Wie belastet ist die Luft mit Schadstoffen? – In Stuttgart wird intensiv gemessen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Längst geht es beim Thema Luftschadstoffe nicht nur um den Feinstaub. Auch gasförmige Stickstoffverbindungen spielen bei den Gesundheitsschäden eine wichtige Rolle.

Stuttgart. - Wenn sich von diesem Mittwoch an die Lungenärzte in Stuttgart zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) im Kongresszentrum der Landesmesse Stuttgart treffen, steht auch das Thema Feinstaub auf der Agenda. Alles andere wäre in der bundeswseit als Feinstaubmetropole bekannten Landeshauptsadt auch verwunderlich.

Die winzigen Partikel, die Lungen und Atemwege sowie Herz und Kreislauf schädigen, sind aber bekanntlich nicht die einzige Ursache für die dicke Luft in Stuttgart und anderen Ballungsräumen. Der zweite potente Schadstoff sind die Stickoxide – gasförmige Verbindungen zwischen Stickstoff und Sauerstoff, von denen die wichtigste das Stickstoffdioxid (NO2) ist.

Wichtigste Quelle sind Motoren

Die wichtigste Stickoxidquelle sind die Verbrennungsmotoren von Personen- und Lastwagen. An einem Hotspot wie dem Stuttgarter Neckartor steuert der Verkehr 70 Prozent zur Stickoxidbelastung bei. Dagegen kommen beim Feinstaub gerade mal sieben Prozent der Gesamtmenge aus den Auspuffrohren. Viel wichtiger sind hier der Abrieb von Reifen und Bremsen sowie die Aufwirbelung von Partikeln, die auf der Straße liegen.

Dass zunehmend auch die Stickoxide im Fokus stehen, hängt nicht zuletzt mit dem VW-Skandal zusammen, der die massiven Grenzwertüberschreitungen in der gesamten Autobranche ans Licht der Öffentlichkeit brachte. Die Senkung der Stickoxidwerte ist für die Motorenentwickler aufwendiger als die Verringerung des Feinstaubausstoßes, der sich mit Partikelfiltern relativ einfach minimieren lässt. Doch die Motorenbauer zeigen, dass sich auch Stickoxide wirksam reduzieren lassen.

Mit feuchter Luft entsteht Säure

Doch wie wirken sich Stickoxide auf Menschen aus, die zu viel davon einatmen? Wer in Chemie aufgepasst hat, weiß vielleicht noch, dass bei der Reaktion von NO2 mit Wasser unter geeigneten Bedingungen Salpetersäure entsteht. Sie steht in der Rangliste der stärksten Säuren hinter der Schwefelsäure auf Platz fünf – ist also ziemlich ätzend. Das erklärt, warum das Gas im feuchten Milieu der Schleimhäute in den Atemwegen zu Reizungen und entzündlichen Prozessen führen kann. Beobachtet wurde auch eine Zunahme der Asthmafälle – vor allem bei besonders empfindlichen Gruppen wie Kindern und Senioren.

Bei höheren Konzentrationen ist Stickstoffdioxid auch akut giftig. Nicht umsonst heißt es auf einem Merkblatt für Chemielehrer: „Aufgrund der toxischen Wirkung sollte man auf Experimente mit Stickstoffdioxid an Schulen ganz verzichten.“ Wie bei allen gefährlichen Substanzen hängt es allerdings auch bei NO2 von der Dosis ab, ob Gesundheitsschäden auftreten. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur waren 2013 rund 10 600 Todesfälle in Deutschland auf Stickoxide zurückzuführen. In der EU 28 waren es demnach 68 000.

Keine letzte Genauigkeit bei Todeszahl

Wenn man Josef Cyrys auf solche Zahlen anspricht, wie sie auch die Weltgesundheitsorganisation ermittelt, wird er erst einmal grundsätzlich. Der Chemiker am Helmholtz-Zentrum München kritisiert, „dass die Bandbreite meist nicht angegeben wird“. Wenn da stehe, dass pro Jahr 4000 Menschen durch einen Schadstoff ums Leben kommen, dann könnten es in Wirklichkeit auch 2000 weniger oder mehr sein. Das liege in der Natur solcher Berechnungen. Zudem hänge das Ergebnis auch von den Annahmen ab, die die Autoren der Studien machten. Cyrys hält es für falsch, „eine Genauigkeit vorzutäuschen, die gar nicht erreichbar ist“. Trotzdem besteht für ihn keinerlei Zweifel daran, dass Stickoxide schädlich sind. Allerdings seien die negativen Effekte des Feinstaubs „mehr als doppelt so stark“ wie die der Stickoxide.

Um die Wirkungen einzelner Umweltgifte zu untersuchen, vergleichen Forscher beispielsweise die Häufigkeit bestimmter Krankheitssymptome und die Sterblichkeitsrate in definierten Gebieten mit unterschiedlicher Schadstoffbelastung – also etwa neben einer stark befahrenen Straße und in einer verkehrsärmeren ländlichen Region. Raucher seien von solchen Studien ausgeschlossen, weil sie die Ergebnisse verfälschen würden, sagt Cyrys.

Stickoxide auch an Ozonbildung beteiligt

Stickoxide sind auch deshalb nicht zu unterschätzen, weil sie erheblich zur Ozonbildung und zum sogenannten sekundären Feinstaub beitragen. Aus Stickoxiden kann sich zusammen mit den Ammoniak-Emissionen der Landwirtschaft das Salz Ammoniumnitrat bilden, das dann fein verteilt durch die Luft fliegt. Schädlicher als sekundärer Feinstaub sei aber primärer Feinstaub aus Verbrennungsprozessen, so Cyrys.