Läuft die Zeit ab für Joachim Löw oder bleibt er am Ball bei der Nationalelf? Die Zukunft des Bundestrainers ist offen. Foto: dpa/Daniel Gonzales Acuna

Die DFB-Spitze wird von einem Machtkampf erschüttert – es ist unklar, wer im Falle des Bundestrainers Joachim Löw am Ende den Daumen hebt oder senkt.

Stuttgart - Joachim Löw darf also doch noch selbst für sich und seinen Weg werben. Er darf seine Analyse vorstellen nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien in Sevilla; er darf, wenn er doch noch über seinen Schatten springt, die Rückkehr der WM-Helden Mats Hummels, Thomas Müller und Jérome Boateng verkünden. Er darf aber auch zurücktreten und seinen Vertrag vor dem 4. Dezember zerreißen – dem Tag, an dem beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) über seine Zukunft beraten wird.

An jenem 4. Dezember steigt die Präsidiumssitzung. Direktor Oliver Bierhoff soll dann Löws Analyse, das ist der Plan, in dessen Abwesenheit präsentieren. Und dann soll eine Entscheidung für oder gegen Löw fallen.

Am Dienstag wurde nun bekannt, dass der Coach vorher doch die Chance erhält, seine Sicht der Dinge zu präsentieren. Er solle, so heißt es, in „kleinerer Runde“ mit dem Präsidenten Fritz Keller und anderen Funktionären zusammenkommen. Dort könnte Löw versuchen, seinen Job zu retten. Wenn er das will.

Feingeist Löw

Löws Haltung, das ist die eine große Frage in diesen Tagen. Die zweite: Wenn der Bundestrainer weitermachen will – wer hätte dann die Macht, ihn zu entlassen und diesen Beschluss zu fassen? Anders gefragt: Wer beim DFB entscheidet über die Zukunft des Bundestrainers?

Ganz offenkundig wissen das die Strategen im Führungszirkel des Verbands selbst noch nicht so genau – weil sie genug damit zu tun haben, nach all ihren Machtkämpfen der vergangenen Wochen im Alltag irgendwie klarzukommen. Sich bei der Personalie Löw auf eine gemeinsame Linie zu einigen, davon ist man im Präsidium dem Vernehmen nach gerade so weit entfernt wie der Feingeist Löw von einer Vorliebe zu langen, hohen Bällen.

Klar ist immerhin eines: Der Präsident Fritz Keller wird nicht alleine über die Zukunft Löws entscheiden. Denn vor seiner Inthronisierung wurde die sogenannte „Richtlinienkompetenz“ des Präsidenten samt Verantwortlichkeit „für die Belange der Nationalmannschaft“ aus der DFB-Satzung gestrichen. Das war eine Lehre aus den Handlungen von Kellers Vorgänger Reinhard Grindel, der vor der WM 2018 ohne Not erst die Vertragsverlängerung mit Löw verkündet und nach dem Vorrunden-Aus in Russland dessen Freifahrtschein in Eigenregie verlängert hatte.

Zerstrittenes Quintett

Der neue Präsident Keller ist nur noch ein Teil der Gremien, die nun beschließen – aber wer genau darf da jetzt Anfang Dezember was beschließen? Laut Paragraf 34 der DFB-Satzung untersteht dem Präsidium als Ganzes „die Personalauswahl hinsichtlich des Bundestrainers“. Aber in Paragraf 35 heißt es: „Dem Präsidialausschuss sind folgende Angelegenheiten übertragen: Personalangelegenheiten der Direktoren, des Bundestrainers (. . .).“

Im Präsidialausschuss, dem inneren Führungszirkel des DFB, sitzen neben dem Präsidenten Keller der Generalsekretär Friedrich Curtius, die beiden Vizepräsidenten Peter Peters und Rainer Koch sowie der langjährige Schatzmeister Stephan Osnabrügge. Darf dieses Quintett, frei nach Satzungsparagraf 35, nun über Löws Zukunft entscheiden – oder obliegt das, frei nach Satzungsparagraf 34, doch dem Präsidium mit seinen insgesamt 19 Mitgliedern?

Der DFB wollte dazu am Dienstag keine Stellung beziehen, aus Verbandskreisen war nur zu hören, dass das Präsidium im Zweifel eher nicht übergangen werden könne. Es ist daher zu vermuten, dass der mächtige Präsidialausschuss um Keller nicht alleine entscheiden wird über Löws Zukunft. Klar ist aber auch, dass das Quintett eine gewichtige Stimme haben wird. Und dass dieses Quintett aktuell heillos zerstritten ist.

Tiefe Gräben

Denn an der Spitze des Verbandes tobt ein lähmender Machtkampf. Von tiefen Gräben zwischen Präsident Keller und Generalsekretär Curtius ist die Rede. Der DFB selbst räumte nach seiner Präsidiumssitzung am 23. Oktober, die laut Mitteilung suggerieren sollte, dass man von nun an an einem Strang ziehe, so unverhohlen wie vielsagend „interne Dissonanzen“ ein.

Vizepräsident Koch und der langjährige Schatzmeister Osnabrügge werden aus alter Verbundenheit dem Curtius-Lager zugeordnet – und hier könnte es spannend werden im Fall Löw. Denn selbst wenn der zweite Vizepräsident Peters, wie es gemutmaßt wird, zu Keller hält, der wiederum als Löw-Unterstützer gilt, hätte der Präsident im Präsidialausschuss eine 2:3-Situation gegen sich. Und damit womöglich auch gegen Löw.

Beim Machtkampf zwischen Keller und Curtius geht es um den Umgang mit der jüngsten Steueraffäre des DFB, in der der Generalsekretär ebenso wie Koch und Osnabrügge zu den Beschuldigten zählten, auch wenn sie Verfehlungen zurückweisen und externe Prüfer sie unterstützten. Keller, so heißt es, wolle aufräumen, Curtius und Kollegen prangerten fehlende Rückendeckung an.

Inmitten dieser Gemengelage soll die DFB-Führung nun die Entscheidung über die Zukunft des Bundestrainers treffen. Und das auch noch im Unwissen, wie viele Präsidiums-und Präsidialmitglieder bei der Entscheidung involviert sein werden.

Der größte Sportfachverband der Welt steht vor einer der größten Herausforderungen seiner Historie – wieder einmal.