Auch mit veränderter Strategie bleibt die Mafia eine Gefahr – gerade für Deutschland, findet unser Kommentator Christoph Reisinger.
Mitsamt Eskorten und Angehörigen weggebombte oder erschossene Richter, Polizisten und Politiker stehen für eine Epoche der italienischen Mafia, die komplett versunken scheint. Das war jene grauenvolle Phase um 1990, in der die Mafia die stärkste terroristische Macht und Gefahrenquelle in Europa war.
Jetzt ist es ziemlich still. In Italien genauso wie hierzulande. Daraus zu folgern, die Mafia sei keine Gefahr mehr, wäre allerdings grob fahrlässig. Es ist zweifellos ein Riesenfortschritt, dass die italienische Justiz die großen Bosse jener Zeit samt und sonders hinter Gitter gebracht hat. Aber mit ihrer aktuellen Strategie, sich möglichst unsichtbar in legale Wirtschaftskreisläufe zu fressen, richtet die Mafia weiterhin enormen Schaden an. Weit über ihre Stammlande hinaus.
Deutschland bleibt zentraler Aktionsraum
Dieser Schaden beziffert sich zwar nur noch in Ausnahmefällen nach Mordopfern, aber in Italien halten vor allem Cosa Nostra und ’Ndrangheta an ihrer Anmaßung fest, anstelle des Staates die wahre Ordnungsmacht zu sein. Dort saugen sie öffentliche Gelder an, rekrutieren kriminellen Nachwuchs, überschwemmen das drittgrößte EU-Land mit Korruption, Drogen, gefährlichen Müllkippen, gefälschten Produkten, falschem Geld.
Das als Problem der Italiener abzutun wäre nicht minder fahrlässig. Deutschland bleibt nach Ermittler-Erkenntnissen ein zentraler Aktions- und vor allem Investitionsraum für die Mafia. Daher gilt: Auch wenn das Land unter den Terror-Vorzeichen von Islamischem Staat oder NSU im Augenblick noch größere Gefahren für die innere Sicherheit zu meistern hat, muss es gegenüber der Mafia-Kriminalität wachsam bleiben. Schließlich gehört zu deren Wesen: Sie füllt jeden Raum, den der Staat ihr lässt.
christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de