Ein Polizist im Rems-Murr-Kreis soll einen Überfall der Mafia auf seinen Chef angeregt haben – weitere Mafia-Verfahren aus der Region beschäftigen bald die Gerichte.
Die Festnahme eines Polizisten unter Mafia-Verdacht hatte im April die Öffentlichkeit in der ganzen Region erschüttert. Nun nimmt das Verfahren gegen den Polizeihauptmeister einen entscheidenden nächsten Schritt: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Doch dieser Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, sind in der Region weitere Verfahren im Zusammenhang mit Mafia-Aktivitäten anhängig.
Dem bei seiner Festnahme 46-jährigen Schutzpolizisten, der seinen Dienst für das Polizeipräsidium Aalen im Rems-Murr-Kreis versah, wird vorgeworfen, im Januar 2022 über polizeiliche Systeme unbefugt Informationen über Autokennzeichen und Personendaten abgerufen und diese an einen 49-jährigen Italiener weitergegeben zu haben. Dieser Mann soll wiederum ein Unterstützer der kalabrischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta sein.
Polizist soll tödlichen Überfall auf Vorgesetzten geplant haben
Noch schwerwiegender ist der Vorwurf der Anstiftung zum Totschlag: Laut Anklage soll der Polizist den 49-Jährigen im April 2022 angestiftet haben, seinen Vorgesetzten „durch italienische Landsleute körperlich überfallen zu lassen“. Dabei habe er zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Mann bei dem ins Auge gefassten Übergriff tödlich verletzt würde. Die Staatsanwaltschaft geht von einem persönlichen Groll des Polizisten gegen den Vorgesetzten aus. Zu der beauftragten Tat kam es bis zur Festnahme des Polizisten nicht – warum, ist unklar.
Der 49-jährige Italiener ist nun ebenfalls angeklagt und muss sich in dem gleichen Verfahren verantworten. Die Anklage lautet auf Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses, Unterstützung einer kriminellen Vereinigung sowie gewerbs- und bandenmäßigen Betrug durch fingierte Olivenöl-Bestellungen im Wert von rund 90.000 Euro.
Die Festnahme des Polizisten war das Ergebnis der „Operation Boreas“, einer koordinierten Aktion von Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland und Italien. Im April dieses Jahres wurden im Zuge der Operation Dutzende Verdächtige festgenommen. Insgesamt wurden 34 Haftbefehle vollstreckt, darunter der gegen den Polizisten aus Aalen. Auf die Frage unserer Redaktion, was aus den übrigen Verfahren geworden sei, teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft über die Gesamtzahl der Verfahren gegeben werden könne. Bislang sei in drei Verfahren Anklage erhoben worden.
Region Stuttgart: Drogen, Waffen und ein brutaler Angriff
In einem Fall wird einem 57-jährigen Mann und zwei weiteren Männern im Alter von 42 und 54 Jahren vorgeworfen, im Großraum Stuttgart mit Kokain gehandelt zu haben. Der 57-Jährige soll Gastronomiebetriebe beliefert haben, während der 42-Jährige als Abnehmer und der 54-Jährige als Vermittler fungiert haben sollen. Dem 57-Jährigen und dem 42-Jährigen werden zudem der Besitz scharfer Munition beziehungsweise zweier Schlagringe vorgeworfen.
In einem weiteren Fall müssen sich drei italienische Staatsangehörige im Alter von 34, 49 und 37 Jahren vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Dem 37-Jährigen wird vorgeworfen, in mindestens 17 Fällen Kokain im Wert von 11.900 Euro an einen Abnehmer aus dem Großraum Stuttgart verkauft zu haben. Als dieser nicht bezahlen konnte, soll der 34-jährige Beschuldigte ihn mit einem Schraubschlüssel zusammengeschlagen haben – er hörte offenbar erst auf, als ein Zeuge einschritt. Anschließend sollen der 34-Jährige und der 49-Jährige Familienmitglieder des Opfers unter Druck gesetzt haben, um die Schulden einzutreiben.
Mafia setzt auf Immobilienprojekte statt Pizzerien
Die kalabrische ’Ndrangheta ist seit den 1960er Jahren in Deutschland aktiv und gilt heute als eine der mächtigsten kriminellen Organisationen weltweit. Längst beschränkt sich die Geldwäsche nicht mehr auf Restaurants und Pizzerien. Die Mafia investiert zunehmend in Immobilien und Bauprojekte, wobei sie auf verschachtelte Finanzkonstruktionen setzt.
Die Ermittlungen gestalten sich oft schwierig, da die Strukturen komplex und die rechtlichen Hürden hoch sind. Umso größer ist nun die Erwartung an die bevorstehenden Prozesse gegen die im Rahmen der „Operation Boreas“ festgenommenen Beschuldigten und die weiteren Angeklagten. Wann die einzelnen Prozesse beginnen, steht noch nicht fest.