Eine Feinstaubmessstelle am Brennpunkt Neckartor: 2020, spätestens 2021, sollen die Grenzwerte hier eingehalten werden Foto: Peter-Michael Petsch

Besitzer von Kaminöfen müssen ab Winter 2016/17 auf Feuer verzichten, wenn zu viel Feinstaub in Stuttgarts Luft ist. Autofahrer sollen an solchen Tagen ab 2017 den Wagen stehen lassen. 2018 wird es dann Fahrverbote für einen Teil der Flotte geben. Und frühestens 2019 wird eine blaue Plakette Vorschrift.

Stuttgart - Man habe noch einmal hart um Formulierungen gerungen, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Montag, nun aber stünden die Eckwerte fest. Mit OB Fritz Kuhn (Grüne) und dem Stuttgarter Regierungspräsidenten Johannes Schmalzl (FDP) stellte er geplante Maßnahmen für bessere Luft in Stuttgart vor.

Der forschere Minister und der behutsamere OB hatten sich etwa in der Mitte getroffen, wenn man bedenkt, was sie in den vergangenen Tagen in den Vordergrund gestellt hatten. Da wollte Hermann die Einführung von zusätzlichen Fahrverboten über die jetzigen Regelungen in der Umweltzone Stuttgart hinaus forcieren, während Kuhn mehr auf Freiwilligkeit und Akzeptanz bei den Bürgern setzte und die Belange der Automobilstadt Stuttgart betonte.

Die Quintessenz des jetzt verkündeten Konzeptes ist, dass man bis einschließlich 2017 noch auf Informationen und Appelle baut. Ein Feinstaubalarm soll zwar 2016 dafür sorgen, dass die Autofahrer bei mindestens zwei absehbaren Tagen mit überhöhten Feinstaubwerten in Stuttgart ihre Autos in der Metropolregion stehen lassen. Verbindliche Verbote seien aber erst 2018 vorgesehen, hieß es bei einer Pressekonferenz.

Allein im Auto sitzen verboten

Welche Regelung dann angewandt werde, sei noch offen. Möglichkeit Nummer eins ist, dass emissionsarme Kfz mit blauer Plakette, sofern der Bund diese schon eingeführt hat, auf jeden Fall in die Stadt fahren dürfen. Außerdem Autos mit der in der Umweltzone Stuttgart bereits heute vorgeschriebenen grünen Plakette. Allerdings werden ihre Fahrer an solchen Tagen nicht allein im Wagen sitzen dürfen. Möglichkeit Nummer zwei ist die Regelung wie in Paris: am einen Tag dürfen außer Elektromobilen Wagen mit ungerader Ziffer im Kennzeichen fahren, am anderen Tag Kfz mit gerader Ziffer. Wirksam seien beide Varianten, sagte Hermann. Man prüfe noch, was besser wäre.

Wenn die Variante eins käme, würden die Autos auf die Zahl der Insassen kontrolliert werden, sagte Schmalzl auf Nachfrage.

Eine Art von Kappungsgrenze haben Hermann und Kuhn bei der Frage vereinbart, wann für Fahrten in Stuttgart zwingend die blaue Plakette vorgeschrieben wird. Diese würde bei Dieselfahrzeugen die Euro-6-Norm voraussetzen, bei Benzinern mindestens Euro 3. Hermann hatte das bisher spätestens für 2019 angestrebt. Stand heute wären von den derzeit in der Region Stuttgart zugelassenen Kfz 663 065 betroffen. Kuhn erklärte im Interview mit unserer Zeitung, Hermanns Plan sei nicht machbar, weil man nicht 60 oder 40 Prozent des Bestands aus dem Verkehr ziehen könne.

Jetzt einigten sich die beiden darauf, dass die blaue Plakette erst verbindlich wird, wenn 80 Prozent der Pkw in Stuttgart den Anforderungen genügen. Das werde wohl 2019 sein, erklärte Hermann. Spätestens verbindlich werde alles 2021, sagte er auf Nachfrage. Dass erst die Quote von 80 Prozent erreicht sein soll, bedeutet für viele Autofahrer Hoffnung. 20 Prozent des Bestands, für die das Fahrverbot angewendet werden soll, entsprechen in Stuttgart im Moment rund 56 000 Pkw, in der Region 300 000.

Hermann betonte, mit dem Konzept bemühe man sich um möglichst breite Akzeptanz. Je mehr Menschen man überzeuge, desto wirksamer seien die Maßnahmen. Die seien so angelegt, dass man nicht mit Verboten arbeiten müsse, aber der auf Einhaltung der Grenzwerte pochenden Europäischen Union Vorschläge mache. „Den größten Beitrag erwarten wir von der Wirtschaft und Industrie durch Innovationen“, fügte Schmalzl hinzu. Das Konzept sei gut gelungen.

Kuhn sagte, in der Summe sei der Tag der Einigung ein „guter Tag“, das Konzept ambitioniert. Bezüglich des Feinstaubs aus „Komfortkaminen“ habe man die geplante Gangart gegenüber bisherigen Ideen verschärft. Das sei für die wenigen Tage zumutbar. Die Autofahrer in der Metropolregion müssten bei drohenden Inversionswetterlagen erfahren, wo und wann sie Mitfahrer aufnehmen könnten. Hier müsse man intelligente technische Instrumente nützen.

Im Rathaus will Kuhn sich dafür einsetzen, dass es mehr Geld und Stellen für Begrünungsmaßnahmen sowie den Ausbau von Rad- und Fußgängerverkehr gibt. Stadt und Land müssten die Umstellung ihrer Autoflotten auf E-Mobile beschleunigen. Umweltfreundlichere Busse und mehr Busfahrten könne es auch geben, aber nur, wenn der Bund seine Förderung fortsetze. Binnen zehn bis zwölf Jahren will Kuhn die rund 700 Taxen in Stuttgart auf Strom umgestellt wissen – mit Zuschüssen von der Stadt.

Mit dem Konzept versucht das Land der EU aufzuzeigen, wie Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid 2020, spätestens 2021, einzuhalten sind. Dafür wurden rund 50 Maßnahmen erwogen. Bei dauerhaften Verstößen droht die EU mit Strafen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz im Land sprach von einem „weitgehend zukunftsfähigen Programm“. Scharfe Maßnahmen dürfe es aber nicht erst in drei Jahren geben. Zudem müssten Aussagen über die Finanzierung von mehr öffentlichem Nahverkehr und Instrumente wie Nahverkehrsabgabe oder Citymaut nachgeschoben werden.

HIntergrund: Der Fahrplan gegen Feinstaub

Etliche Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass die seit 2005 gültigen Vorgaben der EU zur Luftreinhaltung bis spätestens 2021 in Stuttgart eingehalten werden. So sollen hohe Feinstaub- und Stickoxidwerte vermieden werden:

Feinstaubalarm wird die Stadt erstmals ab dem Winter 2015/2016 ausrufen, und zwar wenn der Wetterdienst wegen einer Inversionslage mindestens zwei Tage mit Überschreitungen prognostiziert. Einheimische und Pendler sollen das Auto stehen lassen und Bus und Bahn nutzen. Kaminöfen sollen nicht mehr betrieben werden.

Fahrkarten zum halben Preis bei Feinstaubalarm soll es ab dem Winter 2016/17 geben. Die Partner im Verkehrsverbund müssen noch zustimmen.

Das bindende Verbot von Kaminöfen als Zusatzheizung im Stadtgebiet kommt zum Winter 2016/17.

Autos mit H-Kennzeichen, das sind mindestens 30 Jahre alte Wagen, in der Regel ohne Abgasreinigung, dürfen ab 2018 im Stadtgebiet nicht mehr fahren.

Verbindliche Fahrverbote gibt es bei Feinstaubalarm erstmals 2018. Zwei Alternativen sind in der Debatte. Entweder ein tageweise wechselndes Fahrverbot für Autos mit geradem/ungeradem Kennzeichen. Oder die Einfahrt nach Stuttgart wird nur Fahrzeugen erlaubt, die mit mindestens zwei Personen besetzt sind.

Die blaue Plakette soll vom Bund bis 2019 eingeführt werden. Diesel mit Euro 6 oder besserer Abgasreinigung und Benziner ab Schadstoffnorm Euro 3 erhalten sie.

Ein komplettes Fahrverbot wird für alle Autos ohne blaue Plakette verfügt, wenn deren Anteil nicht mehr als 20 Prozent des Bestandes erreicht. Das soll 2019/20 der Fall sein. Bei einem Bestand von 288 000 Fahrzeugen in Stuttgart wären dann 56 000 vom Verbot betroffen, in der Region mit Stuttgart rund 300 000. „Zur Abfederung von Härten wird ein Ausnahmekonzept erstellt“, heißt es im Konzept zur Luftreinhaltung.

Die Maut soll auf den Bundesstraßen 10, 14 und 27 durch Stuttgart gelten, um Lkw-Durchgangsverkehr zu unterbinden.

Der Kauf von Elektrotaxen soll durch die Stadt, der von E-Autos für Liefer- und Post- und Pflegedienste sowie Carsharing-Flottem vom Land bezuschusst werden.

Der Radverkehr soll durch 36 Routen durch Stuttgart deutlich gesteigert werden. (ks)