Julia Krämer, Thomas Lempertz, Marianna Kruuse und Egon Madsen in „Greyhounds“ Foto: Regina Brocke

Sie sind Stuttgarter Tanzstars, machten nach der Ausbildung an der Cranko-Schule beim Stuttgarter Ballett Karriere. Nun feiern die ehemaligen Publikumslieblinge Julia Krämer und Thomas Lempertz ihr Comeback: Egon Madsen holt sie für „Greyhounds“ auf die Stuttgarter Theaterhausbühne.

Stuttgart - Die Kaffeemaschine im Grand Café Planie faucht wie ein Höllenhund; der Blick der beiden Tänzer kann über ein Meer aus Torten und Kuchen schweifen. In Thomas Lempertz weckt das Erinnerungen an die Zeit, als er nach seiner Karriere als Solist des Stuttgarter Balletts zwei Türen weiter sein Modelabel Goldknopf etabliert hat, mehr als zehn Jahre ist das her. „Damals war ich jeden Tag hier, um Kuchen zu essen.“

Der Kuchen kann als Symbol stehen für die vielen Dinge, die nicht zur Disziplin eines Tänzerlebens passen – und die einem nach der Karriere plötzlich zu Füßen liegen. Thomas Lempertz und Julia Krämer waren lange genug an der vordersten Front des Stuttgarter Balletts aktiv, um die Entbehrungen, die Schmerzen, den Leistungsdruck und das Lampenfieber von einst noch sehr präsent zu haben. Beide wissen, was sie nicht vermissen. Und sie erinnern sich genau daran, wie der Wechsel auf die andere Seite, in die „normale Welt“, wie Julia Krämer es nennt, sich anfühlt.

„Man lässt sich hängen, nimmt zu“

Ganz gut, einerseits. „Eigentlich ist das nicht gesund, von 100 auf 0 zu gehen, wie ich es gemacht habe“, erinnert sich Lempertz an seine plötzliche Entscheidung, im Alter von 28 Jahren mit dem Tanzen aufzuhören. „Man lässt sich hängen, nimmt zu.“ Julia Krämer, die vor der Geburt ihrer zweiten Tochter die Karriere zugunsten der Familie an den Nagel hängte, muss da lachen. „Ich habe noch nie ein Problem gehabt mit Nichtstun.“

Schwieriger war für beide eher, nicht mehr Teil der Stuttgarter Ballettfamilie zu sein. „Eine Familie zu gründen ist vielleicht einer der perfektesten Übergänge“, vermutet Thomas Lempertz. Was Julia Krämer bestätigt: „Ja, das ist ein Ausstieg, ohne ihn als Abstieg zu empfinden.“ Und dennoch, die Mutterrolle ist nicht leicht für einen umjubelten Bühnenstar. „Als Tänzerin hatte ich tollen Zuspruch, bekam Blumen und Applaus“, erinnert sich Julia Krämer. „Als Mutter kriegst du das nicht.“

Rückfälle sind jederzeit möglich

Doch das könnte sich bald ändern. Denn beide sind trotz ihres lang zurückliegenden Bühnenabschieds im Herzen so sehr Tänzer geblieben, dass Rückfälle jederzeit möglich sind. Egon Madsen hat nun einen solchen provoziert. „Greyhounds“ heißt er und bringt nicht nur Thomas Lempertz (41) und Julia Krämer (47) zurück auf die Bühne, sondern mit Madsen und Marianne Kruuse auch Stars aus der Zeit des Stuttgarter Ballettwunders. Und dazu die Frage, wie man mit dem Tanz alt werden kann. Die Senioren, beide mehr als 70 Jahre alt, werden einen überarbeiteten Pas de deux tanzen, den John Neumeier als aufstrebender Choreograf einst für sie schuf. Die beiden „Greyhounds“-Junioren wagen sich im Dialog mit Mauro Bigonzetti und Marco Goecke an Neues.

Dazu musste Egon Madsen sie nicht lange überreden. „Wenn man als Tänzer des Stuttgarter Balletts einmal aufgehört hat, dann überlegt man sich gut, in welchem Rahmen eine Rückkehr stattfinden kann“, sagt Julia Krämer. „Aber hier hat alles super gepasst.“ Auch Thomas Lempertz war von Madsens Idee sofort begeistert. „Ich fand es interessant, anderen mitzuteilen, wie es Tänzern nach ihrer Karriere gehen kann. Welche Erfahrungen man einbringt, wenn man älter wird. Dieses Konzept hat mir gefallen. Und auch, dass sich jeder von uns einen Choreografen aussuchen darf, mit dem er zusammenarbeiten will.“

Die Angst davor, sich tänzerisch zu überschätzen

So kommt es, dass Julia Krämer ein Solo tanzen wird, das sie mit Mauro Bigonzetti erarbeitet hat; an seinen Stücken war sie schon als Solistin des Stuttgarter Balletts beteiligt. Nach der langen Bühnenpause, in der sie als Mutter zweier Töchter als Ballettlehrerin arbeitete, genießt sie es, wieder auf eine professionelle Art in Bewegung zu sein, ohne dabei Extreme ausloten zu müssen. „Wir machen es altersgerecht“, sagt sie lachend. Und: „Ich fühle mich wohler, seitdem ich wieder etwas tue.“ Ihre Karrieren haben sich zwar nur kurz berührt, aber auch aus Zuschauerperspektive hat Thomas Lempertz den Choreografen Marco Goecke, mit dem er nun ein „Greyhounds“-Team bildet, zu schätzen gelernt. Überhaupt kein Problem habe der Stuttgarter Haus-Choreograf, erzählt Lempertz, sein nervöses, schnelles Vokabular einem reifen Tänzer anzupassen.

Und so sorgt dieses Comeback bei Julia Krämer und Thomas Lempertz bereits in der Probenphase für weniger Stress als die letzte gemeinsame Rückkehr auf die Bühne. Das war 2009, anlässlich der Gala zu Reid Andersons 60. Geburtstag. Damals gab Julia Krämer noch einmal die schusselige Ballerina in Christian Spucks Ballettulk „Le Grand Pas de deux“; Thomas Lempertz war mit von der Partie, als die Originalbesetzung noch einmal van Manens „Solo“ zeigte. „Die Schmerzen waren schlimm“, erinnert sich Julia Krämer, „mir fehlte die Kraft, und ich fühlte mich wie diese alternde Ballerina, die ich darstellte, die alles übertreibt.“ Auch Thomas Lempertz erinnert sich an die Sorge davor, dem Rahmen nicht gerecht zu werden. „Ich wollte nicht, dass das Publikum dabei zuschaut, wie sich jemand überschätzt und dann denkt: Muss das sein?“

„Greyhounds“? Das muss sein, sagt das Publikum. Auch ohne zu wissen, an welches Ziel die Reise durch vier Tänzerleben führt, ist der Andrang groß. Die erste Vorstellungsstaffel im November ist so gut wie ausverkauft; eine zweite folgt im Dezember.