Prägende Figuren einer großen DFB-Ära: Lukas Podolski (re.), Bastian Schweinsteiger Foto: dpa

Als er sein Debüt in der Nationalmannschaft feierte, hieß der Trainer noch Rudi Völler. Zwölf Jahre und sieben WM- und EM-Turniere später tritt der ewige Lukas Podolski ab. Das Ende gerät so emotional wie seine ganze Karriere.

Stuttgart - Die 44 312 Zuschauer im Stade Pierre-Mauroy in Lille waren sich der historischen Bedeutung des Augenblicks nicht bewusst. Am 26. Juni 2016 lief die 72. Minute im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei, als Bastian Schweinsteiger den Rasen betrat. Vier Minuten später kam auch Lukas Podolski (31) als Joker auf den Platz. Da waren sie noch einmal vereint, die beiden Publikumslieblinge, deren beider Karriere am 6. Juni 2004 beim 0:2 gegen Ungarn in Kaiserslautern unter dem Trainer Rudi Völler begonnen hatte und die wie keine anderen für den Aufschwung der Nationalmannschaft seit dem schmachvollen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 gestanden sind. 18 Minuten (samt Nachspielzeit) spielten sie in Lille noch einmal Seite an Seite – zum letzten Mal. Vor zweieinhalb Wochen hatte Bastian Schweinsteiger seinen Rücktritt aus der Nationalelf erklärt, am Montag tat es ihm Lukas Podolski nach zwölf Jahren und 129 Länderspielen nach – gewohnt emotional: „Die Nationalmannschaft war mir immer Herzenssache. Nichts kann mir ersetzen, was mir die Zeit mit dem DFB-Team an Freude, Leidenschaft und Zusammenhalt gegeben hat.“ Konkret: „Vom zweijährigen polnischen Jungen, der quasi nur mit einem Ball unter dem Arm nach Deutschland kam, zum Weltmeister – das ist mehr, als ich mir erträumen konnte.“

Erst Schweinsteiger, nun Podolski: Ihre Rücktritte markieren das Ende der Generation Sommermärchen. Bei der Heim-WM 2006 waren sie zu den Gesichtern einer Mannschaft geworden, die eine höchst erfolgreiche Ära prägen sollte, die im WM-Triumph 2014 ihren Höhepunkt erreichte. Nach Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker sind sie die letzten Akteure des Sommermärchens, die Abschied nahmen. „Lukas war genauso wie Basti immer eine feste Größe für mich. Auf ihn war und ist Verlass“, erklärte Bundestrainer Joachim Löw und verwies auf Podolskis Charakterzüge: „Bei aller Lockerheit und Leichtigkeit, für die er steht, ist er ein Vorbild an Professionalität und Einstellung.“

Alles zusammen verschaffte ihm eine Nähe zu den Fans, die ihn für immer fest in ihr Herz schlossen. Wenn Podolski in seinem Kölschen Singsang loslegt, wird er zum Menschenfänger. Dann sind seine Zuhörer permanent versucht, in einen leichten Schunkelrhythmus zu verfallen. Stets ist er nahe bei den Menschen, er trifft ihre Gefühle, und 2006 prägte er sogar den Fußballspruch des Jahres: „So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere!“ Den letzten Lacher hatte er nach dem EM-Auftakt gegen die Ukraine, als er Löws Fehlgriff in die Hose vor den Journalisten so kommentierte: „80 Prozent von euch und ich auch kraulen sich auch mal an den Eiern.“

Podolski verabschiedet sich mit Foto-Collage von seinen Fans

Zu seinem Abschied hat er eine Foto-Collage mit ausgewählten Momenten seiner Laufbahn auf Facebook gestellt: als kleiner Knirps während der WM 1990, als Jung-Nationalspieler 2004 und als Weltmeister 2014, als er auf dem Rasen des Maracana mit seinem Sohn Louis den goldenen Pokal küsste. Zu seiner Karriere gehört das schnellste deutsche Länderspieltor – nach neun Sekunden traf er 2013 beim 4:2 gegen Ekuador. Oder sein persönlicher Torrekord im DFB-Trikot – vier Treffer beim 13:0 gegen San Marino im Jahr 2006. Und auch das darf nicht fehlen: 2009 ohrfeigte er Kapitän Michael Ballack beim 2:0 in Wales nach einem Disput auf dem Platz.

All das sind Szenen einer großen Karriere, die ein tragisches Ende zu nehmen drohte. Seit 2012 war Podolski im DFB-Team nur noch Ergänzungsspieler. Die Fans feierten ihn auch auf der Bank und forderten seinen Einsatz, gespielt hat er seither aber nur noch zweimal über 90 Minuten. Nun, bei der Qualifikation zur WM 2018, wäre seine Nominierung nicht mehr plausibel erklärbar gewesen. Bevor Joachim Löw gezwungen war, ihn mit seiner Nicht-Nominierung zu demütigen, hat Podolski die Zeichen der Zeit erkannt. Er geht erhobenen Hauptes. „Danke und tschö, Poldi“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff. Er sprach im Auftrag von Millionen.