristi vor dem Eiscafé in Asperg ein Molotow-Cocktail und schossen mit Neunmillimeter-Munition in das voll besetzte Eiscafé in Markgröningen. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.

Die Angst der Opfer spiegelte sich in einem Prozess 2004 gegen einen Italiener wider, der zehn Jahre zuvor im Auftrag des Clans bei einem Wirt aus Winnenden Schutzgeld eingetrieben hatte. Aus Furcht vor Rache machte der Wirt als Zeuge im Gerichtssaal nicht nur im sprichwörtlichen Sinne in die Hose.Der Angeklagte Enrico M. weist den Vorwurf der Tatbeteiligung zurück. Er will sich dazu vorerst nicht äußern. Der Prozess wird am 13. August fortgesetzt.