Kräfte sammeln an einem altehrwürdigen Ort: Das Luftbad auf der Waldau Foto: Armin Friedl

Die Luftbad-Vereine auf den Fildern haben unter der Corona-Auszeit gelitten. Dabei haben sie genau das im Angebot, wonach gerade jetzt viele gieren: gesunde Luft.

Stuttgart - Das waren Zeiten, als Ende des 19. Jahrhunderts im Stuttgarter Kessel die Fabrikschornsteine qualmten und weitaus Gröberes rausließen als Feinstaub. Als 1886 die Zahnradbahn ihre Fahrt aufnahm vom Marienplatz rauf auf die Filder, gab es für die Städter endlich frische Luft für kleines Geld. Stadtteile wie Degerloch oder Vaihingen galten Anfang des 20. Jahrhunderts zurecht als Luftkurorte. Und passend dazu wurden dort Luftbäder eingerichtet.

Das ist schon eine ganze Weile her. Doch es gibt immer noch zwei Orte, die dieser Luftbad-Tradition mehr oder weniger verpflichtet sind: Der Luftbad Verein Stuttgart auf der Waldau sowie der Naturheil- und Luftbadverein Stuttgart-Vaihingen. Spricht man mit deren Vorsitzenden, hat man es mit Menschen zu tun, die von klein auf die Geschicke dieser Vereine begleiten, schon deren Väter waren dort aktiv. Aktuell haben sie die Einschränkungen durch Corona und teilweise Komplettschließungen ihrer Einrichtungen noch nicht überwunden. Doch die Rückkehr zu einem Betrieb, der mit der Vor-Coronazeit vergleichbar ist, liegt bei ihnen näher als bei den Schwimmbädern in der Stadt. Das liegt vor allem daran, dass ihr Konzept so einfach und unkompliziert ist: raus ins Freie für Sport und Bewegung oder zum Ruhen.

Da riecht es nach Holz und Schweiß

Wer wert legt auf historisches Ambiente, ist auf der Waldau richtig. Das Gelände ist mit einem hohen Lattenzaun von der Außenwelt abgeschirmt, als gäbe es da weiß Gott was zu sehen. De facto gibt es auf der Wiese einen abwechslungsreichen Baumbestand, einige davon sind schon 120 bis 130 Jahre alt, sie sind also aus der Gründungszeit des Vereins. Und es gibt etliche fast so alte Umkleidekabinen. Da riecht es immer noch nach Baum in diesen reinen Holzkonstruktionen, aber auch nach dem Schweiß der vergangenen Jahrzehnte. Das Aktivitäten-Angebot des Vereins ist freilich ziemlich heutig: Tai Chi, Qi Gong, Yoga, Pilates, Wirbelsäulengymnastik sowie Lungen- und Herzsport und schließlich Tischtennis für alle. Auch Fußball für alle, die gerade Lust und Laune haben, wird angeboten. Dafür gibt es den großen Rasenplatz direkt neben dem Vereinslokal „Der Grieche im Grünen“. Die Kurse werden gut angenommen, berichtet der Vorsitzende Jörg Englert. Für Qi Gong etwa gebe es schon sechs verschiedene.

Und seit Anfang Juni wurde der Kursbetrieb auch wieder Stück für Stück aufgenommen. Im Freien freilich, wie es sich für ein Luftbad gehört. Und unter Einhaltung der Coronaregeln: Übungen ohne Kontakte zu anderen und mit viel Abstand zwischen den Teilnehmern. Die Halle auf dem Gelände, erheblich neueren Datums, war noch bis vor Kurzem für den Sportbetrieb gesperrt, aber inzwischen hat auch sie geöffnet wie die Sauna auf dem Gelände, die auch separat vom Luftbad besucht werden kann. Vom Betrieb von einst ist man aber noch entfernt: „Viele sind verunsichert, ob es eine gute Idee ist, zu kommen“, ist die Erfahrung von Englert, „aber deshalb bieten wir die Kurse eben einfach mal an“.

Das war mal die Wiese der Brauereipferde

Die Luftbader in Stuttgart-Vaihingen haben mehr Veränderung hinter sich. 1905 wurde der Verein ungefähr dort gegründet, wo sich heute das Freibad befindet. 1945 mussten sie umziehen, und zwar dort hin, wo bis dahin die Brauereipferde von Schwaben Bräu ihre Wiesenflächen hatten. Seitdem hat sich diese Gegend an der Heßbrühlstraße kolossal geändert zu einem großen Industriegebiet, das sich nach wie vor ständig erneuert. Die Luftbader bleiben von diesen Entwicklungen nicht verschont. Im Umfeld der Industrieansiedlungen, anderer Sportvereine und einer Kindertagesstätte ist kein Platz für nostalgische Bretterzäune und uralten Baumbestand.

Offen für die Freizeitgestaltung

Aber sehr erholsam ist es dort immer noch in unmittelbarer Stadtnähe. Tennis ist dort angesagt, fünf Spielflächen gibt es. Und vor allem Faustball. Da wird sogar in der Bundesliga mitgespielt. Eine der ersten Saunen der Stadt kann der Verein für sich verbuchen, deshalb gibt es dort in unmittelbarer Nähe eine Straße namens Saunastraße, und geschwitzt werden kann da immer noch zwischen Herbst und Frühjahr. Die weiteren Angebote sind Gymnastik, Volleyball, Yoga, Tischtennis oder Freizeitfußball. Alles natürlich im Freien. Auch Hoopdance. In der Corona-Auszeit wurden neue Interessentenkreise erschlossen beziehungsweise weiter ausgebaut, etwa mit dem Vaihinger Zentrum Frauenherz. Und die Kita, deren Bau an dieser Stelle einst sehr umstritten war, ist heute voll integriert im Aktivitätenangebot des Vereins. „Wir sind offen für alle, die hier ihre Freizeit gestalten wollen“, so der Vorsitzende Markus Löwe, „heute kommen zu uns viele neue Leute. Wir müssen möglichst alle zusammenhalten. Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Der klassische Luftbad-Gedanke ist aber nicht nur Geschichte. Es gibt auf dem Vereinsgelände immer noch Flächen, die jetzt nicht so akkurat durchgeplant sind. Und da gibt es zahlreiche Nistkästen für Vögel und Fledermäuse. Da gibt es eine Ansammlung von Steinen, wo sich Eidechsen ansiedeln sollen. Und es gibt einen großen Laubhaufen in einer verwilderten Umgebung, da sollen sich Igel wohlfühlen.