Die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts mit dem Vorsitzenden Richter Wolfgang Kern (2. v. r.) hat geurteilt. Rasche Fahrverbote sind demnach möglich. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Land ist frei in der Konzeption eines Zusatzzeichens für die Umweltzone, sagen die Stuttgarter Richter in ihrem schriftlichen Urteil. Auf die Nachrüstung zu setzen sei rechtlich nicht zulässig.

Stuttgart - Die Landesregierung muss in Stuttgart schnellstmöglich Fahrverbote erlassen, um die weit überschrittenen Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem am Dienstag bekannt gewordenen schriftlichen Urteil (13K5412/15) zur Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) festgestellt.

Das Land stellt im Entwurf des neuen Luftreinhalteplans in Aussicht, den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel frühestens ab 2020 einhalten zu können. 2016 wurden am Neckartor 82 Mikrogramm erreicht. Dazu müsse die Blaue Plakette gelten, die alte Diesel und Benziner ausschließen würde. Das Gericht folgt der DUH und will das Verbot 2018. Die Überschreitungen seien so kurz wie möglich zu halten, eine zeitliche Vorgabe stehe „nicht zur Disposition der Planbehörde“. Die Blaue Plakette fehle zwar, die Befugnis des Landes für Zusatzzeichen zum bekannten Umweltzonen-Schild sei aber unstrittig. Das Land könne selbst handeln.

Nachrüstung nahezu wirkungslos

Ein Verschieben des Fahrverbotes hält das Gericht für nicht zulässig, die freiwillige Software-Nachrüstung sei nahezu wirkungslos. Die Bewohner der Umweltzone hätten ein legitimes Interesse am Schutz ihrer Gesundheit. Es gebe dagegen keine schutzwürdigen Interessen der vom Verbot betroffener Autofahrer, die ein Aufschieben rechtfertigten, so das Gericht unter dem Vorsitz von Wolfgang Kern. Insbesondere sei nicht erkennbar, warum nur maximal 20 Prozent aller Verkehrsteilnehmer vom Fahrverbot betroffen sein dürften. Diese Zahl hatte das Land als grundsätzliche Bedingung gesetzt.

Das 102 Seiten starke Urteil ging den Streitparteien DUH und Land am Dienstag zu. Sie haben vier Wochen Zeit, dagegen entweder in Berufung zu gehen, oder die Sprungrevision zu beantragen. Ein Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bestätigte, das Urteil liege vor. „Wir werden es jetzt – wie mehrfach angekündigt – sorgfältig prüfen“, so die knappe Stellungnahme. Das Landeskabinett kommt am kommenden Dienstag, 12. September, erstmals nach der Sommerpause zusammen. Ob dann, wie vom Anwalt des Landes empfohlen, die Berufung beschlossen wird, ist offen. Ein Sprecher von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wies darauf hin, dass das Bundesverkehrsministerium von Alexander Dobrindt (CSU) die Rechtsaufsicht ausübe.

Urteil ein Totalverriss für Land

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Totalverriss des vom Land im Mai 2017 vorgelegten Planentwurfs. Von den 20 angekündigten Maßnahmen könnten 15 gar nicht gezählt werden, weil es für diese keine verbindliche Verpflichtung zur Umsetzung gebe, sie also schon die Begriffsbestimmung aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht erfüllten. Weitere Maßnahmen seien wegen ihres vom Land per Gutachten nachgewiesenen geringen Wirkungsgrades in Sinne des Gesetzes „offensichtlich ungeeignet“.

Das Fehlen der Blauen Plakette, die Dobrindt verweigert, wird vom Gericht scharf kritisiert. Der Bund habe „die im vorliegenden Fall deutlich gewordenen Regelungsdefizite durch entsprechende Ergänzung der Straßenverkehrsordnung baldmöglichst zu beseitigen“. Er sei „verpflichtet, das notwendige Instrumentarium zur Verfügung zu stellen“, und dürfe das Immissionsschutzrecht nicht rechtswidrig durch fehlende Schilder aushebeln. Wenn die Blaue Plakette komme, so der Umwelthilfe-Anwalt Remo Klinger, werde die DUH deren sofortige Anwendung einklagen.

Richter verweisen auf Ministerium

Bis zur erweiterten Plakettenregelung könne das Land mit einer Textergänzung zum Umweltzonen-Zeichen handeln, so das Gericht. Die Grüne Plakette würde abgedeckt und durch „Diesel Euro 6“ und „Andere ab Euro 3 frei“ ersetzt, so werde der Grenzwert voraussichtlich erreicht.

Sollte das Bundesverkehrsministerium dagegen rechtliche Bedenken haben, so das Gericht, obliege es dem Ministerium, den Bedenken „durch eine Ergänzung um eine weitere Plakette Rechnung zu tragen“, also den blauen Aufkleber doch einzuführen.