Blick aus dem Café Strich-Punkt auf die Jakobstraße. 180 männliche Prostituierte suchen hier übers Jahr Hilfe – das Prostitutionsschutzgesetz tangiert ihre Situation kaum. Foto: Leif Piechowski

Mit dem Prosititutionschutzgesetz soll die Situation von Frauen verbessert werden. Dabei wird übersehen, dass es auch Stuttgarts Stricher-Szene gravierende Probleme gibt. Die SPD will das Thema jetzt auf die Agenda setzen.

Stuttgart - Planetarium, 2013: Die Bäume im Schlossgarten sind gefällt, der Schwulenstrich rasant geschrumpft, nachdem er durch die S-21-Bauarbeiten ein großes Stück an Anonymität eingebüßt hat. Von der B14 aus ist hier alles einsehbar. Die Handvoll Stricher, also männliche Prostituierte, die hier noch auf Freier gewartet hatte, war ethnisch bunt durchgemischt. Heute steht kaum noch ein Mann dort und bietet sexuelle Dienstleistungen für Männer an. Das Ende der Geschichte des stadtbekannten Schwulenstrichs markiert aber keinesfalls das Ende der männlichen Prostitution in Stuttgart.

Das zeigt die Situation Café Strich-Punkt. Die soziale Einrichtung im Leonhardsviertel kümmert sich um Männer, die in die Prostitution abgerutscht sind, aus Armut, wegen Drogensucht, psychischer Probleme oder aus anderen Gründen. Während Frauen durch das Prostitutionschutzgesetz, das seit Juli 2017 in Kraft ist, bessere Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz und der Schutz vor Ausbeutung zumindest auf dem Papier zugesichert wurden, helfen Meldepflicht, Prostituiertenausweise und verpflichtende Gesundheitsberatung bei männlichen Prostituierten offenbar wenig.

Ein Grund hierfür ist, dass männliche Prostitution in Stuttgart heute fast ausschließlich über das Internet abgewickelt wird. „Streetworker kommen so nicht mehr so leicht an die jungen Männer ran, die aus der Not in die Prostitution reingeraten sind“, sagt Tom Fixemer vom Café Strich-Punkt. Auf einschlägigen Portalen böten 400 bis 500 Männer sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung in Stuttgart feil. „In der Region gehen wir von 750 Männern aus.“

Zwei männliche Prostituierte beim Amt gemeldet

Ernüchternd ist auch die Zahl der männlichen Prostituierten, die sich in Stuttgart beim Gesundheitsamt gemeldet hat: zwei. „Das Prostitutionsschutzgesetz schadet männlichen Prostituierten eher, als dass es ihnen nützt“, sagt Tom Fixemer. Viele seien dadurch in Rechtsfragen verunsichert und würden die Behörden meiden. Das Gesetz beziehe sich nur auf den Prostitutionsbetrieb in Laufhäusern.

Seit Jahren beobachten Streetworker, dass sich in Stuttgart unter die angestammten Stricher-Gruppen immer mehr junge Männer aus Osteuropa und anderen Flüchtlingsherkunftsländern mischten, darunter auch viele Roma. Heute zieht Franz Kibler, der Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Stuttgart die Bilanz, dass das Sexgewerbe bei der männlichen Prostitution mit 80 Prozent auf einen ähnlichen Ausländeranteil wie bei der weiblichen kommt. „Das macht unsere Arbeit schwieriger, oft gibt es schwer überbrückbare Sprachbarrieren“, sagt er.

Die Stuttgarter SPD plant, das Thema schon bald auf der politischen Bühne in Stuttgart auszubreiten. „Über die männliche Prostitution ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt“, sagt Fatih Ceylan, Vorsitzender der SPDqueer Stuttgart, die bei den Sozialdemokraten sexuelle Minderheiten repräsentiert. Das neue Prostituiertenschutzgesetz umfasse nur weibliche Prostitution und lasse die „queere-migrantische“ außen vor. Man befinde sich in mit SPD-Stadträten in Gesprächen, das Thema zeitnah im Gemeinderat auf die Agenda zu setzen.

Männliche Prostituierte gesundheitspolitisch nicht erfasst

Einer der Stadträte ist der ehemalige Stadtdekan Hans-Peter Ehrlich, der das Thema männliche Prostitution seit den 80er-Jahren verfolgt, damals noch als Stadtjugendpfarrer. „Die Arbeit der männlichen Prostituierten wird gesundheitspolitisch nicht erfasst“, sagt Emrich. Er spricht sich dafür aus, mit der SPD-Fraktion schon bald politische Lösungen für die Unzulänglichkeit männlicher Prostituierter finden zu wollen, die ihre Körper an andere Männer verkaufen.

Die Polizei misst dem Thema männliche Prostitution derzeit keine besondere Bedeutung bei. Johannes Freiherr von Gillhaußen, ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, sagt, seit die offene Stricherszene in Stuttgart extrem geschrumpft sei, habe die Polizeiarbeit auf diesem Feld abgenommen.

Das zuständige Dezernat beobachtet auch, dass fast die gesamte männliche Prostitution ins Internet abgewandert sei, mit einer Ausnahme: drei Transvestiten aus Osteuropa auf dem Straßenstrich im Leonhardsviertel. Die Stricher im Internet und ihre Nöte bleiben also auch bei der Polizei offensichtlich ziemlich unsichtbar.